Seit Juni des vergangenen Jahres ist der ehemalige Spitzenschiedsrichter Viktor Kassai beim ÖFB für die Eliteschiedsrichter zuständig. Nach vielen Jahren, in denen das Schiedsrichterwesen unter der Führung von Wiens Landespräsident Robert Sedlacek dahindümpelte und international in der Bedeutungslosigkeit verschwand, reichte es zunächst den Vertretern der Bundesliga. In weiterer Folge war dann auch der öffentliche, mediale Druck so groß, dass der ÖFB reagieren musste. Ali Hofmann wurde schon vor Kassai als Leiter des Referee Department im ÖFB geholt und sorgt seit vergangenem Jahr gemeinsam mit dem Ungarn endlich für professionelle Strukturen im Schiedsrichterwesen. Insgesamt sechs Personen statt früher zwei sind mittlerweile im Team.
Wenn man so will, ist Kassai nun der Ralf Rangnick des Schiedsrichterwesens. Kassai hat so wie Rangnick eine klare Vorstellung und will nach oben.
Der Rangnick des Schiedsrichterwesens
Um zu verstehen: Das Schiedsrichterwesen war über Jahre hinweg am besten vergleichbar mit einem trägen Beamtenapparat. Keine Weiterentwicklung, behäbig, unantastbar und kritikresistent. Schiedsrichter wurden oft wochenlang nicht bezahlt, internationale Vernetzung fand aufgrund mangelnder Fremdsprachenkenntnisse und Antriebslosigkeit nicht statt. Waren Österreichs Schiedsrichter in den späten 1990er Jahren noch gefragt und international anerkannt, so waren sie Ende der 2010er-Jahre, wenn es eine UEFA-5-Jahreswertung für diesen Bereich geben würde, in der Bedeutungslosigkeit angelangt.
Wenn man so will, ist Kassai der Ralf Rangnick des Schiedsrichterwesens. Er hat so wie Teamchef eine klare Vorstellung und will nach oben. Im Vergleich zum Nationalteam hat er jedoch ein Problem: Ein neuer Trainer kann bei seinem Klub Spieler nach seinen Vorstellungen holen, um seine Pläne möglichst rasch umzusetzen.
Kassai und Hofmann sind jedoch die Hände gebunden. Die Reform, die vergangenes Jahr viel zu spät auf Schiene gebracht wurde, braucht Zeit. Gute Schiedsrichter sind nicht wie am Transfermarkt verfügbar, sondern müssen über Jahre über den Nachwuchs aufgebaut werden.
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Erste Erfolge sind da, aber …
Erste Erfolge wurden bereits erzielt: In seiner ersten Saison wurden ein VAR-Instruktor und ein Coach für die Schiedsrichter-Assistenten installiert, die Bundesländer-Regelung bei der Besetzung aufgehoben und wöchentliche Analysen der Bundesliga-Spiele mittels Video-Clips installiert. Zudem wurden österreichische Schiedsrichter zu internationalen Länderspielen von Deutschland oder etwa Portugal eingeladen.
Der öffentliche Druck ist aber weiterhin groß, Fans, Trainer und Funktionäre schüttelten auch in der vergangenen Saison oft genug den Kopf aufgrund nicht verständlicher Entscheidungen auf dem Feld oder beim VAR. "Ich hatte noch nie ein Wochenende, wo ich 100 Prozent zufrieden war. Auch ein Fehler ist einer zu viel für uns", meinte Kassai in seiner Bilanz nach dem ersten Jahr.
… es braucht Zeit
Und auch die Ziele, die sich Hofmann und Kassai gesetzt haben, klingen nun anders als noch vor zwei oder drei Jahren: Österreichs Schiedsrichter sollen schon bald in der Champions League pfeifen.
Für nächstes Jahr steht der Start der Semi-Professionalisierung auf dem Programm. Schiedsrichter in der Champions League würden auch den Schiri-Nachwuchs beflügeln, die sich dann im Rahmen der Professionalisierung auf ihre Tätigkeit konzentrieren könnten.
Doch all das braucht Zeit. Zeit ist im Fußball normalerweise ein rares Gut. Es wird auch in den kommenden Jahren immer wieder haarsträubende Fehlentscheidungen geben. Fans werden dabei immer ihre Vereinsbrille aufhaben und schimpfen.
Aber es wäre wünschenswert, wenn zumindest Vereinsfunktionäre, Trainer und Sportdirektoren erkennen, dass pauschale Anschuldigungen über ein marodes Schiedsrichterwesen mittlerweile nicht mehr angebracht sind. Auch sie können dazu beitragen, dass die eingeleitete Professionalisierung Früchte trägt.