Fall Mattersburg: Man hätte es kommen sehen können, eigentlich müssen

Der SV Mattersburg steht wegen des Bilanzskandals bei der Commerzialbank von Zampano Martin Pucher vor dem (Bundesliga-)Aus. Wenn man wollte, hätte man es kommen sehen können.

90minuten.at wusste es, die Kollegen bei anderen Medien wussten es, die Geschäftsstelle der Bundesliga und auch alle anderen Klubs. Öffentlich thematisiert wurde es selten bis gar nicht, auch wenn die Zahlen einfach nicht zusammen passen. Dieser Kritik muss man sich stellen.

+ + 90minuten.at Exklusiv + + Ein Kommentar von Georg Sander

 

Als der SV Mattersburg 2003 in die Bundesliga aufstieg, brachte er Zuschauerzahlen im fünfstelligen Bereich, Stars und Stories – Stichwort: Holzhacker! - in die Bundesliga mit. 2007 wurde man gar Dritter. Nach zehn Spielzeiten stiegen die Burgenländer 2013 schließlich ab. Es folgten zwei Saisonen in der Zweitklassigkeit.

Was machte die Mattersburger aus? Ein eher britischer Zugang zum Kick, lässige Typen wie Kühbauer, Mörz, Naumoski, die Mär, dass man von Mattersburg nicht wegwechselt, weil Martin Pucher keine Ablösesummen kassieren wollte und die Kicker gut verdienten.

Hätte man es als (Sport-)Journalist ahnen müssen, dass das Gebilde Mattersburg einstürzen könnte? Vielleicht. Aber als Fachmann weiß man auch: Spielerberater kosten viel, wer sich durch die Liste der SVM-Neuzugänge des letzten Jahrzehnts klickt, findet kaum einen großen Klub als abgebender Verein. Das macht die Transferzeit billig. Mehr als die Hälfte der Spieler sind Eigengewächse. Investitionen in die Stadioninfrastruktur oder den Online-Auftritt gab es kaum. Ein gewisses Downsizing war also erkennbar. Die Zuwendungen an den SVM bleiben aber zu hoch. Vier Punkte sind erschütternd:

 

1) Das war doch schon Vergangenheit!

2010 löste sich Austria Kärnten auf. Es war der letzte finanzielle Crash in der höchsten Spielklasse, nun deutet sich beim SV Mattersburg der nächste nach langer Zeit an – in der Bundesliga wohlgemerkt. Finanziellen Unbill gab es in der zweiten Leistungsstufe in den letzten zehn Jahren auch. Dabei dachte man, dass die hemdsärmligen Provinzzampanos der Marke Kartnig der Vergangenheit angehörten. Alleine in den Nullerjahren zerriss es Serienmeister FC Tirol, Sturm musste in den Zwangsausgleich, der GAK, Doublesieger von 2004, schaffte nach dem ersten Konkurs 2007 noch weitere. In der zweiten Spielklasse gab es weitere Crashs, die Bundesliga aber freute sich über Stabilität.

 

2) Hätte es die Lizenz geben dürfen?

Die Bundesliga zog, siehe Punkt 1), die Lizenzierungskriterien gemeinsam mit Vorgaben der Politik und der UEFA, an. Die Burgenländer bekamen sie dennoch stets. Hätte die Liga draufkommen müssen? Aufgrund von Fälschungen? Das wäre schwierig geworden. Letztlich können die Gremien nur bewerten, was vorgelgt wird und wenn laut Staatsanwaltschaft Kredite fingiert wurden, die Bilanzen gefälscht, möglicherweise seit längerer Zeit, wie soll die Bundesliga beziehungsweise wie sollen die zuständigen Gremien das herausfinden, was die Beamten der Finanzaufsicht können?

 

3) Wie lange geht das schon?

Doch die restlichen Klubs der Liga werden sich fragen: Wie lange geht das schon? Jetzt abgesehen von einzelnen Spielen gegen den Klub, der vielleicht schon länger keine Lizenz hätte bekommen dürfen: Was werden sich die Altacher denken, die am Ende der Saison 2009 abstiegen und in den Folgejahren viel Geld verpulverten, um wieder aufzusteigen? Oder der LASK 2011? Und natürlich viel rezenter: Die SV Ried 2017. Letzter Spieltag, Niederlage in Mattersburg, Abstieg, seitdem versucht man erfolglos, wieder rauf zu kommen. Ein wirtschaftlicher Schaden, weil jemand anderer nicht nach denselben Spielregeln spielt?

4) Es hätte eigentlich auffallen müssen!

Nun kommt es aber zu einem großen Aber. Wer sich die Budgetzahlen von Mattersburg ansieht, merkt, dass es wohl nur mit einem sehr guten Netzwerk, offenbar laut Staatsanwaltschaft mit kriminellen Methoden, geht, einen Klub aus einer so kleinen Gemeinde mit so viel Geld auszustatten. Hartberg kratzt etwas mehr als vier Millionen zusammen, der WAC verpulvert auch nicht einfach so das durchaus stattliche Vermögen des Präsidenten. Der SVM hatte 2018/19 einen Personalaufwand von knapp 7,5 Millionen Euro. Hartberg 2,6, der WAC und Altach knapp 4,7, der LASK 7,7. Diese Zahlen sind schlichtweg zu hoch: 90minuten.at wusste es, die Kollegen bei anderen Medien wussten es, die Geschäftsstelle der Bundesliga und auch alle anderen Klubs. Öffentlich thematisiert wurde es selten bis gar nicht, auch wenn die Zahlen einfach nicht zusammen passen. Dieser Kritik muss man sich stellen.

Denn in diesem Land wollte man nach den Nullerjahren zumindest in der Bundesliga Schluss machen mit Finanzdesastern. Jetzt gibt es wieder eines, das man hätte kommen sehen können - oder eigentlich sogar müssen.

 

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