These: Obwohl verlieren verboten ist: Das ÖFB-Team darf nicht verkrampfen und muss seinem Stil treu bleiben.
Harald Prantl: Natürlich, das ist alternativlos. Das ÖFB-Team arbeitet seit der Ankunft von Ralf Rangnick an der Verbesserung und Verfeinerung dieses Stils, niemand käme auf die Idee, von diesem Weg abzuweichen.
Rückblick auf die EM 2016: Marcel Koller spielt mit dem ÖFB-Team seit November 2011 mit Vierer-Abwehrkette, switcht dann mit dem Rücken zur Wand im letzten Gruppenspiel in Frankreich gegen Island plötzlich auf eine Dreierkette. Hat ja super funktioniert!
Ich weiß, die Änderung der Grundordnung hat wenig mit dem Spielstil an sich zu tun, soll aber die Auswirkungen von Hau-Ruck-Aktionen unter Druck verdeutlichen. Im Rahmen von Rangnicks Stil sind die Leitplanken außerdem ja nicht so eng gesetzt, dass es keine Möglichkeit gäbe, auf den jeweiligen Gegner zu reagieren.
Gut vorstellbar, dass die Polen sich zunächst entscheiden, Österreich das Spiel mit dem Ball zu überlassen, dann muss sowieso ein wenig anders agiert werden als gegen Frankreich. Aber Fakt ist: Aggressives Anlaufen und Vertikalität im Spiel mit dem Ball sind für den ÖFB Trumpf.
Michael Fiala: Ja, in der Theorie ist das, wie Harald schon schreibt, alternativlos. Und es ist auch mit hundertprozentiger Wahrscheinlichkeit davon auszugehen, dass Ralf Rangnick nicht von seinem Weg abweicht. Da wäre schon eher der Wechsel zu Bayern München wahrscheinlicher gewesen.
In der Praxis kann das dann natürlich anders aussehen, denn die These, dass das ÖFB-Team "nicht verkrampfen darf", kann man natürlich hier als Journalist vor dem Bildschirm leicht runterklopfen. Schon die erste Hälfte gegen Frankreich hat gezeigt, dass den Österreichern das Spiel nicht ganz so leicht vom Fuß gegangen ist, wie in den Monaten zu vor.
Und wie das Team von Rangnick mit dieser Drucksituation umgehen wird, darf mit Spannung erwartet werden. So etwas kann man nicht üben und da fehlt auch die Erfahrung, denn eine Qualifikation mit 10 Spielen ist etwas anderes als ein Alles-oder-Nichts-Spiel gegen Polen.
In der Vergangenheit hat das ÖFB-Team bei Großturnieren, angefangen bei der WM 1990, WM 1998, Euro 2008, Euro 2016, oftmals verkrampft. Ich bin jedoch davon überzeugt, dass die Grundeinstellung dieses Mal unter Ralf Rangnick eine bessere sein wird.
Österreich gegen Polen, Freitag, ab 18 Uhr im LIVE-Ticker >>>
These: Vorteil Polen! Während sich die Österreicher gegen Frankreich die Seele aus dem Leib gelaufen sind, hatten die Polen einen Tag länger zur Regeneration. Das könnte dem ÖFB-Team zum Verhängnis werden.
Michael Fiala: Nein, das glaube ich nicht, dass die kürzere Pause dem österreichischen Team zum Verhängnis werden kann. Ich sehe sogar eher einen gegenteiligen Effekt: Die Spannung während eines Turniers aufrechtzuerhalten, ist extrem schwer. Zu lange Pausen, speziell nach einer Niederlage wie gegen Frankreich, könnten auch einen negativen Effekt haben, wenn die Spieler zu viel Zeit zum Nachdenken haben.
Ähnlich hat dies übrigens auch ÖFB-Torhüter Patrick Pentz im ServusTV-Interview erzählt, denn am zweiten Tag nach einem Match fällt die Spannung ab, da sei es gut, wenn es mit dem Programm gleich gestrafft weitergeht.
Und wenn man die konditionelle Ebene betrachtet, darf es bei Profis kein Thema sein, ein Match am Montag und das nächste am Freitag zu bestreiten.
Harald Prantl: Hat irgendjemand irgendeinen ÖFB-Spieler irgendwo jammern gehört? Ich nicht. Es gibt auch keinen Grund dazu. Ein Tag mehr Regeneration, sei’s drum.
Nicolas Seiwald hat treffend gesagt: "Oft ist es einfach eine Kopfsache – wenn man sich sagt, man ist fit, ist man fit." Die Österreicher wären schlecht beraten, sich schon im Voraus potenzielle Ausreden zurechtzulegen. Solche Dinge schwingen im Unterbewusstsein dann immer irgendwie mit.
Außerdem ist es tatsächlich so, dass die Belastung über die gesamte Saison hinweg bei praktisch allen Spielern des erweiterten Stamms nicht gerade riesig war, kaum einer war unumstrittener Stammspieler (oder nie verletzt) und hat jede Partie seines Klubs von der ersten bis zur letzten Minute gespielt.
These: Trotz Slapstick-Eigentor: Ralf Rangnick sollte wieder von Beginn an auf Maximilian Wöber vertrauen.
Harald Prantl: Ich möchte nicht in Ralf Rangnicks Haut stecken. Die Wahl des passenden Nebenmanns für Kevin Danso gegen Polen ist eine immens schwierige Entscheidung, sie wird zwischen Maximilian Wöber und Gernot Trauner getroffen.
Für Wöber spricht, dass er den Rangnick’schen Stil besser intus hat, stärker nach vorne verteidigt. Dass er als Linksfuß dem Team im Spielaufbau insgesamt bessere Möglichkeiten eröffnet. Dass er eine Spur schneller ist als Trauner und von den Polen gefährliche Konter zu erwarten sind. Dass es auf längere Sicht hin nicht das beste Zeichen wäre, einem Spieler nach einem schlechten Match das Vertrauen zu entziehen.
Für Trauner spricht, dass er im Test gegen die Schweiz und nach seiner Einwechslung gegen Frankreich seine ausgezeichnete Form bewiesen hat. Dass ihm der aggressive Stil, der im von beiden Seiten heraufbeschwörten "Kampfspiel" nötig sein wird, besser liegt. Dass er zwar als Rechtsfuß auf der linken Seite nicht die Idealbesetzung, insgesamt aber ball- und passsicherer ist.
Ich würde mich mit 51:49 für Trauner entscheiden.
Michael Fiala: Ich muss Harald hier zunächst vollinhaltlich zustimmen. Diese Entscheidung zu treffen, ist extrem schwer und hat natürlich auch eine Symbolwirkung, speziell dann, wenn sich Rangnick für Gernot Trauner entscheiden sollte.
Die Vor- und Nachteile hat Harald ja bereits bestens zusammengefasst und wie man diesen Zeilen entnehmen kann, kann man für beide Spieler sehr gut argumentieren.
Ich möchte aber noch einen weiteren Aspekt ins Spiel bringen: Nach der zweiten Gelben Karte ist man für ein Spiel gesperrt. Das heißt: Möglicherweise muss man auch mitbedenken, welcher Spieler für das Spiel gegen die Niederlande besser geeignet ist?
Wöber hat bereits (s)eine gelbe Karte, Trauner noch nicht. Ob dieser Faktor in die Überlegungen von Rangnick, Kornetka & Co. einfließt? Wenn ja, welchen Innenverteidiger sieht der Deutsche für das Niederlande-Spiel eher in der Startelf? Wenn er gegen die Niederlande auch auf Wöber setzen möchte, müsste die logische Entscheidung für das Polen Match Gernot Trauner heißen.
These: Wenn wir Arnautovic bei dieser EURO in der Startelf sehen wollen, dann nur gegen Polen.
Michael Fiala: Dieser These kann ich einiges abgewinnen. Das ÖFB-Team wird gegen Polen vermutlich mehr Räume bekommen als gegen Frankreich und da wird auch im letzten Drittel einiges an Kreativität gefragt sein. Dass Arnautovic einer der Unterschiedspieler in Rot-Weiß-Rot ist, ist auch kein Geheimnis.
Ich glaube aber dennoch, dass Ralf Rangnick die Sache anders sehen wird: Er wird Michael Gregoritsch weiterhin das Vertrauen für die Startelf schenken und generell wenig verändern. Ich vermute, dass es maximal zu einem Wechsel kommen wird, der Florian Grillitsch betreffen wird. Statt ihm könnte Patrick Wimmer in die Startelf rutschen, dafür Seiwald und Laimer als 6er auflaufen.
Doch zurück zu Arnautovic: Auch wenn er vor dem Turnier beteuert hat, dass er fit ist für die gesamte Distanz für alle Spiele, wird Rangnick unseren Primgeiger dosiert einsetzen und ihn dann wie gegen Frankreich in der zweiten Hälfte bringen, wenn es hoffentlich schon eine Führung für Österreich gibt.
Harald Prantl: Ich kann den Ausführungen des Kollegen zu potenziellen Änderungen in Mittelfeld und Angriff viel abgewinnen, bin nur nicht ganz sicher, ob Patrick Wimmer oder doch Romano Schmid die seitliche Zehn übernehmen, wenn Konrad Laimer neben Nicolas Seiwald rutscht.
Zur These: Ja, sehe ich genauso. Die Frage ist aber: Wollen wir Arnautovic in der Startelf sehen?
In seiner Rolle als Joker kann der Superstar dem ÖFB-Team aktuell besser helfen. Das extrem aggressive Angriffspressing zum Start eines Spiels – das wir gegen Frankreich ein wenig vermisst haben – ist Arnautovics Sache einfach nicht.
Ich will Arnautovic als Einwechselspieler sehen, der in der Schlussphase eines Spiels hochmotiviert für überraschende Momente sorgt. Und ich finde, man kann es ihm gar nicht hoch genug anrechnen, sich mit dieser Rolle auch angefreundet zu haben und zum Wohle des ganzen Teams sein Ego hintanzustellen.