Wer bin ich? Sturm Graz sucht sich selbst

Sturm Graz ist seit einem Jahr auf der Suche nach sich selbst. Dabei scheitert das Vorhaben immer wieder aufs Neue an groben Fehlern und persönlichen Befindlichkeiten. Von Gerald Gossmann

Es war kurz nach der Beurlaubung von Trainer Peter Hyballa, als noch jemand abtrat. Friedrich Santner, Unternehmer und Aufsichtsratsvorsitzender bei Sturm Graz, hatte genug gesehen. Genauer gesagt: Er hatte Gludovatz, Houben, Tumani und Hyballa zu Saisonbeginn kommen gesehen. Und jetzt war keiner der Eckpfeiler, die eine neue Philosophie umsetzen sollten, mehr auf seinem Posten. Houben ging freiwillig. Gludovatz schien als Sportdirektor überfordert und ging auch. Tumani und Hyballa gingen unfreiwillig. Der Aufsichtsratsvorsitzende sah die Wirtschaftlichkeit des Vereins gefährdet, erklärte er kurz nach seinem Rücktritt. Santner ist Geschäftsführer der Paar AG. Unter ihm hat sich das Unternehmen verdreifacht. Santner gilt seitdem als erfolgreicher Unternehmer, der rechnen kann. Dass der Verein die Verträge von Hyballa und Tumani bis zu ihrem Ablauf 2014 weiterzahlen müsse, hatte er also im Handumdrehen bemerkt. Er sei jemand, der Probleme beseitigen und nicht einfach Personen entlassen möchte, erklärte er bei seinem Abtritt.


Beleidigte Reaktion
Die restliche Sturm-Führung kam zu anderen Schlüssen. Hinter vorgehaltener Hand sprach man von sozialer Inkompetenz der beiden Deutschen. Offiziell spricht kein Sturm-Verantwortlicher davon. Das Statement für die Öffentlichkeit lautet: Hyballa konnte die Mannschaft sportlich nicht weiterentwickeln. Die Trennungsmodalitäten sehen vor, dass beide Seiten keine Schmutzwäsche waschen. Stillschweigen also. Dabei gäbe es viel zu erzählen. Vor allem von persönlichen Befindlichkeiten. Als Peter Hyballa Trainer in Graz wurde, gefiel das naturgemäß nicht allen. Für die Medien gab es nicht mehr die gewohnten Informationen wie noch unter Vorgänger Franco Foda. Darauf reagierte die Lokalpresse nahezu kollektiv beleidigt. Mario Haas verlor die letzte Hoffnung auf eine Verlängerung seiner Spielerkarriere. Auch er reagierte beleidigt. Markus Schopp wäre nach dem Aufstieg Tumanis zum sportlichen Leiter beinahe zum Co-Trainer der Kampfmannschaft aufgestiegen. Hyballa winkte aber ab, mit der Begründung, dass Schopp noch viel zu lernen hätte. Dazu bemängelte er seine Arbeit im Nachwuchs und ermahnte ihn, nachdem er während der Saison-Vorbereitung mit den Amateuren seinen Urlaub ansetzte. Auch Schopp reagierte beleidigt.


Auf der anderen Seite sollen sich Spieler regelmäßig auf der Geschäftsstelle über den Trainer beklagt haben. Die wirtschaftliche Geschäftsführerin Tscherk gibt an, von Fans beschimpft worden zu sein. Ein Haufen an Mails trudelte auf der Geschäftsstelle ein. Wütende Hyballa-Proteste. Auch Sponsoren seien zunehmend verärgert über den Deutschen gewesen. "Wir haben schon gesehen, dass Druck ausgeübt und gesagt wurde: Wenn der Hyballa noch länger da ist, dann müssen wir unser Engagement überdenken", versucht Präsident Jauk zu rechtfertigen. Zuschauerzahlen seien eingebrochen, auch der Fanartikel-Verkauf, erklärt Tscherk. Viele persönliche Befindlichkeiten also. Gebündelt. „Hyballa hat alles kaputt gemacht", sagte ein Spieler, der anonym bleiben wollte in der Steirerkrone. Die Vereinsführung dachte anscheinend ähnlich. Das Scheitern Hyballas – egal aus welchen Gründen - bringt aber zuallererst die Sturm-Verantwortlichen selbst in Erklärungsnot.


Was jetzt? Schnell nach vorne oder abwartend defensiv?
Christopher Houben erzählt gegenüber laola1.at, dass es ein unzureichendes Trainer-Anforderungsprofil vor der Hyballa-Bestellung gab. „Vielleicht haben wir uns da zu wenige Gedanken gemacht, es nicht genau spezifiziert und die Suche dementsprechend auch nicht zielgenau abschließen können." Auch in Salzburg soll Hyballa menschlich angeeckt sein. Erkundigt hat sich von Sturm dort niemand. Dazu kommt: Mit Hyballa standen vergangenen Sommer auch drei andere Kandidaten als Sturm-Trainer zur Wahl. Auch Markus Schopp. Die Idee wurde aber verworfen, weil mit Ivica Vastic gerade ein anderer Trainer-Neuling grob gescheitert war. „Als Laie hätte ich gesagt: Man kann beide nehmen", meinte Friedrich Santner im Rahmen des Sturm12-Stammtisch jetzt.


Und genau darin zeigt sich die Problematik deutlich auf. Hyballa und Schopp verfolgen zwei gegensätzliche Fußballphilosophien. Hyballa mag lieber hoch stehen, frühes Pressing und schnelles Umschalten. Schopp betonte, tiefer stehen zu wollen und eher abwartend zu agieren. Das sind zwei verschiedene Fußballphilosophien. Aber welche wollte Sturm Graz verfolgen, als man vergangenen Sommer einen Trainer verpflichtete? Es ist davon auszugehen, dass man keine Idee hatte, wie Sturm zukünftig Fußball spielen soll, wenn Schopp und Hyballa, laut Santner, die gleichen Chancen für den Job hatten, aber gegensätzliche Ansätze verfolgen. Genau dort beginnt aber das Problem, das viele Vereine in Situationen führt, die sie sich dann selbst nicht erklären können. Aus gutem Grund. Es ist zwar davon auszugehen, dass sich die damals handelnden Personen Houben und Gludovatz durchaus bewusst für die Spielidee Hyballas entschieden. Von dem Duo ist aber keiner mehr übrig. Gerhard Goldbrich entschied sich für Markus Schopp. Und der Zustand, dass der Verein keine Philosophie definiert, die verfolgt werden soll, unabhängig vom Trainer, wird gerade eben zum groben Problem. Sturm Graz hat unter Markus Schopp aus sechs Spielen fünf verloren. Die Gründe erklärt Schopp auf Radio Steiermark: „Die Mannschaft hat unter Peter Hyballa sehr oft diese kurzen Laufwege gehabt. Das heißt: Balleroberung, schneller Abschluss. Speziell in meiner Zeit, in der unsere Trainingsidee begonnen hat, haben die Spieler bemerkt, dass diese frühen Balleroberungen nicht mehr stattfinden. Dadurch wurden die Wege zum gegnerischen Tor immer länger. Da hat man gemerkt, dass der ein oder andere Spieler mit diesen längeren Wegen zum Torabschluss seine Probleme hatte." Was sich damit klar zeigt: Die Sturm-Führung veränderte mitten in der Saison also nicht nur den Trainerstab sondern auch die angestrebte Fußballphilosophie. Die jetzigen Probleme scheinen hausgemacht.


Ein User als Scout
Auch in der Nachwuchsarbeit scheint man sich nicht ganz einig zu sein, wohin sich Sturm Graz entwickeln soll. Gerhard Goldbrich betont, dass der Verein im Besitz eines 200 Seiten starken Dossiers sei, das die Nachwuchsarbeit definiert. Sturm soll zur Karriereplattform werden, die die besten Talente des Landes anzieht, lautete das Ziel. Auf der anderen Seite beklagte sich Peter Hyballa über die Arbeit von Amateurtrainer Schopp, der immer öfter Spieler von oben forderte um unten zu gewinnen. Was im Grunde den Sinn der Nachwuchsarbeit konterkarierte. Hyballa, langjähriger Nachwuchstrainer, wollte ausgebildete Spieler nach oben ziehen. Schopp wollte in der Tabelle der Amateure nach oben klettern.


Vieles bei Sturm scheint nicht klar definiert. Die geschaffene Struktur erscheint viel zu oft inhaltsleer. Auch Christopher Houben bestätigt das auf laola1.at. Viele Bereiche seien nie genau definiert worden. Auch das Scouting des Vereins. Friedrich Santner erklärte beim Stammtisch des Online-Portals Sturm12.at: „Es ist kein professionelles Scouting, wenn ich einen Spieler einmal gesehen habe." Und er fügt an: „Einer der besten Scouts ist ein Sturm12-User, der uns immer wieder sehr wertvolle Hinweise liefert, wen man holen könnte. Und es sind ja auch durchaus Spieler da, die von ihm empfohlen wurden. Man muss viel früher anfangen und das systematisch und professionell machen."


Zwischen Sturm-Neu und Sturm-Alt
Sturm Graz sucht sich nach einem Jahr Findungsprozess weiterhin selbst. Noch immer ist die Spielweise unter Ivica Osim präsent in der Stadt, bei Fans, auch bei Vereinsverantwortlichen. Dort will Sturm hin, weil auch die Ära Foda zeigte, dass Erfolg alleine in Graz nicht ausreicht. Sturm muss attraktiv spielen. Osim hat den Verein geprägt. Zugleich hat er ihn aber auch mit einem Stigma versehen. Sturm ist zur Attraktivität verpflichtet. Demnach steht auch nicht die Trainerfrage alleine im Zentrum. Sturm muss definieren, wie man wo hinwill die nächsten Jahre. Damit muss man sich auch vom Familien-Gedanken verabschieden, der Vertrauensmänner wie Markus Schopp zu schnell in führende Positionen hievt. Oft ohne genaue Definition der gewünschten Arbeitsweise. Denn so wie jetzt ist jedes weitere Sturm-Neu nur ein Sturm-Alt, in Anlehnung an eine große Mannschaft, die es so nicht mehr gibt.


g.gossmann@90minuten.at