Keine Perspektive für den Sport
Das runde Leder rollt, im Profisport, in Akademien und Leistungszentren. Der breiten Masse der Nachwuchs- und Amateurkicker bleibt aber derzeit nur Eislaufen, Skifahren, Laufen und Radeln.
+ + 90minuten.at Exklusiv + + Ein Kommentar von Georg Sander
Sport ist in Österreich eine Querschnittsmaterie. Kurz und polemisch gesagt heißt das: Politisch ist niemand wirklich zuständig und es wird freudig herumgeschoben. In den letzten 30 Jahren befand sich die politische Zuständigkeit zunächst im Unterrichts-, dann im Gesundheitsministerium, dann gab es Staatsekretäre im Bundeskanzleramt, unter Wolfgang Schüssel war Vizekanzlerin Susanne Riess drei Jahre dafür zuständig, dannach wieder ein Staatssekretär im Bundeskanzleramt. Unter Werner Faymann wanderte der Sport zur Landesverteidigung, seit 2017 ist wieder der Vizekanzler dafür zuständig, unter der Expertenregierung unter Brigitte Bierlein war sogar kurzzeitig der Finanzminister Eduard Müller zuständig. Nun wieder der Vizekanzler.
Exzellenz trotz, nicht wegen
Wer lange genug im Sportjournalismus tätig ist, weiß, dass Österreichs sportliche Höhenflüge in verschiedenen Sparten an Einzelpersonen hängen. Im Fußball wäre ohne Didi Mateschitz' Engagement, vor allem ab 2012, die Bundesliga vermutlich nicht so gut, wie sie jetzt dasteht. Daran angehängt „gute“ Mäzen wie Dietmar Riegler in Wolfsberg, starke Personen wie das LASK-Duo Gruber/Werner oder Brigitte Annerl in Hartberg. Im in heimischen Gefilden beliebten Skisport ginge wohl ohne den streitbaren Peter Schröcksnadel wenig weiter, auch in vielen anderen Sportarten schmückt sich die Politik zwar mit Erfolgen und Medaillen; der Grundtenor aber ist: Das passiert trotz, nicht wegen Österreich. Ausgenommen sei hier vielleicht das Heeresleistungssportzentrum, das vor allem in Randsportarten eine Existenzsicherung darstellt.
„Verlorene Generation“
Schon BFV-Präsident Gerhard Milletich warnte gegenüber 90minuten.at, dass sich Sportler und Funktionäre vom Fußball abwenden könnten, Nachwuchsleiter wandten sich an die Öffentlichkeit, die Spielergewerkschaft wird ignoriert, die Ostligisten baten den Sportminister ebenfalls um Trainingsmöglichkeiten. Sport Austria-Boss Hans Niessl warnt in einer TV-Sendung: „Es droht eine verlorene Sportgeneration.“ Er plädiert, parallel zu Schulen oder Friseurbesuchen, für das Freitesten. Etwas, was seit Wochen für Gastronomie oder Tourismus als Exitstrategie aus dem Lockdown kolportiert wird. Der Fußball ist hier als prominentester und größter Teilverband ein Vorbild, seit Monaten sind aber Trainings nicht erlaubt, die negativen Auswirkungen sind eben vielfältig, es geht um Gesundheits, Prävention, Freundschaften, Psychohygiene und letztlich auch die Zukunft des heimischen Sports. Denn Stuttgart-Legionär Sasa Kalajdzic oder der ab Sommer für Rapid spielende Marco Grüll zeigen, dass man auch abseits der Akademien in den Profifußball kommt. Dazu braucht es aber den Breitensport, ohne Breite keine Spitze (und umgekehrt) gelten als wichtige Wahrheit.
Lösungen präsentieren
Laut Niessl schob das Gesundheitsministerium einer von Sportminister Kogler goutierten Öffnung des Breitensports einen Riegel vor. Natürlich hat dieses in Pandemie-Zeiten mehr zu sagen, aber es zeigt generell wieder einmal den Umstand „Querschnittsmaterie“. Und warum Eltern zwar am Eislaufplatz mit ihren Kindern Schlittschuhfahren dürfen, aber ein Nachwuchstrainer nicht mit 15, 20 Burschen oder Mädels auf einem riesigen Fußballplatz trainieren kann, erschließt sich dem Beobachter nicht. Noch dazu in Zeiten, in denen Schüler am Vormittag negativ getestet stundenlang im gleichen Raum sitzen, aber am Nachmittag nicht auf dem großen Feld ihrer Freude nach dem runden Leder nachgehen dürfen.
Nun sind Lösungen gefragt, die die Sportwelt durch die Organisation in Vereinen auch zu bieten bereit ist. Denn ohne Perspektive für den Breitensport kommen zu den jetzt schon spürbaren Auswirkungen der Krisen in ein paar Wochen, Monaten oder Jahren noch ganz andere Probleme auf uns alle zu, für die dann niemand wirklich zuständig sein wird. Und eines sei am Ende noch gesagt: Sport stärkt das Immunsystem, Herr Gesundheitsminister.