These: Jetzt ist der Zeitpunkt für Experimente. Die Nations League ist für das ÖFB-Team belanglos, weil man sich ohnehin auf normalem Weg für die WM 2026 qualifizieren wird.
Michael Fiala: Dass sich das ÖFB-Team ohnehin "auf normalen Weg" für die WM 2026 qualifizieren wird, ist eine gewagte These.
Zwar gibt es für europäische Teams bei der kommenden WM drei Startplätze mehr, also insgesamt 16, und es wird nicht mehr in zehn Qualifikationsgruppen mit fünf und sechs Teams, sondern insgesamt in 12 Gruppen mit fünf und vier Mannschaften gespielt. Jedoch sind nur die Gruppensieger fix qualifiziert.
Die übrigen vier Startplätze für die WM 2026 werden im März 2026 im Rahmen eines WM-Playoffs vergeben. Insofern wäre eine Rückversicherung über die Nations League schon durchaus hilfreich. Da es aber auch so gut wie keine Freundschaftsspiele mehr gibt, ist allerdings klar: Wann, wenn nicht jetzt, kann man das eine oder andere Experiment in dosierter Form probieren.
Harald Prantl: Auf dem "normalen Weg" wird es kein Spaziergang zur WM 2026, da hat Kollege Fiala zweifelsohne recht. Und es ist ja sowieso längst der Anspruch des ÖFB-Teams, jedes Spiel mit dem bestmöglichen Ergebnis zu beenden. Deswegen wird die Nations League sicher mit dem nötigen Ernst bestritten.
Nichtsdestoweniger muss man konstatieren: Wenn jetzt nicht die Zeit für Experimente ist, wann dann? Während der WM-Quali? Während der Vorbereitung auf das nächste Turnier, das hoffentlich in zwei Jahren folgt?
Die personellen Probleme haben den Teamchef schon bei der Kadernominierung zu Lösungen gezwungen, die er "out of the box" nennt. Ich rechne damit, dass sich das fallweise auch auf dem Rasen so darstellen wird.
These: Kevin Stöger wird zeigen, dass er zu unrecht nicht im EURO-Kader war und Ralf Rangnick in Zukunft nicht mehr auf ihn verzichten kann.
Harald Prantl: Kein anderer Abwesender wurde in den vergangenen ÖFB-Monaten von den Fans so vehement gefordert. Bei der Kadernominierung hat Rangnick verraten, dass es in seinen Plänen für die EM-Kader ein Duell zwischen Florian Kainz und Kevin Stöger gab, letztlich habe er sich für Kainz entschieden.
Der Nebensatz, dass Stöger nun die Chance bekomme, sich "so, wie wir im Nationalteam spielen wollen" zu zeigen, ist vielsagend. Offenkundig traut der Teamchef dem Deutschland-Legionär nicht so recht zu, seine Stärken innerhalb der praktizierten Spielidee zu entfalten.
Dass die Einschätzungen des ÖFB-Staffs meist richtig sind, ist durch Ergebnisse und Kaderentwicklung bestens belegt. Ganz ehrlich, Stöger kann mich nur positiv überraschen.
Michael Fiala: Die Performance von Kevin Stöger in der vorangegangenen Saison lässt keine Zweifel offen: Der 31-Jährige fehlte bei nur zwei Ligaspielen – einmal war er krank, das andere Mal wegen einer Gelbsperre. Und dem nicht genug: Acht Tore und 13 Assists stehen ebenso in den Büchern. Beeindruckend.
Jetzt kommt das Aber: Auf seinen Positionen hat er im ÖFB-Team auch keine unwesentliche Konkurrenz; das Mittelfeld ist sehr gut besetzt. Die Einberufung hat er sich dennoch verdient.
Ob Ralf Rangnick in Zukunft auf ihn nicht mehr verzichten kann, liegt an Stöger selbst, indem er möglicherweise in den kommenden beiden Spielen eine Chance bekommt und diese nützen kann.
These: Marco Friedl regt sich zurecht auf, er hätte sich längst einen Platz im Kader verdient. Die aktuelle Konkurrenz in der Verteidigung sticht er locker aus.
Michael Fiala: Also von "locker" ausstechen kann man meiner Meinung nach nicht sprechen.
Dass es Friedl noch vor der EURO nicht in den Kader geschafft hat, konnte man aus meiner Sicht aus mehreren Gesichtspunkten durchaus begründen. Und dass jemand den Ehrgeiz hat, den Sprung ins Nationalteam zu schaffen, ist ja auch wichtig.
Die öffentliche Kritik hingegen war vermutlich wenig hilfreich. "Mit mir wird nicht kommuniziert, mit mir wird nicht geredet. Deshalb habe ich das Thema eigentlich schon abgehakt. Ich bin sehr sauer". Wer sowas sagt, muss eigentlich damit rechnen, dass er künftig auch kein Thema mehr für das ÖFB-Team ist – zumindest so lange der aktuelle Teamchef im Amt ist. Da hat sich Friedl ein bisschen zu sehr aus dem Fenster gelehnt.
Harald Prantl: Kollege Fiala hat einen guten Punkt. Rangnick ist nicht gerade der Typ, der sich Kritik gerne öffentlich über die Medien ausrichten lässt.
Dass Friedl auch angesichts des aktuellen Innenverteidiger-Engpasses kein Thema für eine Nachnominierung war, sagt schon alles. Ja, der Mann ist Kapitän von Werder Bremen und mit 26 Jahren im besten Fußballeralter. Doch die Konkurrenz in der Innenverteidigung ist riesig und Rangnick scheint darauf bedacht, neben den etablierten Kräften jüngere Potenzialspieler wie Samson Baidoo aufzubauen. Und die sticht auch ein Marco Friedl nicht so "locker" aus.
These: Ralf Rangnick soll weiter im Ausland nach potenziellen Teamspielern suchen – vor allem im Sturm sind wir noch nicht WM-reif.
Harald Prantl: Jeder Verband der Welt sieht sich mit der Herausforderung konfrontiert, dass es viele großartige Fußballer gibt, die für mehrere Nationen auflaufen könnten.
Um jene zu buhlen, in denen man das Potenzial sieht, dass sie mittel- bis langfristig weiterhelfen können, ist die verdammte Pflicht des ÖFB. Es braucht mehr, als nur die Hoffnung, dass Herz und Hirn des jeweiligen Kickers schon richtig entscheiden werden.
Dass das aktuell am ehesten für Stürmer gilt, ist klar. Denn Goalgetter mit österreichischen Reisepässen sind rar gesät und auch in den Nachwuchsnationalteams drängen sie sich nicht gerade zuhauf auf.
Michael Fiala: Dass wir im Sturm nicht WM-reif sind, ist etwas, was ich unterschreiben kann. Ich kann mir aber beim allerbesten Willen nicht vorstellen, dass Ralf Rangnick und sein Team nicht bereits alle potenziellen Stürmer auf ihrer Liste haben.
Nicht zuletzt durch den Perspektivkader hat Rangnick den Kreis der künftigen Teamspieler erweitert bzw. ans A-Team herangeführt. Es ist nun mal so: Wer viele Tore schießt, fällt auf.
Und? Ist uns irgendwer aufgefallen, der vor Ralf Rangnick bisher verborgen geblieben ist? Na eben!