Im Schatten des Erfolgszwangs: Wieso die Taktik ausstirbt
Die absoluten Topklubs vernachlässigen den Aspekt der Taktik immer mehr. Taktische Wunderdinge präsentieren nicht erst seit Real Madrids Finaltriumph eher die Klubs aus der zweiten Reihe. Von Sascha Felter
Ist das vielleicht der neue taktische Trend? Der Mannschaft einfach eine grobe Richtung vorgeben nach dem Motto: „Wenn ihr Ballbesitz habt, ist das in Ordnung, wenn nicht, ist es auch nicht so schlimm. Hauptsache wir stehen einigermaßen stabil und gewinnen das Spiel.“ Verwerflich ist dieser Ansatz in einem Ergebnissport wie Fußball, einem low scoring game, bei dem ein Treffer bereits zum Sieg reichen kann, sicher nicht. Gerade in der heutigen Zeit in der es fast ausschließlich darauf ankommt, Titel zu gewinnen und die Vereine als Unternehmen gesehen werden, die damit Umsatz generieren sollen. Real Madrid war nach Jahren der Selbstfindung mit der Verpflichtung José Mourinhos anzusehen, dass sie sich nach La Décima sehnen und mit der Gewinn des Titels über allem steht. Mourinho, der seitjeher für defensiven Fußball mit Umschaltfokus steht bei einem Weltclub wie Real Madrid.
Zidane erreichte mit seinen Titelgewinnen in eineinhalb Jahren als Cheftrainer der Königlichen etwas Außergewöhnliches. Dass Zidane mit einer anderen Mannschaft ähnlich erfolgreich gewesen wäre, ist fraglich. Der Franzose hat ohne Zweifel den besten Kader aller Zeiten zur Verfügung und war eher Moderator des Ensembles als Taktik-Tüftler. Das mag gut gehen, wenn man einen Kroos, Modric und Cristiano (und ein Dutzend weiterer herausragender Spieler) zur Verfügung hat, die schlichtweg über ihre individuelle Qualität Spiele entscheiden können. Das ist kein taktisches Meisterwerk sondern einfach nur das Glück eines Trainers in einem solch gut geführten Verein zu arbeiten. Für einen Triple gewinn reicht das weiß Gott nicht, weshalb es Zidanes Moderationskünste sind, die man ihm am höchsten anrechnen muss. Er hat es schlichtweg geschafft das vorhandene Material sehr gut einzusetzen und sein Team so zu motivieren, dass sie in den entscheidenden Spielen ihre Leistung erbrachten.
Die zweite Reihe übernimmt
Dieser Stil mag bei Vereinen wie Atlético Madrid, RB Leipzig oder bei der Serie-A-Überraschung Atalanta Bergamo nicht funktionieren und Zidane macht bisher nicht den Eindruck als könne er ein junges Team mittel- bis langfristig entwickeln. Aber dafür gibt es eben genauso Trainer die auf einem solch hohen Niveau nicht bestehen (siehe André Villas-Boas, Manuel Pellegrini oder David Moyes). Gerade Spitzenvereinen wie Manchester United, Chelsea oder PSG ist es ungemein wichtig Trainer zu finden, die explizit für dieses hohe Niveau geschaffen und darin geübt sind mit großen Stars umzugehen. Trainer wie Ancelotti, Zidane, Allegri und Mourinho werden geholt um Titel zu gewinnen. Die Entwicklung einer Spielphilosophie steht dabei an zweiter Stelle. Trainer, die die Umsetzung einer Philosophie mit Erfolgen verbinden, sind im Weltfußball rar gesät. Guardiola, Tuchel, Sampaoli, Simeone oder Schmidt sind hierbei die leuchtenden Beispiele. Aber auch sie müssen immer wieder ihre Arbeit verteidigen, wenn der Erfolg ausbleibt. Was die zweite Gruppe allerdings von der „Moderatoren-Gruppe“ unterscheidet, ist die Tatsache, dass beispielsweise ein Zidane wenige Argumente auf seiner Seite hat, wenn der Erfolg irgendwann ausbleibt.
Aufgrund dieser aktuellen Entwicklung ist es nicht verwunderlich, dass die „zweite Reihe“ aus den jeweiligen Ligen sich über spielerische Finesse definiert. Ob nun der BVB, der SSC Neapel, Sevilla oder Monaco: Sie alle versuchten in der abgelaufenen Saison ihre vergleichsweise geringe individuelle Klasse durch eine passende Taktik zu kompensieren. Irgendwo auch logisch, dass die zweite Reihe so handelt. Ausgerechnet die Premier League, die seit Jahren eigentlich als taktikfreie Zone galt, ist mittlerweile in der Spitze diesbezüglich gut aufgestellt. Chelsea, Tottenham, Manchester City oder Liverpool haben allesamt Trainer, die eine akribische taktische Arbeit auszeichnet. Nachdem die Engländer jahrelang dem Trend hinterher liefen, indem sie nämlich vorwiegend „Moderatoren-Trainer“ verpflichteten, scheint sich das Blatt nun zu wenden.
Ergebnisdenken dominiert
Der Ansatz, eine Mannschaft taktisch wie spielerisch nach einem Grundkonzept zu entwickeln, scheint aktuell vom Ergebnisdenken der Branchenführer ins Abseits gedrängt zu werden. Der Wunsch nach sofortigem Erfolg scheint für die großen Vereine über allem zu stehen. Wenn man kein Spielkonzept hat, kauft man sich einfach Spieler, die ein solches obsolet erscheinen lassen. Aus dem Schatten der Spitzenteams können sich daher Clubs mit einer klaren Philosophie entwickeln, um vermeintlich Anschluss an Real Madrid & Co. zu halten. In Wirklichkeit ist es kurz- bis mittelfristig für Vereine wie Dortmund, Neapel oder Atlético jedoch nicht möglich, den Ligaprimus dauerhaft gefährlich zu werden. Im Zweifel kaufen diese eben noch mehr Qualität zu, um den taktischen Nachteil zu kompensieren. Insofern dürfte die nächste taktische Revolution von Oben noch ein paar Jahre auf sich warten.