Ein Großkader, drei Erkenntnisse

Da ist er also, der österreichische Großkader für die Europameisterschaft. Doch was kann man daraus ableiten und wer wurde vergessen? Eine Analyse.

+ + 90minuten.at Exklusiv – Ein Kommentar von Georg Sander + +

 

Der letzte ÖFB-Lehrgang mit einem 2:2 in Schottland, einem 3:1 gegen die Färöer und einer 0:4-Pleite gegen Dänemark in der WM-Quali ließ den österreichischen Fußballfan Böses für die Euro ahnen. Zwar ist die Euphorie aufgrund des ausbaufähig elektrisierenden Fodaballs bei weitem nicht so hoch wie 2016, aber schon ist zu befürchten, dass die ÖFB-Luftschlösser wie vor fünf Jahren zerplatzen. Teamchef Franco Foda hat nun nicht nur die Aufgabe, 26 Mann zu finden, sondern auch einen Fußball (wieder) einzuüben, der eine Katastophe wie gegen Dänemark in den Spielen gegen Nordmazedonien, die Niederland und die Ukraine verhindert. Alles keine Jausengegner, erstere und letztere aber auch keine Fußballübermächte.

Mit wenig Aufheben verlas die Pressesprecherin Iris Stöckelmayr noch vor dem Teamchef-Statement den Kader . Mit einigen Überraschungen, wie von 90minuten.at bereits im Vorfeld exklusiv berichtet: Philipp Mwene, Außenpracker in Diensten von Mainz 05 ist etwa mit dabei. Dafür schauen Ligakicker wie Cican Stankovic, Maximilian Wöber (Salzburg), Ercan Kara, Yusuf Demir (Rapid) oder Gernot Trauner und Reinhold Ranftl (LASK) durch die Finger bzw. nur auf die Abrufliste. Welche Erkenntnisse gilt es nun aus der Bekanntgabe?

 

Erkenntnis 1: Kein Platz für Bundesliga-Kicker

Im März gab es zunächst noch Aufregung wegen Corona-bedingten Einreiseproblemen. Im Kader standen mit Gernot Trauner, Yusuf Demir, Reinhold Ranftl und Ercan Kara einige Bundesligakicker. Im 30-Mann-Kader für die Europameisterschaft stehen mit LASK-Keeper Alexander Schlager, seinem Teamkollegen Husein Balic sowie Andreas Ulmer (Salzburg) nur drei Akteure aus der heimischen Liga. Damit reduziert sich das Ligaaufgebot um 50 Prozent, es wäre keine Überraschung, wenn am Ende nur Ulmer als erfahrener Linksaußen übrig bleiben würde. Der Nationalteamtrainer dürfte demzufolge doch nicht so auf die heimische Liga stehen, wie man es sich bei der Bestellung erhofft hat.

Gut, die Europacupsaison war eher keine große Werbung für die heimische Liga, der LASK und Rapid scheiterten in der Gruppenphase, der WAC überstand diese zwar, einen Baumgartner in der Verteidigung oder Liendl und Wernitznig braucht man dann dennoch nicht. Die Salzburg-Kicker spielten zwar in der Champions League, dass die wenigen Österreicher beim Serienmeister aber anderen Spielen den Vorrang geben müssen, ist Geschmackssache (Stankovic) oder faktisch richtig (Wöber).

 

Erkenntnis 2: Foda will überraschen

Dänemark hat Österreich ausgeguckt, das soll bei der Euro nicht passieren. Vielleicht hat Foda deshalb einerseits einen Kicker wie Philipp Mwene sehr spät die Möglichkeit auf den Eurozug aufzuspringen gegeben oder auch Husein Balic einberufen. Der ist ein bisschen die Antithese zum oben gesagten. Die Leistungsdaten mit neun Toren und sechs Assists in bislang 40 Saisoneinstzen für die Athletiker – drei Tore und ein Assist im ÖFB-Cup – können nicht für Balic sprechen. Seine Geschwindigkeit und Unberechenbarkeit aber wohl schon. Gleichermaßen scheint Foda auch auf die derzeit verletzten, offensiven Ausnahmekönner Arnautovic und Baumgartner zu hoffen.

Denn auf die 90minuten.at-Nachfrage, was die Analyse aus dem Dänemarkspiel ergeben hatte, zählte Foda sinngemäß Verbesserungspotential in allen Spielphasen auf. Vielleicht nominierte er deshalb auch Leipzig-Legionär Konrad Laimer. Das Pressingmonster hat seine unbestrittenen Qualitäten, hat in der laufenden Spielzeit aber bislang nur zwei Ligakurzeinsätze absolviert sowie einen im Pokalfinale, stand zuvor verletzungsbedingt nur zwei weitere Male im Kader. Diese Idee kann natürlich aufgehen und es macht durchaus Sinn, es den anderen Teamchefs vorab zumindest ein bisschen schwer zu machen und eher unbekannte Spieler einzuberufen.

 

Erkenntnis 3: Der Teamchef ist angezählt

Nun mag es in den letzten 14 Monaten in gewesen sein, sich hinter dem Anführer zu versammeln, im Falle des Teamchefs ist das nicht der Fall. Vier Keeper zu nomnieren sowie drei weitere auf Abruf stieß bei den per Zoom anwesenden Journalisten durchaus auf Verwunderung. Und auch sonst musste sich Foda in Anlehnung an Hickersbergers Ausspruch 2008 fragen lassen, ob er wirklich die Besten nominiert hat. (Originalzitat: „Ich habe nicht die besten Spieler Österreichs nominiert, sondern mich bemüht, die Richtigen zu nominieren. Und das müssen nicht immer die Besten sein.“)

In Wahrheit stellt sich der Kader ohnehin selbst auf. Richtige Kracher finden sich nicht auf der Abrufliste, vielleicht Raphael Holzhauser (16 Tore/16 Assists in 34 Spielen in Belgien) oder die Geschmacksfrage bei den Keepern, ansonsten ist das heimische Who-is-who mit dabei. Aber Euphorie? Fehlanzeige. Bedingungsloser Rückhalt? Ebenfalls. Franco Foda muss diese Stimmung in den Vorbereitungsspielen herstellen, vor allem Team-intern. Die Spielergeneration ist ja schon oft hoch gelobt worden, sie kicken regelmäßig Champions League oder in den besten Ligen der Welt. Nun geht es darum zu liefern, auch wenn gerade die taktischen Vorstellungen in der Umsetzung enden wollend gut aussahen. Das wissen auch die Spieler.

 

Fazit fürs Phrasenschwein

Der ÖFB-Teamchef hat bei der Kaderzusammenstellung nicht Ausschlaggebendes falsch gemacht. Balic oder Kainz, Kara oder Gregoritsch, Stankovic statt Lindner, diese Personalentscheidungen werden letztlich nicht entscheiden, ob Österreich besser abschneiden wird als 2016. Aber es gibt eben die Signale: Die Bundesligakicker können aus Sicht des Teamchefs nicht mit den Legionären mithalten, so manche Einberufung mag den Gegner überraschen und eine Hurra-Stimmung rund um das Team gibt es auch nicht.

Jetzt kommt es dann nur drauf an, aus den am Ende 26 Spielern eine erste Elf zu destillieren, die bei der Europameisterschaft gut spielt. Das wird auf Basis der letzten Monate weitaus schwieriger werden, als einen Kader sinnvoll zusammen zu stellen.

 

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