„Landesfürsten“ verstehen keine Taktik (3)
Es ist ein Jammer, da gewinnt das österreichische Nationalteam gegen starke Serben in einem hochklassigen Spiel 3:2. Da schafft es das ÖFB-Trainerteam die strukturelle und taktische Unterlegenheit gegen den Ball, aus dem Hinspiel in Belgrad, auszumerzen. Da wurden in der Abwesenheit von Alaba neue Rollen für Schlüsselspieler wie Florian Grillitsch, Marko Arnautovic oder Moritz Bauer geschaffen. Von Momo Akhondi
Dadurch, dass Bauer die gesamte rechte Seite für sich beanspruchen und Grillitsch dadurch das Spielfeldzentrum überladen konnte, waren die Österreicher auch im Falle des Ballverlustes oft sehr gut vorbereitet und konnten gegen die Serben besonders oft im Gegenpressing verlorene Bälle zurückerobern. Dadurch entstand auch die große Chance von Kainz in der Anfangsphase.
Bei dem vielen Lob muss das Team an dieser Stelle jedoch auch getadelt werden. Dass die Österreicher bei Angriffen der Serben sehr darauf bedacht waren, die letzte Linie zu sichern und gegebenenfalls mit Mittelfeldspielern zu verstärken, ist wohl eine direkte Konsequenz aus dem Hinspiel. Dabei wurde dies jedoch hin und wieder so stark übertrieben, dass der Rückraum und der Raum vor der Abwehr nicht mehr vernünftig besetzt wurde. Durch diesen taktischen Schönheitsfehler gingen die Serben auch mit 1:0 in Führung.
Fazit
Ein Jammer. Marcel Koller macht es bei seinem Abschieds-Spiel in Wien jedem ÖFB-Fan noch schwieriger, den „Wunderwuzzi“ nicht zu vermissen. Auch wenn der sture Schweizer sich oft geweigert hat, im Spiel seine Strategie anzupassen oder personell umzustellen, so waren seine vorbereiteten Pläne vor den Spielen stets sehr gut gewählt. In den letzten 6 Jahren durften wir fast immer ein ÖFB-Team sehen, welches auf den kommenden Gegner vorbereitet war und einen oftmals mehr als adäquaten Matchplan mit auf den Weg bekommen hatte. Vor der Ära Koller war dies schlichtweg nicht der Fall, weder unter Krankl, noch unter Hickersberger, Brückner und vor allem nicht unter Constantini. Viele scheinen das vergessen zu haben. Koller sorgte in seiner 6-jährigen Amtszeit dafür, dass das ÖFB-Team taktisch und spielerisch in der Gegenwart angekommen ist. Sowohl das Pressing als auch das Spiel mit dem Ball sind international gesehen gut, das Gegenpressing ist zeitweise hervorragend. Ja, es wurden nach der erfolgreichen Qualifikation für Frankreich Fehler gemacht, aber auch davor. Aufgrund des märchenhaften Erfolglaufes wurden diese jedoch oftmals übersehen, auch von uns.
Nichtsdestotrotz darf man nicht vergessen, wofür die Ära Marcel Koller steht. Und der Schweizer konnte uns das mit dem Heimsieg gegen sehr starke Serben eindrucksvoll in Erinnerung rufen: professionelle Vorbereitung auf den kommenden Gegner, sehr gut gewählte Matchpläne und oft auch passende Rollen für die Spieler (große Ausnahme: David Alaba).
Koller/Ruttensteiner hinterlassen ihren jeweiligen Nachfolgern eine gute Mannschaft, welche taktisch gut geschult ist und individuell über hohe Qualität verfügt. Auch wenn das Präsidium schlichtweg nicht kompetent genug ist, um dies ebenfalls zu erkennen, so gibt es für die Nachfolger Schöttel und Mister X diesbezüglich keinerlei Ausreden und sie werden medial unter besonderer Beobachtung stehen. Intern dürften die Uhren jedoch anders ticken, denn… „Landesfürsten“ scheinen von Taktik, Matchplänen, passenden Spielerrollen – kurz gesagt vom Sport selbst – rein gar nichts zu verstehen.
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Über den Autor: Momo Akhondi
Momo Akhondi ist neben seiner Tätigkeit bei 90minuten.at auch Analyst beim deutschen Taktik-Portal Spielverlagerung.de und arbeitet mit Bundesligatrainern aus Österreich und Deutschland zusammen.