Abstiegskampf: Endspiel Heinle vs. Klose in Ried? [Exklusiv] (2)
Nach neun Runden halten sowohl die SV Ried als auch SCR Altach bei nur fünf Punkten. Am kommenden Sonntag kommt es zum Duell im Innviertel. 90minuten.at nimmt die beiden gegenwärtigen Hauptabstiegskandidaten unter die Lupe.
Je größer der Abstand zum rettenden 11. Platz werden sollte, desto eher wird man sich vermutlich zu weiteren Transfers in der langen Winterpause (Anm. die heuer aufgrund der WM in Qatar fast drei Monate lang dauert) gezwungen sehen.
Historisch gesehen agiert die SVR jedoch im Frühjahr mit großer Regelmäßigkeit deutlich schwächer als im Herbst, was in dieser Saison dann auf den worst case hinauslaufen würde.
Um an dieser Stelle das Beispiel Heraf zu bemühen: unter dem Wiener war das Spiel zwar alles andere als ansehnlich, aber unter dem Strich hatte man aber stets das Gefühl, dass auf die Stärken der Spieler gesetzt wurde und die Mannschaft auch stets wusste, was zu machen ist. Dass man wie beim 0:1 gegen die Austria viel zu hoch steht, aber gleichzeitig keinen Druck auf den ballführenden Gegenspieler zusammenbringt und dieser daher seelenruhig den öffnenden Pass spielen kann, darf in dieser Manier nicht passieren. Das gleiche Schema wiederholte sich dann auch noch mehrmals in der 2. Halbzeit.
Ich durfte Christian Heinle im vergangenen Jahr persönlich kennenlernen und würde auf dieser Basis behaupten, dass er ein Fußballverrückter (im positiven Sinne) ist und vermutlich 24/7 darüber nachdenkt, wie er seine Mannschaft verbessern kann. Manchmal beschleicht mich allerdings auch das Gefühl, dass er die Spieler mit seinen Ideen und seinem Spielkonzept auch überfordert. Eine Simplifizierung in manchen Aspekten von Spielidee und Spielsystem wäre für mich persönlich kein Schritt zurück, sondern könnte hinsichtlich der Stabilität von Defensive und auch Offensive einen potenziellen Schritt nach vorne bedeuten.
Bajic konnte nicht ersetzt werden
In der vergangenen Bundesligasaison unter den Cheftrainern Heraf und Ibertsberger verdankte die SVR vor allem dem nahezu blinden Verständnis zwischen Stefan Nutz und Ante Bajic viele Tore und Punkte. Doch der Abgang von „Talisman“ Bajic zu Rapid (wo er aktuell überhaupt keine Rolle spielt und zuletzt sogar bei Rapid II in der 2. Liga auflaufen musste), konnte im Transferfenster nicht ansatzweise kompensiert werden. Durch den gleichzeitigen Abgang von RBS-Leihgabe Nene fehlen der SVR viel Speed und auch der gewisse X-Faktor auf den offensiven Flügeln.
Freilich ist es unrealistisch, dass ein Verein mit den finanziellen Mitteln der SV Ried einen Spieler wie Bajic von der Qualität her 1:1 ersetzen kann. Doch der im Sommer als „Nachfolger“ von Bajic verpflichtete Agyemang Diawusie aus Dresden fristet bislang ein eher anonymes Dasein. Nach zweieinhalb Monaten im Innviertel bringt es der mit Trainingsrückstand ins Innviertel gekommene Deutsche auf lediglich fünf Einsatzminuten. Wer den 24-jährigen bei den Jungen Wikinger Ried in der Regionalliga Mitte das eine oder andere Mal beobachtet hat, weiß, dass sein Fitnesszustand nach wie vor als eher bescheiden bezeichnet werden kann.
Transferperiode mit Fragezeichen
Auch abgesehen von Diawusie kann die Transferperiode der SV Ried bestenfalls als unterdurchschnittlich bezeichnet werden. Lediglich Michael Martin und David Ungar (war an den FAC verliehen) konnten bisher positiv überraschen und sich in die Startelf spielen. Der Königstransfer Christoph Monschein (kam vom LASK) wurde für die notwendigen Tore geholt, hält in der Liga aktuell jedoch bei nur einem Treffer – aus einem Elfmeter. Zuletzt setzte er im Spiel gegen RB Salzburg einen Elfmeter neben das Tor.
Michael Kingsley war in der Vorsaison in Bologna mit einem komplizierten Wadenbeinbruch lange verletzt und scheint diese langwierige Verletzung noch immer nicht hundertprozentig überwunden zu haben. Denizcan Cosgun mischte letzte Saison bei Horn die 2. Liga auf, wurde jedoch heuer bislang nur einmal von Beginn an eingesetzt. Die Verpflichtungen von Luca Kronberger (Leihe von Sturm) und Oliver Kragl (vereinslos) am Ende der Transferfensters waren ein klares Zeichen dafür, dass man sich aufgrund der bestehenden Kaderqualität nochmal zu Transfers bemüßigt fühlte.
Doch bei Publikumsliebling Kragl könnte es noch länger dauern, bis sich dieser vollwertig in die Mannschaft spielen kann. Der 32-jährige Deutsche war über weite Strecken des Kalenderjahres vereinslos und hielt sich bei Avellino (ITA) fit, ihm fehlt daher noch die nötige Matchfitness. In Kragl sieht man intern aber auch einen Typen mit Charakter, einen aggressive leader, der auch nie um den heißen Brei herumspricht.
Die Rolle von Sportdirektor Reifeltshammer
Je größer der Abstand zum rettenden 11. Platz werden sollte, desto eher wird man sich vermutlich zu weiteren Transfers in der langen Winterpause (Anm. die heuer aufgrund der WM in Qatar fast drei Monate lang dauert) gezwungen sehen. Die Transfererlöse von Ante Bajic und auch Lukas Gütlbauer (wurde an den WAC verkauft) wurden bisher nicht (in den Kader) reinvestiert, hier scheint also durchaus noch Spielraum gegeben.
Für die Transfers zeichnet sich bei der SV Ried seit letzter Saison der Sportdirektor Thomas Reifeltshammer (mit-)verantwortlich. Wie Cheftrainer Heinle ist er auf seiner Position ebenfalls noch unerfahren. Der ehemalige Kapitän der SVR beendete vor Beginn der Saison 2021/22 seine Karriere und wechselte anschließend direkt in das Management.
In der medialen Außendarstellung tritt der 34-jährige klar als starker Mann hinter der Mannschaft auf, Sportvorstand Wolfgang Fiala hingegen ist, zumindest medial gesehen, in den Hintergrund gerückt. Beim Amtsantritt von Reifeltshammer im Juli 2021 wurde die Rollenverteilung in einem Interview mit MeinBezirk.at folgendermaßen kommuniziert: „Ich bin für das Tagesgeschäft der Profi-Abteilung verantwortlich. […] Wolfgang Fiala wird sich um die strategische Ausrichtung der SV Guntamatic Ried mit sportlichem Leitbild, Spielidee, Kaderstruktur und Kaderplanung kümmern.”.
Man steht (noch) hinter Heinle
Der Sportdirektor stärkte Cheftrainer Heinle nach dem desaströsen Auftritt in Favoriten den Rücken, beantwortete die Frage in einem OÖN-Interview, ob er gegen Altach noch auf der Trainerbank sitzen werde, mit einem „Ja, das wird er“. In einem Exklusivinterview mit 90minuten.at tätigte SVR-Präsident Roland Daxl folgende Aussage über Heinle: „Wir sind der Meinung, dass wir einen sehr guten Cheftrainer haben, der mit wenig Erfahrung ausgestattet ist.“. Man scheint also gewillt, trotz aller aktuellen Widrigkeiten an Heinle festhalten zu wollen. Dafür spricht auch die Aussage von Reifeltshammer bei der Bestellung von Heinle im April 2022: „Mit ihm gehen wir nun unseren Weg, unabhängig davon was in den nächsten Wochen und Monaten geschieht.“
Doch das Fußballgeschäft ist kurzlebig und nach einer Niederlage im Kellerduell gegen Altach könnten diese Unterstützungserklärungen schon ein alter Hut sein. Denn Reifeltshammer hinterfragte im bereits zitierten OON-Interview sehr wohl auch den bescheidenen Status Quo mit folgenden Worten: „Wir haben aus verschiedenen Gründen keine Stabilität. Wir müssen mehrere Dinge in einer offenen Diskussion mit dem Trainer hinterfragen. Die Spieler sitzen aber genauso im Boot und sind in der Pflicht".
Trainerfriedhof Ried
Ried gilt medial nicht zu Unrecht seit einigen Jahren als sogenannter „Trainerfriedhof“. Fünf verschiedene (permanente) Cheftrainer seit Herbst 2020 sprechen auf dieser Position nicht unbedingt für viel Kontinuität. Lange Zeit war auch keine Strategie hinter den Trainerbestellungen erkennbar. Auf den pragmatischen Spielstil von Baumgartner folgte der Pressing-Fußball von Muslic, daraufhin die ultradefensive Ausrichtung von Heraf und aktuell spielt man den Ballbesitzfußball von Heinle. Sportvorstand Wolfgang Fiala brachte in einem langen Exklusivinterview mit 90minuten.at im April zum Ausdruck, dass man dies langfristig ändern wolle. Ironischerweise war zum Zeitpunkt des Interviews noch Robert Ibertsberger Cheftrainer in Ried, wenige Tage später musste der Salzburger frühzeitig gehen.
Im Falle einer Niederlage gegen Altach würde vermutlich die Stimmung auf den Rängen der josko ARENA zu kippen drohen. Nach den Heimniederlagen gegen die WSG Tirol und RB Salzburg gab es noch größtenteils aufmunternden Applaus. Großen Teilen der Fans im Innviertel ist sehr wohl bewusst, dass man kleinere Brötchen als noch vor 10-15 Jahren backen muss, als man im Grunde jede Saison in Richtung der EC-Plätze schielen konnte.
Obwohl die drohende Rote Laterne, kurz vor der Halbzeit des Grunddurchgangs, für niemanden eine angenehme Vorstellung ist, sollte sich die sportliche Führung trotzdem nicht von äußeren Unmutsbekundungen beeinflussen lassen, wenn sie nach wie vor davon überzeugt ist, dass Heinle der richtige Mann für den Job im Traineramt ist.
Punktehalbierung als Faktor
Ich selbst halte es daher für wahrscheinlich, dass man Christian Heinle auch bei einer Niederlage gegen Altach nicht beurlauben würde. Die Kadersituation ist aufgrund der Ausfälle im Mittelfeld zum ersten Mal in dieser Saison wirklich alles andere als rosig. Eine weitere vorzeitige Trainerentlassung trotz vorangegangener Treueschwüre würde den Verein auch in kein gutes Licht rücken und gleichzeitig die sportliche Führung angreifbar machen. Es würde aus aktueller Sicht trotz aller widriger Umstände und schlechter Leistungen auch Sinn ergeben, wenn man Heinle noch (zumindest) bis zur Winterpause im Amt behält und weiter auf den Turnaround hofft. Ein potenzieller Nachfolger hätte im Anschluss daran immer noch die dreimonatige Winterpause, die restlichen sechs Spiele des Grunddurchgangs sowie die Qualifikationsgruppe zur Verfügung, also 50% aller Saisonspiele nebst Punktehalbierung.
Apropos: das Kalkül der Führungsriege der SV Ried liegt auf der Hand: wenn man die Punktehalbierung nach dem Ende des Grunddurchgangs berücksichtigt, liegt man aktuell nur einen Punkt hinter Hartberg sowie drei Punkte hinter der WSG, Rapid, Klagenfurt und Wolfsberg. Ein Rückstand, der sich in der Qualifikationsgruppe binnen kürzester Zeit noch aufholen ließe. Dass man aufgrund der Punktehalbierung mitunter auch große Abstände gutmachen kann, hat der kommende Gegner aus Altach in der Vorsaison bewiesen. Die Vorarlberger beendeten die Saison 2021/22 am Ende sogar vor den Riedern, obwohl sie vor der ominösen Punktehalbierung noch 16 Punkte hinter den Innviertlern gelegen waren.
Gewappnet für die 2. Liga
Historisch gesehen agiert die SVR jedoch im Frühjahr mit großer Regelmäßigkeit deutlich schwächer als im Herbst, was in dieser Saison dann auf den worst case hinauslaufen würde. Je länger man weiterhin keine Tore erzielt und nicht regelmäßig punktet, desto größer werden auch die zwischenzeitlichen Abstände zum Mittelfeld der Tabelle, desto größer wird naturgemäß auch die Unruhe im Verein. Hier wird sich dann anhand der Entscheidungen der sportlichen Führung und auch des Vorstands zeigen, ob man aus den Fehlern der jüngeren Vergangenheit gelernt hat.
Zumindest Präsident Roland Daxl scheint in wirtschaftlicher Hinsicht schon für das Szenario eines erneuten Abstiegs in die 2. Liga gewappnet zu sein. Denn im zitierten 90minuten.at-Interview kam es bei der Frage nach der wirtschaftlichen Situation zu folgender Aussage: „Ein, zwei Saisonen in der zweiten Liga würden wir auch aushalten, so gefestigt sind wir“. Ob dies auch auf die Innviertler Fan-Seele zutrifft, ist eine andere Frage. Noch hat die SV Ried in dieser Saison genügend Zeit, das sportliche Ruder herumzureißen. Am besten wäre hierbei als erster Schritt ein Sieg im Kellerduell gegen Altach. Wer auch immer dieses Duell nach 90 Minuten für sich entschieden haben wird, anschließend wird es mit Sicherheit heißen: war das nun das Endspiel für Heinle – oder Klose?