92 Mal England

Florian Sauer hat seine Leidenschaft zu einer Mission gemacht: Über zwölf Jahre hinweg hat der in Wien lebende deutsche Stadionsammler in den insgesamt 92 Spielstätten der vier englischen Profiligen Spiele gesehen und seine Erlebnisse nun in Buchform gepresst.

Gelesen von Jürgen Zacharias

 

Englands Nationalteam hat weiß Gott schon erfolgreichere Zeiten erlebt. Seit dem WM-Triumpf 1966 sind Dekaden voller Niederlagen und Enttäuschungen ins Land gezogen. Klar, dass man in solch einem Tief gerne auf historische Erfolge zurückblickt, da sind die Engländer uns Österreichern gar nicht so unähnlich. Während wir hierzulande in solchen Fällen aber gerne auf das Wunderteam zu sprechen kommen, auf Cordoba und schließlich wieder auf das Wunderteam, gehen die Insel-Ballesterer noch einige Jährchen weiter zurück. Ins Jahr 1579. Damals soll laut den Archiven der 800 Jahre alten Eliteuniversität in Cambridge in der Stadt eine Art Fußballspiel stattgefunden haben, das mit einer Massenschlägerei zwischen Studenten und Stadtbewohnern geendet habe. So richtig erbaulich sei das alles nicht gewesen, trotzdem gilt die Gemengelage heute als so etwas wie der Kristallisationspunkt der modernen Kickerei, die mit den Cambridge Rules knapp drei Jahrhunderte später 1848 auch ein erstes Regelwerk verpasst bekam.

Warum wir das erzählen? Weil ohne diese Geschichte heute kein Rapid Wien, kein Bayern München und vor allem kein Kick auf der Insel denkbar wäre. Man muss sich das auf der Zunge zergehen lassen: Die milliardenschwere Premier League existiert heute nur deshalb, weil sich irgendwann im kleinen Cambridge Verrückte um einen Ball rauften und Florian Sauer konnte nur deshalb Mitglied im „Club 92“ werden, weil die Balgerei bei den sonst so smarten Engländern auf Gefallen stieß. Club 92 – noch nie gehört? Kein Wunder, diesem elitären Club gehören schließlich nur etwas mehr als 1.000 Fußballfans an, die Besuche in allen Spielstätten der 92 Mannschaften der vier englischen Profi-Ligen vorweisen können.

 

Der in Wien lebende Exil-Deutsche Florian Sauer startete seine Mission bei einem League Cup-Spiel Charlton Athletic vs Oxford United im Jahr 2002 und näherte sich dann über den Selhurst Park von Crystal Palace, die Loftus Road, den Boleyn Ground und die Stamford Bridge Stadion für Stadion seinem großen Ziel. In seinem nun erschienenen Buch „92 – Eine Reise durch das Mutterland des Fußballs“ widmet er jedem Groundbesuch ein Kapitel und beschreibt darin nicht nur die jeweilige Stadiongeschichte, sondern liefert auch Historisches zu den teilnehmenden Mannschaften. Der Leser erfährt so zwischendurch immer wieder Wissenswertes: Etwa dass der Goodison Park von Everton das erste rein für Fußball gebaute Stadion Englands war. Oder, dass Juventus Turin seine Vereinsfarben dem kleinen Notts County verdankt. 1903 habe ein englischer Spieler in Diensten von Juventus einen Satz Trikots aus seiner Heimat besorgt, woraufhin Juve die Vereinsfarben einfach übernommen hat und weshalb Notts County mehr als hundert Jahre später im Eröffnungsspiel des neu gebauten Juventus Stadium Sparringpartner für die „Alte Dame“ spielen durfte.

 

Klar, dass bei einer derart persönlichen Mission, wie sie Florian Sauer verfolgt hat, in der Erzählung auch seine Erlebnisse rund um die Stadionbesuche nicht zu kurz kommen dürfen. Und so nimmt der Leser mit dem Groundhopper im Pub Platz. Gemeinsam werden Burger und Pints verdrückt (das entsprechende Kombi-Special in den Wetherspoons-Lokalen scheint eine echte Empfehlung zu sein) und die Stadien – Wind und Wetter zum Trotz – umrundet. Ohne akklimatisieren macht der Ground-Entry nur halb so viel Spaß und ja, irgendwann ist dann auch von den Cambridge Rules die Rede und den englischen Kick-Wurzeln, die all den Aufwand (die Kosten für Tickets, Flüge und Nächtigungen schätzt der Autor übrigens auf „weit mehr als 10.000 Euro“) erst heraufbeschworen haben.

 

Ein Kritikpunkt sei zum Abschluss dennoch gestattet: Die Tour der 92 ausgerechnet mit einem Besuch beim Retortenklub Milton Keynes Dons (Nachfolger des legendären FC Wimbledon) abzuschließen ist dann doch ein wenig schade. Aber wie sagt man so schön: Im Nachhinein fragt niemand mehr wie das Ziel erreicht wurde. Hauptsache es wurde erreicht und das ist Florian Sauer mit einer kleinen Prise Fußballverrücktheit und einer etwas größeren Portion Beharrlichkeit durchaus erfolgreich gelungen und im vorliegenden Buch auch wunderbar nachzulesen.

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