Rapid träumt vom Europacup-Halbfinale, die Austria vom Meistertitel - und kann dabei zwar nicht auf ihre Auswärtsfans, dafür aber auf Aleksandar Dragovic bauen.
In unserem Format "Ansichtssache" hat die Redaktion zwei Kollegen wieder mit vier kontroversen Behauptungen zum Wiener Derby konfrontiert, die Harald Prantl und Johannes Bauer durchdiskutieren.
Was ist deine Meinung zu den vier steilen Thesen?
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These: Die zwei Meistergruppen-Duelle gegen den SK Rapid werden für die Austria das Zünglein an der Waage sein, warum man am Ende knapp nicht Meister wird.
Harald Prantl: Der Thesen-Schreiber sollte sich ins Wettbüro trauen, wenn er seinen nostradamus’schen Fähigkeiten vertraut. Ich wage mal eine andere Prognose: Die Austria wird in den jeweils zwei Duellen mit Salzburg und Sturm keine zwölf Punkte einfahren. Wenn es am Ende dann nicht mit dem Meistertitel reicht, kann sich jeder selbst aussuchen, wo die entscheidenden Punkte liegengelassen wurden – daheim gegen den WAC, zum Saisonstart, oder eventuell gegen Rapid. Sollte die Intention dieser These indes sein, dass das Ergebnis des Derbys prognostiziert wird: Unentschieden.
Johannes Bauer: In der Meistergruppe kann jeder Verein dem anderen Punkte wegnehmen, so wird es auch geschehen. Wer wem wo die entscheidenden Zähler weggenommen hat, kann man im Nachhinein diskutieren, wenn man denn wirklich Lust darauf hat – nicht vor dem dritten Spiel. Aus jetziger Perspektive werden die Schnittpartien jene gegen Sturm und Salzburg. Derby-Ergebnistipp: Auch ein Remis.
Ein Aufstieg ins Conference-League-Halbfinale sollte für Rapid über allem stehen – auch über einem möglichen Derby-Sieg am Sonntag.
Johannes Bauer: Die heißeste Phase der Saison hat begonnen. Jüngst gab es noch eine Länderspielpause. Besteht gerade ein konkreter Anlass für Belastungssteuerung, für ein "Entweder-Oder"? Im Gegenteil braucht Rapid Routinen auf der Suche nach dem verlorenen Selbstverständnis. Und dem Selbstvertrauen, da würde ein Derby-Erfolg auch mehr beitragen. Ich möchte die Bedeutung eines Conference-League-Halbfinales in keiner Weise schmälern, es wäre ein absolutes Highlight. Nüchtern betrachtet ist es für den Entwicklungsprozess, in dem sich Rapid weiterhin wähnt, deutlich wichtiger, nächste Saison wieder europäisch vertreten zu sein – wenn schon eine Gewichtung vorgenommen wird. Diese Aufgabe ist bereits jetzt schwer genug. Das Abschneiden in der aktuellen Conference League ist längst ein Bonus. Nach Djurgarden warten ohnehin Kaliber, bei denen es in Rapids aktueller Verfassung mehrere Fußballwunder bräuchte.
Harald Prantl: Grundsätzlich mag all das, was Kollege Bauer schreibt, stimmen. Eine kleine Ausnahme würde ich aber schon machen. Wenn ein Spieler aktuell leicht angeschlagen ist, oder seine physische Verfassung aus einem anderen Grund eine Pause ganz gut vertragen würde, wäre es wohl ratsamer, ihn im Derby zu schonen, um ihn im Rückspiel gegen Djurgarden zu Verfügung zu haben.
These: Aleksandar Dragovic im Derby doch spielberechtigt: Das Protestkomitee hat der Austria im Derby deutlich bessere Karten verschafft.
Harald Prantl: Die Austria ist mit Aleksandar Dragovic besser also ohne. Daran besteht kein Zweifel. Wer aber das WAC-Spiel gesehen hat, der weiß, dass die Austria auch ohne Dragovic defensiv tadellose Spiele zu absolvieren imstande ist. Die Innenverteidigung ist in ihrer Breite definitiv der am Besten besetzte Mannschaftsteil der Violetten. Dass der FAK seinen Routinier jedoch unbedingt beim Derby dabei haben wollte, belegen die intensiven Bemühungen des Klubs im Vorfeld der Verhandlung des Protestkomitees. Was aber mehr ins Gewicht fallen wird, hat nichts mit dem Instanzenweg der Liga zu tun – die Rückkehr des zuletzt gelbgesperrten Dominik Fitz.
Johannes Bauer: Gerade im Derby braucht es Führungsspieler wie "Drago". Nicht umsonst wurde die Rückkehr von Guido Burgstaller auf der Gegenseite auch hinsichtlich des Derbys so gefeiert, unabhängig davon, ob er zum Einsatz kommen wird. Ich bin dennoch stets dagegen, Erfolg und Misserfolg eines Teams an einzelnen Spielern festzumachen. Aber: Dass Dragovic UND Fitz wieder im Aufgebot stehen können, wird die Austria definitiv besser machen.
These: Kritik an der fehlenden Stimmung? Solange die Sicherheit aller Stadion-Zuschauer gewährleistet ist, dürfen Gästefans den Wiener Derbys auch gerne länger fernbleiben als die ausgemachten vier Spiele.
Johannes Bauer: Dass die aktuelle Lage dem Derby selbst nicht guttut, wurde bei der ersten Begegnung unter der aktuellen Regelung augenscheinlich. Vielleicht sogar sportlich, fehlte Rapid bei der Jagd nach dem Ausgleich doch der Push hinter dem bespielten Tor? Aber was sein muss, muss sein – und nach den bekannten Vorkommnissen war das "Muss" erreicht. Diese vier Spiele andauernde Phase sollte als Nachdenkpause betrachtet werden, nicht als Erprobung einer Dauerlösung. Ein vorläufiger Kompromiss, wo es ohne Zutun nicht mehr ging. Das Ziel muss sein, dass diese Nachdenkpause bei den Adressierten Wirkung zeigt. Tut sie das nicht, kann das Instrument immer noch und beliebig lang hervorgekramt werden. Hoffen wir, dass es das nicht braucht.
Harald Prantl: Schon im bislang letzten Derby wurde allen vor Augen geführt, dass sich ein Derby ohne Auswärtsfans einfach nicht wie ein richtiges Derby anfühlt. Dieser Eindruck wird sich in den kommenden drei Duellen zwischen Rapid und der Austria weiter verstärken. Ob das Ziel der Maßnahme, die zuletzt bei Aufeinandertreffen regelmäßig im Übermaß erhitzten Gemüter der beiden Szenen auf Dauer abzukühlen, damit erreicht wird, kann aktuell noch nicht ernsthaft diskutiert werden. Die Hoffnung, diese Frage irgendwann positiv beantworten zu können, bleibt aber. Denn klar ist, dass niemand wirklich wollen kann, dass dieses Instrument, wie es der Kollege nennt, auch in Zukunft gespielt werden muss.