Rekordmeister? Eine nützliche Blendgranate
Seit Juni köchelt die Rekordmeisterdebatte mal wieder dahin, mal auf höherer, mal auf geringerer Flamme. In Wahrheit ist sie aber eines: Eine Blendgranate für zwei geschichtsträchtige Klubs, die Probleme haben.
Ein Kommentar von Georg Sander
Im Juni poppte sie plötzlich wieder auf: Austria Wien bezeichnete sich als österreichischer Rekordmeister, inklusive Plakatkampagne. Der Zeitpunkt für eine Rekordmeisterdiskussion war – bewusst oder unbewusst - klug gewählt. Mit 13 (!) Niederlagen war man gerade Zweiter geworden. Nicht einmal die SV Ried hatte so viele Niederlagen beim Vizemeistertitel 2006/07, Red Bull Salzburg war hingegen als letztes Team mit so vielen verlorenen Spielen Vizemeister geworden. Wirklich attraktiv hat die Austria zu dem Zeitpunkt auch nicht gespielt.
Vor dem Derby meldete sich nun Christoph Peschek, um wieder die Flamme ein bisschen höher zu drehen. Der ÖFB wolle das mit dem Rekordmeister nun wissenschaftlich untersuchen. Austria-Vorstand Markus Kraetschmer ist im Präsidium. „Plötzlich will der ÖFB das untersuchen. Zufall? Mittlerweile kann ich die Abfolge seiner Fouls gegen Rapid nur noch als Kampagne bezeichnen ", sagte Peschekl gegenüber dem Kurier vor dem Derby. Auch muss angemerkt werden: Zwar hatte Rapid vor dem Derby zwei Mal gewonnen, souverän ist aber etwas anderes gewesen. „Kurios", nannten die Kollegen von Sky Sport Austria den 1:0 Sieg gegen Mattersburg, gegen den abgeschlagen Letzten, SKN St. Pölten, mühte man sich zu einem Sieg, wie Laola1 titelte. Hätte man das Derby verloren, hätte man nur einen Punkt mehr als nach zwölf Runden vor einem Jahr.
In Wirklichkeit wird in Salzburg konstant an einer Philosophie und einer Vision gearbeitet und diese verfolgt.
Anspruch und Wirklichkeit
Verliert Red Bull in den nächsten 20, 30 Jahren nicht die Lust am Fußball, dann wird diese Diskussion ohnehin mittelfristig nur noch eine Antwort haben. Rapid hält nach Eigendefinition inklusive der Meisterschaften ab 1911 bei 32 Titeln. Je nach Lesart (mit oder ohne Austria Salzburg-Titeln) braucht Salzburg mindestens 24 (oder 21) Titel, um Rapid einzuholen. Seit 1949/50 holte die Austria 21 Meisterteller, seit Einführung der Bundesliga 14. Salzburg könnte die Veilchen also mit der Spielzeit 2019/20 hier schon einholen. Der Rest ist eine Frage der Zeit.
Was Austria Wien und Rapid Wien wollen und was sie über einen langen Zeitraum liefern oder haben, klafft weit auseinander. Red Bull Salzburgs Hegemonie nach vier Titeln in Folge wird von den Wienern derzeit und wohl auch auf Sicht nicht gebrochen. In den letzten zehn Spielzeiten gingen acht Titel an die Bullen. Seit Wiedereinführung der Zehnerliga 1993/94 holten Austria Salzburg bzw. Red Bull Salzburg elf Titel, Sturm und Tirol je drei, der GAK einen. Rapid und der FAK kommen zusammen (!) auf sechs Titel, drei für jeden. Die glorreichen Zeiten des Wiener Fußballs sind lange vorbei.
Den Rang abgelaufen
Da kann Red Bull Salzburg noch so viele Manés, Kampls, Sabitzers, Keitas, Hinteregger oder Laimers und Wandersons verkaufen, für die Liga reicht es noch immer und mit Kickern wie Berisha, Schlager, Wolf oder Samassekou und Haidara gibt es gleich die nächsten.
Das Kartenhaus fällt trotzdem nicht in sich zusammen. Warum? Weil Geld Tore schießt? Könnte man meinen, aber abgesehen davon wird in Wirklichkeit in Salzburg konstant an einer Philosophie und einer Vision gearbeitet und diese verfolgt. Das können die Wiener eben nicht von sich behaupten. Beinahe jeder Transfer eines grün- oder violett-weißen Leistungsträgers verändert das Team bis in die Grundfesten. Selbst Sturm Graz konnte auf eine gute Saison einen weiteren guten Saisonstart folgen lassen, trotz namhafter Abgänge im Winter.
Fazit: Die Rekordmeisterdiskussion soll nur ablenken
Eine Rekordmeisterdiskussion verschleiert das perfekt. Das werden die Entscheider in Hütteldorf und Favoriten wissen. Zwei Dinge zum Abschluss: Tradition bedeutet, die Flamme weiter zu geben, nicht die Asche anzubeten. Und letztlich haben halt beide Recht: Rapid ist österreichischer Rekordmeister, die Austria Bundesligarekordmeister. Der Rest sind Blendgranaten, um von den eigentlichen Problemen abzulenken.