Es sind zwei Bilder, die uns Jahre später zuerst in den Sinn kommen werden, denken wir an diese EURO 2024 zurück.
Der gesamte ÖFB-Kader, der nach dem Sieg gegen die Niederlande Arm und Arm vor einer Wand rot-weiß-roter Fans steht und mit ihnen gemeinsam "I am from Austria" singt. Und Christoph Baumgartner, der nach dem Aus gegen die Türkei an der Schulter von David Alaba bittere Tränen vergießt.
Es sind zwei Bilder, die exemplarisch für diese drei Wochen des ÖFB-Teams in Deutschland stehen. Mögen die Gefühlslagen komplett konträr sein, so eint sie doch der Geist, unter dem das österreichische Auftreten bei dieser Endrunde stand. Zusammenhalt.
Das sei mehr eine Vereins- als eine Nationalmannschaft, war in den vergangenen Tagen aus mehreren Ecken zu hören. Diese Feststellung kann auf verschiedene Arten interpretiert werden, korrekt ist sie in vielerlei Hinsicht.
Da wäre die taktische Komponente. Ralf Rangnick fand als Teamchef eine Mannschaft mit vielen Vertretern der von ihm initiierten Red-Bull-Schule vor. Die Basis, seinen präferierten Stil umsetzen zu können, wurde schon vor Jahren geschaffen.
Es gilt in den kommenden Jahren Unterschiedsspieler zu entwickeln
Auf diesem beachtlichen Grundstock spielphilosophischer Homogenität aufbauend, ist es ihm gelungen, ein Team zu formen, dass trotz der stets kurzen Zusammenkünfte des Nationalteams auf taktischem hohem Niveau agiert.
Es ist kein Zufall, dass viele – einer patriotischen Voreingenommenheit unverdächtige – internationale Taktik-Experten das frühe Aus Österreichs in ihren Kommentaren ehrlich betrauerten, weil es eben Spaß macht, dieser Mannschaft beim Kicken zuzusehen.
Dass, vor allem mit dem Ball, noch Luft nach oben ist, darf nicht unerwähnt bleiben. Es ist der nächste Schritt, den das Team in seiner Entwicklung nehmen muss, will es auf hohem Niveau noch besser reüssieren.
Dieser Schritt ist der wohl schwerste im modernen Fußball. Defensive Organisation kriegen viele hin. Das ÖFB-Team vermag sie mit seinem Pressing und der Vertikalität im Umschaltspiel gut auszuhebeln, aber eben nur dann, wenn der Gegner nicht zu tief steht und die Räume dafür vorhanden sind.
Es gilt in den kommenden Jahren Unterschiedsspieler zu entwickeln, die mit außergewöhnlichen Fähigkeiten auch Lücken im von Gegnern geparkten Bus finden. Einzelkönner für die besonderen Momente.
Das bedeutet nicht, dass dadurch das Kollektiv in Mitleidenschaft gezogen wird. Denn für den österreichischen Spielstil – das ohne zu übertreiben schreiben zu können, ist großartig – ist ein funktionierendes Kollektiv elementar. Das Schwarmverhalten gegen den Ball funktioniert nur dann, wenn alle Rädchen ineinandergreifen.
Niemand glaube, größer als die Mannschaft zu sein, sagte Rangnick unlängst. Das gilt auf und abseits des Platzes, womit wir wieder beim Zusammenhalt angekommen wären.
Die vielen, aufwendigen Meter, die ihm ganz gewiss keinen Spaß machen, von Marko Arnautovic im ständigen, aggressiven Anlaufen in der vordersten Pressinglinie sind eindrucksvoller Beleg für das Commitment jedes einzelnen.
Österreich hat mit seiner Nationalmannschaft mitgefiebert, mitgefeiert, mitgeträumt, mitgelitten
Diese Mannschaft ist eine Einheit, kein zusammengewürfelter Haufen Einzelkämpfer, die halt zufällig die besten Fußballer ihres Landes sind. Wer die Szenen nach dem Aus gegen die Türkei beobachtet hat, weiß, was dieses Team jedem einzelnen von ihnen bedeutet.
Von David Alabas tröstender Schulter, dessen Anwesenheit während des ganzen Turniers keine Selbstverständlichkeit ist, angefangen bis zu den Tränen Flavius Daniliucs, der sich mangels Einsatzchancen emotional durchaus von dieser Einheit entfernen hätte können, das aber nicht tat.
Der Kontrast zur italienischen Nationalmannschaft, die gefühlt schon in der Nachspielzeit der Partie gegen die Schweiz im Kopf bei den persönlichen Urlaubsplänen war, könnte größer kaum sein.
Dieser gemeinschaftliche Funke ist übergesprungen. Österreich hat mit seiner Nationalmannschaft mitgefiebert, mitgefeiert, mitgeträumt, mitgelitten. Die Stimmung daheim und unter den mitgereisten Fans hat das Team via Social Media und natürlich in den Stadien in Düsseldorf, Berlin und Leipzig erreicht, hat es berührt.
Es braucht diesen Zusammenhalt, um Momente für das kollektive Gedächtnis zu schaffen. In dieses kollektive Gedächtnis wird sich nach dem Aus bei der EURO 2024 einprägen, dass miteinander zu träumen viel Kraft erzeugen kann, und dass miteinander zu trauern viel Kraft geben kann.