Goldene Zukunft? Mitnichten!

Der Fußball hat das Beste noch vor sich? Nicht, wenn man Christof Ruf glaubt. Der deutsche Autor sieht in seinem neuen Buch den globalen Kick vielmehr in Richtung Abgrund taumeln.

Gelesen von Jürgen Zacharias

 

Fragt man die einen, erlebt der Fußball rund um den Globus gerade eine Hausse, die ihresgleichen sucht. Ausverkaufte Stadien, florierende Merchandising-Geschäfte, mit China und generell Südostasien wird ein extrem lukrativer Markt gerade erst so richtig angezapft und die TV-Gelder schnellen zumindest in den großen Ligen und im internationalen Geschäft in exorbitante Höhen. Fragt man andere, werfen aber gerade diese vermeintlichen Indikatoren des weltweiten Kick-Höhenflugs einen langen Schatten. Einen, in dem sich der Fußball über kurz oder lang zu verlieren droht, wie der deutsche Buchautor Christof Ruf in seinem neuesten Werk „Fieberwahn – Wie der Fußball seine Basis verliert“ (Verlag Die Werkstatt, 192 Seiten) erklärt.

In 17 Kapiteln beschreibt er, wie es hinter der glitzernden Fassade des Profifußballs brodelt. Er berichtet von Fans, die sich schikaniert und entmündigt fühlen und Dauerkarten bei Bayern und Co nur mehr deshalb halten, um beim Vorverkauf auf die richtig großen Spiele in der Champions League-Schlussrunde nicht leer auszugehen. Er beschreibt die Wut und Ohnmacht vieler Klubs in den Unterligen, die sich zugunsten der kickenden Elite um jede Chance zur sportlichen Entwicklung und zum Aufstieg beraut und stattdessen mit einem täglichen Überlebenskampf konfrontiert sehen. Aber er schildert auch konkrete Fallbeispiele, wie dem vielen Geld zum Trotz Umwege um die große Kommerzialisierungswelle zum Erfolg führen können.

 

Manche Inhalte sind interessierten Fußballfans zumindest in Grundzügen bekannt (der Faktor Fans im Vereinsleben des FC St. Pauli und Freiburgs Kampf gegen die 50+1-Regelung um nur zwei Beispiele zu nennen). Anderes ist neu und wieder anderes fand so zumindest in Buchform bisher kaum Berücksichtigung. „Manche Medien haben derart Spaß am Thema ‚Fangewalt’, dass sie selbst dann darüber berichten, wenn gar nichts passiert ist“, widmet sich Christof Ruf im Kapitel „Apocalypse wow!“ beispielsweise dem Thema der hochgedrehten Medienberichterstattung, die in den vergangenen Jahren zum steten Begleiter von Fußballspielen geworden ist. Eigentlich war der Aufstieg des deutschen Traditionsvereins Carl Zeiss Jena in der vergangenen Saison ein mehrstündiges Fußball-Highlight, medial war aber von kriegsähnlichen Zuständen die Rede. „Wer liest, was tags darauf manche Medien berichten, kann nur fassungslos sein. Auch und gerade, wenn er selbst Journalist ist und an dem besagten Tag von zwölf Uhr mittags bis spät abends an den Orten des Geschehens war“, schreibt Ruf. Und weiter: „Denn der geradezu rührend friedlich gefeierte Drittliga-Aufstieg von Carl Zeiss Jena im Juni 2017 wurde skandalisiert. Manche Zeitung schrieb von ‚hunderten’ Krawallmachern, der Sportbuzzer erhöhte auf ‚tausende’. In Wahrheit gab es keinen einzigen, aber wen interessieren solche Nuancen, wenn Fanrandale gerade en vogue sind?“

 

Genau, wer interessiert sich schon für derartige Nuancen? Oder dafür, ob Berichte den Tatsachen entsprechen oder jeder Grundlage entbehren? Gegen den modernen Fußball lautet ein plakativer Slogan in vielen Fankurven. Nach der Lektüre von Christof Rufs Werk will man diese Wörter gerne noch um einige Eckpunkte ergänzen. Das ernüchternde Fazit des Autors: Der Fußball sägt gerade den Ast ab, auf dem er sitzt. Und wohl nichts beschreibt dieses Sinnbild besser als Kapitel 15, in der von eingefleischten Liverpool-Fans die Rede ist, die sich ein Heimspiel von Borussia Dortmund live im Stadion geben. Auch, weil sie gerne anderswo Stadionatmosphäre genießen. Vor allem aber, weil ihnen der Trip nach Deutschland inklusive Unterkunft und Eintrittskarte günstiger kommt, als ein Auswärtsspiel ihrer Mannschaft bei West Ham, Chelsea oder Arsenal im knapp 300 Kilometer entfernten London. Willkommen im modernen Fanalltag? Oder nur ein weiterer Schritt in Richtung Ende des Volkssports Fußball?