Die Reaktionen französischer Nationalteamspieler auf die französischen Parlamentswahlen sind unser Momentum am Montag.
"Der Sieg war ein entscheidender Moment, um zu hinterfragen, was wir als Franzosen sind. Das Team bestand aus Spielern unterschiedlicher Hautfarbe und Religion; können wir das auch außerhalb des Sports in unserer Gesellschaft akzeptieren?", diese Frage stellte Lilian Thuram, Weltmeister von 1998 in einer 2018 ausgestrahlten Dokumentation. Sein Sohn Marcus postete nach dem gestrigen Sieg eines Linksbündnisses und dem unerwarteten zweiten Platz der Partei von Präsident Macron: "Es lebe die Vielfalt, es lebe die Republik, es lebe Frankreich."
Schon vor den kurzfristig ausgerufenen Wahlen nach dem Sieg des extrem Rechten Rassemblement National von Marine Le Pen hatte Superstar Kylian Mbappé dazu aufgerufen, nicht rechts zu wählen: "Es ist eine brenzlige Situation. Wir dürfen nicht erlauben, dass unser Land in die Hände dieser Leute fällt." Es ist eine Geschichte mit Geschichte.
Black, blanc, beur!
Frankreich tat sich lange schwer, mit seinem historischen Erbe als Kolonialmacht umzugehen. Bereits in den 80er-Jahren entstand unter dem Motto "black, blanc, beur", angelehnt an die Farben der Trikolore ("Bleu, blanc, rouge", blau-weiß-rot), ein neues Selbstverständnis. Die Wörter spielen auf den Nachwuchs der Immigrant:innen aus den ehemaligen französischen Kolonien in Nordafrika und Co. an. 1998 holte das Team den Weltmeistertitel, angeführt von Zinédine Yazid Zidane, der algerische Wurzeln hat. Thuram wiederum lebte die ersten neun Jahre auf der französischen Karibikinsel Guadeloupe; wie viele andere Kicker hatten sie "Migrationshintergrund".
Mit dem WM-Titel war scheinbar ein neues Selbstverständnis der Grande Nation geboren. Unter politisch Rechtsextremen wurde die Diversität der Équipe Tricolore aber zum Schimpfwort. Jean-Marie Le Pen, von 1972 bis 2011 Vorsitzender des RN-Vorgängers Front National, wetterte nach der WM 2006, das französische Volk könne sich in der Mannschaft nicht wieder erkennen. Nicht viel weniger rassistisch waren Pläne vom nun-doch-nicht-Premierminister Jordan Bardella.
Als das Team Black Blanc Beur gewann, war es ein Sieg für Frankreich, und als sie verloren, hieß es: Es sind zu viele Schwarze im französischen Team.
Tief sitzendes Problem
Ex-Nationalteamtrainer (und WM 1998-Teilnehmer) Laurent Blanc sagte – auf Tonband – in einer Verbandssitzung nach der turbulenten Blamage: "Wer sind die derzeit Großen, Robusten, Kräftigen? Die Schwarzen (...). Ich glaube, dass wir uns neu ausrichten müssen (...). Die Spanier haben mir gesagt: 'Wir haben keine Probleme. Wir haben keine Schwarzen.'" Es ist also ein tief sitzendes Problem. Der französische Autor und Aktivist Louis-Georges Tin brachte es einmal auf den Punkt: "Als das Team Black Blanc Beur gewann, war es ein Sieg für Frankreich, und als sie verloren, hieß es: 'Es sind zu viele Schwarze im französischen Team.'" Ein Satz, der nicht nur im Fußball und nicht nur im Stadion gilt.
Keine Politik im Stadion
Zwar ist das Fußballstadion kein Abbild der Gesellschaft, aber viele gesellschaftliche Probleme werden im Fußball augenscheinlich. Ein beinharter Turbokapitalismus droht dieses schöne Spiel zu zerstören, Nationalisten missbrauchen den Sport nur allzu gerne, um sich zu präsentieren; siehe etwa das tausendfache Zeigen des rechtsextremen und in Österreich verbotenen Wolfsgruß. Es mag auch sein, dass sich unter den tausenden Profifußballer:innen Nicht-Demokrat:innen befinden.
Die Aussagen der französischen Teamspieler, von Julian Nagelsmann, Ralf Rangnick oder Michael Gregoritsch "gegen rechts" mögen diesen und vielen anderen sauer aufstoßen, weil sich der Fußball doch bitteschön nicht mit Politik beschäftigen sollte. Dem ist insofern zuzustimmen, würden die Genannten einen Exkurs über die Lenkungswirkung von Förderungen im Bereich PV-Anlagen im Gegensatz zu steuerlichen Begünstigungen halten oder im Rahmen einer Pressekonferenz die Für und Wider einer Millionärssteuers abwägen. Denn derartige Diskussionen sind Politik.
Mbappé und Co. warnen vor Menschen, die zerstören wollen, was sich gerade bei einer EM am Feld zeigt: Es ist egal, wo du herkommst, es geht nur als Team.
In welcher Zeit leben wir eigentlich, in der geglaubt wird, Rassismus sei eine politische Meinung?