Austria Wien taumelt zwischen Fortschritt und Rückschritt

Auf den ersten Blick wirkt Austria Wien nach einem Klub mit moderner Philosophie und somit nach einer Ausnahmeerscheinung in Österreich. Auf den zweiten Blick ist rückwärtsgewandtes Denken präsenter als man glauben möchte.   Was hängen bleibt ist eine kla

Die Zutaten sind da. Komplett nachvollziehbar zusammengestellte Mannschaft mit einem klaren Spielsystem versehen. Alles klingt nach einem Mini-Barcelona oder – noch besser – einem Mini-Arsenal. Es klingt so, als würde die Forderung Alfred Tatars nach klaren Konzepten und damit verbundener Niveauanhebung umgesetzt werden. Von einem Spitzenklub noch dazu, der nach dem Ausstieg Stronachs vor Jahren vor einem großen weiten Nichts stand und die Neuorientierung mit klaren Konzepten bewältigte.

 

Heuer steht Austria Wien nach 29 Runden – also 7 Runden vor Schluss – auf Platz 1 der Bundesliga-Tabelle. Zwar mit mickrigen 50 Punkten und einer lächerlichen Heimbilanz, aber egal. Der Plan, das Konzept – all das scheint aufzugehen. Auf den ersten Blick jedenfalls.


Auf den zweiten Blick sieht vieles nach bloßer Fassade und wenig Substanziellem aus. Trotz Platz 1 zeigt sich die Austria zunehmend unflexibel. Das Spielsystem – das grob mit Kombinationsfußball definiert wurde – das die Austria tragen sollte, wird ihr gerade zum Verhängnis. Weil der Kombinationsfußball substanziell alleine da steht. Egal wer kommt, ob defensiv oder offensiv – das System der Austria steht wie ein behäbiger Fels in der Brandung.

 

Gegen Kapfenberg (3:3), Mattersburg (0:1) und Austria Lustenau (0:4) dominierte planloses Hin- und Hergeschiebe. Die Gegner haben längst den berechenbaren Spielstil der Austria überrissen und reagieren darauf. Die Austria bleibt standhaft und stur.

 

Die Analyse verläuft ähnlich behäbig wie das Kombinationsspiel. General Manager Thomas Parits erklärte im Jubiläumsjahr oft, dass die Austria mit dem Kurzpassspiel die große Kurzpassspieltradition der Austria der 70er Jahre fortsetzen möchte.

 

Und vielleicht liegt gerade dort der Hund begraben.

 

Denn damit ist klar: Austria Wien soll kein Mini-Barcelona oder Mini-Arsenal sein, sondern ein Austria der 70er Jahre reloaded.

 

Trainer Daxbacher wirkt orientierungslos, auch wenn ihm seine sachliche Art, mit der er nach Spielen vor Kameras tritt, oft als Führungsqualifikation ausgelegt wird. Sachliche Analysefähigkeit wird ihm regelmäßig bestätigt. Warum aber tritt die Austria immer mit den selben Fehlern auf? Ein System als solches zu benennen und es umzusetzen sind zwei verschiedene Paar Schuhe. Die Planlosigkeit, mit der die Austria versucht vors Tor zu kommen, lässt keine guten Schlüsse für die Arbeit des Trainers zu. Bei aller Seriosität, die er auch vermitteln mag.

 

Die Analysen der Austria-Funktionäre wirken immer öfter mehr rückwärts- denn vorwärts gewandt. Während in Deutschland bereits Videoanalysen in der Halbzeit durchgeführt werden, der Fußball in seine Einzelteile zerlegt wird, hält man sich in Österreich an Orakelei. Trainer Daxbacher vermutet, dass es vielleicht am Druck liegen könnte, dem die Spieler im Meisterschaftsfinish nicht standhalten. Die Austrianer haben Angst davor Meister zu werden. Anderswo war ein Grund fürs Versagen im Fehlen von Julian Baumgartner gefunden. (Gegen Lustenau war er übrigens wieder dabei.) Österreichische Medien publizieren solche Sätze gerne – es erspart jegliche seriöse Analyse.

 

Der mündige Fußballkonsument giert aber nach Analysen die darüber hinausgehen. Präsident Wolfgang Katzian wartete nach dem 0:4 gegen Lustenau den frustrierten Fans vor dem Stadion nur diese Worte auf: „Wennst ane auf´d Goschn kriegst gibt´s genau zwa Möglichkeiten. Liegen bleiben oder aufstehn. Und wir Austrianer werdn ned liegn bleiben.“

 

Manchem mag das genügen, für den Rest sind solche Worte mehr Verhöhnung. 

 

„Wenn die Gegner tief stehen, brauchst du vorne Ideen, aber die fehlen uns“, sagt Generalmanager Parits. Wer aber kein Rezept für einen tief stehenden Gegner parat hat, kann nicht ernsthaft Anspruch auf den Meisterteller erheben. Die Strategie der Gegner ist mehr legitim denn subtil. Den Grund für Niederlagen an tief stehenden Gegnern festzumachen ist im Profibereich mehr als nur kühn.

 

Parits nennt einen weiteren Grund: „Unsere Gegner wissen, dass unsere Heimbilanz nicht gut ist und wittern ihre Chance.“ Aber kann ein Gegner der sich Chancen auf den Sieg ausrechnet wirklich als Grund für eigenes Versagen angeführt werden? Nach dieser Logik hätte ja die Nationalmannschaft, mit ihrer großen Erwartungshaltung, Belgien aus dem Stadion schießen müssen.

 

Die Austria analysiert nicht, sondern liefert Ausreden ohne Substanz. „Zu meiner Zeit hatten wir einen Toni Polster“, sagte Parits diese Woche in der Sportwoche auf die Frage nach Parallelen von früher zu heute.

 

Die Frage nimmt Parits Antwort ein wenig in Schutz. Trotzdem steht am Ende wieder Rückwärtsgewandtes da.

 

Die Austria aber braucht vorwärtsgewandtes, modernes, zukunftsfähiges, strategisches und flexibles Denken. Nicht nur eine gut gemeinte Klubphilosophie ohne Handlungsspielraum.

 

Austria Wien hat in Österreich trotzdem noch alle Chancen Meister zu werden.

 

Weil sie mit einer nachvollziehbaren Einkaufspolitik und einem klar definierten, wenn auch unflexiblem, Spielsystem, vielen Bundesligisten immer noch zwei Schritte voraus ist.