Ist Koller wirklich unersetzbar? Eine Nation zwischen Zuneigung und Angst

Eine ganze Nation zittert um den Verbleib ihres Teamchefs. Dabei stellt sich die Frage: Warum eigentlich? Ist Koller wirklich unersetzbar oder wird nur ein schlechter Ersatz befürchtet? Eine Analyse von Gerald Gossmann


Marcel Koller hat gerade 17 Punkte aus zehn Qualifikationsspielen geholt. Mehr holte zuletzt nur Herbert Prohaska. Am Weg zur Weltmeisterschaft 1998 vor fünfzehn Jahren. Das österreichische Nationalteam hat sich entwickelt, was aber nicht schwer war. Vorgänger Didi Constantini wurde vor allem Skilehrerschmäh attestiert, aber wenig taktische Finesse. „Taktik ist überbewertet", sagte er einmal. Marcel Koller hat das nie gesagt. Das rechnet ihm jetzt ein ganzes Land hoch an. Koller hat Österreich dort hingebracht, wo es hingehört. Auf Augenhöhe mit vergleichbaren Teams.

 

Es fällt dem Österreicher derzeit schwer, den Teamchef objektiv zu beurteilen. Das liegt auch daran, weil es keine wirklichen Vergleichswerte gibt. Hans Krankl und Josef Hickersberger hatten eine andere Mannschaft zur Verfügung. Und Didi Constantini, der die gleiche Spielerauswahl hatte, hielt sich an kein Gesetz des modernen Fußballs. Marcel Koller ist der erste österreichische Teamchef in der Fußballneuzeit, der nicht aus der Steinzeit kommt. Aber macht das Marcel Koller automatisch unersetzbar?
Seine Arbeit ist gut, aber nicht makellos. Der Schweizer hat zwei Gesichter: er hat das österreichische Team zweifelsfrei weiterentwickelt, lässt ein gutes Pressing spielen. Taktische Reaktionen während des Spiels scheut er aber. Koller korrigiert Fehler oft erst ein Spiel später. Was in Österreich aber noch immer einen Fortschritt darstellt. Viele Teamchefs haben ihre Fehler nie korrigiert, geschweige denn bemerkt. Ein Fortschritt, der nach der Ära Constantini unter einem zeitgemäßen Fußballcoach aber auch zu erwarten sein musste.

 

Eine Mischung aus Zuneigung und Verzweiflung, die stutzig macht
marcel koller muss bleiben facebookÖsterreichs Fußballteam hat erstmals seit langem eine Perspektive auf Erfolg. Das ist neu für den heimischen Fußballfan. Seit Tagen gibt es in Österreich kein anderes Thema, als den Verbleib des Teamchefs. Eine Facebook-Gruppe, die sich für eine Vertragsverlängerung mit Marcel Koller ausspricht, hat bereits über 40.000 „Likes". Tendenz steigend. Das ist beachtlich. Seine Vorgänger wurden zumeist vom Hofe gejagt. Vom ÖFB und von den Fans der Nationalmannschaft. Aktuell fleht ein Teamspieler nach dem anderen öffentlich nach einem Verbleib Kollers. Von Alaba bis Janko. Das ist neu. Auch die sozialen Netzwerke gehen vor verzweifelten Bittgesuchen österreichischer Fans über. „Bleib Marcel, bitte", lautet der Tenor. Es ist genau diese Mischung aus Zuneigung und Verzweiflung, die stutzig macht. Und zunehmend scheint es so, dass viele Koller gar nicht für unersetzbar halten, sondern nur einen nicht entsprechenden Ersatz fürchten.

 

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 "Je öfter Hickersberger, Linden, Polster oder Russegger den Namen Andreas Herzog aussprechen, desto stärker möchte man Koller festhalten, ihn drücken und nach seinem Verbleib anflehen." < /div>< /div>< /blockquote >

 

Jeder Verweis auf Herzog & Co. steigert die Zuneigung für Koller
marc janko koller bleibDas ist hierzulande nämlich gar nicht so abwegig. Der Boulevard nennt seit Tagen mögliche österreichische Nachfolger und bleibt dabei an Andreas Herzog hängen. Peter Linden von der Kronenzeitung sprach sich auf ATV klar für einen Österreicher aus. Eine Begründung dafür lieferte er nicht. Christian Russegger von „Österreich" legt sich auf Andreas Herzog fest. Ebenfalls ohne Begründung. Wolfgang Winheim vom Kurier brachte Herzog schon am Tag vor dem letzten Qualifikationsmatch ins Spiel. Fachlich spricht wenig für ihn. Als U21-Teamchef blieb der Erfolg aus. Beim US-Team unter Jürgen Klinsmann ist er primär Spielerbeobachter. Ansonsten: keine Erfahrung. Eine überhastete Installierung eines Nationalidols zum Teamchef ist die große Befürchtung vieler. Daher auch die große Emotion, die sich derzeit an der Person Marcel Koller manifestiert. Je öfter Hickersberger, Linden, Polster oder Russegger den Namen Andreas Herzog aussprechen, desto stärker möchte man Koller festhalten, ihn drücken und nach seinem Verbleib anflehen.

 

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 "Die Fans fürchten einen Schmähbruder, einen Skilehrer, einen Peitschenknaller, einen der vor allem Patriot ist." < /div>< /div>< /blockquote >

 

Der ÖFB hat zuletzt dazu gelernt, aber davor Vertrauen verspielt
Dabei scheint ein seriöses Teamchef-Auswahlverfahren bei einem möglichen Koller-Abgang gar nicht so abwegig. Der ÖFB scheint dazu gelernt zu haben. Schon bei der Bestellung Kollers hat man den mächtigen Interessenvertretern im und um den ÖFB wenig Gehört geschenkt. Die Kompetenzen von Sportchef Willi Ruttensteiner wurden ausgeweitet, er durfte auch bei der Teamchefwahl entscheidend eingreifen. Das war davor nicht der Fall. Einmal wurde der Teamchef sogar auf Zuruf des damaligen Bundesligapräsidenten bestellt. Frank Stronach, damals gerade Austria Wien-Mäzen, wollte einen Winner Typen. Kurz darauf war Hans Krankl Teamchef. Auf ihn folgte Hickersberger, später Constantini. Basierend auf Entscheidungen von politisch besetzten Landespräsidenten - ohne Zugang zur Moderne des Fußballs. Der ÖFB hat damit viel Vertrauen verspielt. Die Ära-Constantini hat die Nationalmannschaft zurückgeworfen, anstatt nach vorne gebracht. Das verzeiht man dem ÖFB nicht so schnell. Deshalb auch die Befürchtung vieler Fußballfans vor einem neuerlichen Rückfall. Sie fürchten einen Schmähbruder, einen Skilehrer, einen Peitschenknaller, einen der vor allem Patriot ist.

 

Marcel Koller schwappt derzeit eine Welle der Zuneigung entgegen. Das ist zum einen durchaus als Ernte für Kollers Arbeit zu sehen. Zum anderen aber auch ein klares Misstrauensvotum gegen den ÖFB, dem man bei Teamchefbesetzungen nicht wirklich vertraut.

g.gossmann@90minuten.at