Ist es respektlos die Wahrheit zu sagen?

Der Deutsche Ralf Rangnick kritisiert das Niveau der österreichischen Liga. Die Reaktionen darauf erklären womöglich, warum man sich hier mit Weiterentwicklung eher schwer tut. Ein Kommentar von Gerald Gossmann

 

Salzburgs Sportdirektor Ralf Rangnick hat wieder einmal Klartext gesprochen. Im Wortlaut: „Es spricht zwar für Altach, dass sie oben mitspielen können, obwohl sie gerade erst aufgestiegen sind. Aber es spricht natürlich nicht für das Gesamt-Niveau der Liga.“ Rangnick tätigte diese Aussage in einem Sky-Bericht, den der Rapid-Trainer Zoran Barisic im Studio mitverfolgte. Barisic´ Reaktion: „Es ist sehr respektlos, den Höhenflug der Altacher mit dem sinkenden Niveau der Liga in Verbindung zu bringen. Das ist unfair gegenüber Damir Canadi und seiner Mannschaft.“


Man muss hier anhalten, auf Zeitlupe schalten und sich mit den beiden Aussagen genauer beschäftigen. Denn: da wird etwas durcheinander gebracht. Rangnick sagt sinngemäß: Es ist beachtlich, dass der Aufsteiger um die Champions League-Plätze mitspielt. Und meint damit: Beachtlich für den Aufsteiger. Was er auch meint: Weniger beachtlich für die Liga, deren wesentlich finanzkräftigeren Großklubs das einfach so zulassen. Barisic dagegen will aber verstehen, dass Rangnick seinen Trainer-Kollegen Canadi beflegelt, indem er seinen Klub Altach für das sinkende Niveau der Liga verantwortlich macht.


Eigentlich macht Rangnick aber Rapid, die Austria oder Sturm Graz, eventuell sogar seinen eigenen Klub Salzburg dafür verantwortlich, dass der Aufsteiger den Großen markieren kann. Rangnick lobt den Aufsteiger und tadelt die Großklubs. Womöglich möchte Barisic die Aussage Rangnicks sogar falsch verstehen, weil er sich sonst rechtfertigen müsste, warum der Aufsteiger Altach nach Verlustpunkten punktegleich mit seinem wesentlich finanzstärkeren Klub Rapid auf Rang 2 liegt. Noch mehr geht die Kritik aber in Richtung Austria oder Sturm, die mehr oder weniger weit abgeschlagen hinter dem Aufsteiger liegen. Womöglich – und das bedenken die Kritiker des Kritikers Rangnick gar nicht – geht die Kritik am Niveau der Liga sogar in die eigene Richtung, in Richtung Salzburg.


Rangnicks Verein hat diese Saison bereits zwei von drei Spielen gegen den Aufsteiger verloren. Und wer Rangnick kennt, der weiß, dass er kritisiert, was er für verbesserungswürdig hält – egal ob es sich dabei um die österreichische Liga oder den eigenen Klub handelt. Barisic und andere, die dem Deutschen jetzt respektlose Großspurigkeit vorwerfen, wollen eine Attacke, einen Angriff, eine Beleidigung erkannt haben. Aber warum muss ein Verweis auf ein hinlänglich bekanntes Problem – nämlich das schwächelnde Niveau der Liga – als Beleidigung oder gar als Angriff aufgefasst werden, der bloßes Schmollen zur Folge hat? Und warum nicht als Denkanstoss, der einen konstruktiven Prozess in Gang bringt. Als Denkanstoss, der die Großklubs einmal das Unaussprechliche aussprechen lässt. Es ist nämlich offensichtlich, dass die drei Großklubs hinter Salzburg jedes Jahr erneut bei null beginnen und eine kontinuierliche Linie nur selten wahrnehmbar scheint.

 


Rangnick erzählte einmal in einem Interview mit „Spiegel online“ über Konflikte, die er in seinen Vereinen immer wieder auszutragen hatte. Wortwörtlich sprach er: „Manchmal wurde da nicht so gearbeitet, wie ich mir das vorstelle, deshalb hat es geknistert. Es hieß nicht, klasse, an was der Rangnick alles denkt, sondern: Was will der denn jetzt? Warum beschwert der sich über die Rasenlänge oder fragt, warum wir fünf Stunden ins Trainingslager fahren und schlechtere Trainingsbedingungen haben als zu Hause?“

 


derStandard.at: Laut dem Salzburger Sportdirektor Ralf Rangnick spricht der Erfolg von Altach gegen das Niveau der Liga....

Posted by Qualitätsjournalismus für Qualitätsfußball on Dienstag, 7. April 2015

Warum also wird auch jetzt seine Kritik am schwächelnden Niveau der Liga als Angriff eines Deutschen gegenüber seinem Gastgeberland aufgefasst? So und ein wenig anders wird es jedenfalls in vielen Internetforen formuliert. Das wiederum gibt zu denken. Denn warum wird eine Kritik an einem hinlänglich bekannten Umstand nicht als solche verstanden sondern zum respektlosen Angriff umgedeutet? Aber im Grunde macht das nur ein allzu österreichisches Phänomen deutlich. Auch, wenn es allen bewusst ist und die Gründe dafür Großteils bekannt sind, aussprechen sollte man sie nicht.


Kein Österreicher, schon gar nicht ein Deutscher, schon gar nicht der Sportdirektor des verhassten Red Bull Salzburg, das noch dazu selbst zweimal gegen Altach den Kürzeren zog. An konstruktive Kritik, frei von persönlichen Befindlichkeiten, eventuell aus eigenem Fortschrittsdrang heraus, vielleicht sogar den eigenen Klub miteinschließend, will hier niemand glauben. Da schon eher an eine Beleidigung, eine Respektlosigkeit. Aber ist es respektlos, die Wahrheit auszusprechen? Oder wäre es gar respektloser (gegenüber allen, denen der österreichische Fußball am Herzen liegt) sie zu verschweigen?


Vielleicht liegt das schwächelnde Niveau der österreichischen Liga gar darin begründet. Eine Szene, die eine Kritik nicht reflektiert sondern empört als Pöbelattacke abtut, die jeden Denkanstoss als Anpatzerei empfindet, kann sich im Grunde gar nicht weiterentwickeln.

 

>>>Nachlese: Barisic über Rangnick: "Das ist sehr repsektlos">>>