Um als Journalist oder auch als Fußballinteressierter beim ÖFB aktuell den Überblick zu behalten, braucht es vor allem eines: viel Zeit. Nahezu stündlich gibt es derzeit neue Meldungen an der Oberfläche, die die Eskalationsspirale weiter drehen lassen, während im Hintergrund die Gerüchteküche brodelt wie nie zu vor.
Seit dem enttäuschenden 1:1 gegen Slowenien mit dem verpassten Aufstieg in die oberste Nations League A hat das "House of Cards" des ÖFB Material für eine neue Staffel geliefert.
Begonnen hat die "neue Folge" mit der Pressekonferenz von Ralf Rangnick mit einem Frontalangriff auf seinen eigenen Präsidenten. Wohl nicht zuletzt auch als Selbstzweck, um vom vercoachten Spiel – Stichwort zu späte Wechsel – gegen Slowenien abzulenken. Dass ein Teamchef seinen eigenen Präsidenten derart deutlich in der Öffentlichkeit attackiert und dabei auch mit fragwürdigen Informationen ("Zero Kontakt") daherkommt, ist einzigartig in der Geschichte des österreichischen Fußballs.
Rangnick an der Spitze des Machtkampfs
Rangnick gerät – ob gewollt oder nicht – damit an die Spitze des Machtkampfs innerhalb des Verbands. Und auch die Spieler melden sich immer öfters zu Themen, die eigentlich nicht in ihrem Bereich liegen, zu Wort. All das sind Symptome einer Auseinandersetzung, die beim ÖFB immer weitere Kreise zieht, und das Ergebnis des jahrelangen, nicht gelösten Konflikts zwischen Thomas Hollerer und Bernhard Neuhold sind.
Egal welcher Präsident in den vergangenen Jahren im Amt war – er konnte oder wollte diese Thematik nicht lösen. Getrieben von einzelnen Personen im ÖFB-Präsidium, wurden diese Präsidenten vor die hungrige Meute geworfen. Es scheint fast so, als hätten einige dieser Herren sogar Spaß an dem Drehbuch dieser Staffel, auch wenn sie sich medial "im Sinne des österreichischen Fußballs" positionieren.
Um den Fußball geht es schon lange nicht mehr
Doch um den Fußball an sich geht es schon lange nicht mehr. Was bisher auch (zu) wenig Beachtung gefunden hat: Immer mehr Sponsoren mischen sich in diesen Konflikt ein. Teils aus persönlichen, teils aus wirtschaftlichen Interessen. Auch in diesem Bereich sind die zum Teil undurchsichtigen Verflechtungen mittlerweile zum Problem geworden.
Klaus Mitterdorfer wird an dieser Konstellation vermutlich scheitern. Dazu hat er natürlich auch selbst beigetragen. Ein Präsident, der es allen recht machen möchte, und jedem erzählt, was er hören will, wird gezwungenermaßen irgendwann daran zerbrechen. Oder wer kann sich eine gemeinsame Zukunft von Mitterdorfer und Rangnick nach den vergangenen Tagen vorstellen?
Lange Rede, kurzer Sinn: Der ÖFB nimmt mit dieser Außendarstellung als Verband massiven Schaden.
Nur ein objektiv ausgerichtetes Ausschreibeverfahren stellt sicher, dass die besten Kandidat:innen gesucht und gefunden werden.
Reset-Knopf drücken
Es gibt daher nur einen Ausweg: Der ÖFB muss den Reset-Knopf drücken. Und zwar schnell. Am 18. Mai 2025 findet (zumindest planmäßig) die nächste ordentliche Hauptversammlung des Verbands statt. An diesem Tag wird auch ein neuer Präsident gewählt, oder der bestehende wiedergewählt.
Wenn es den Protagonisten des Alt-Herren-Gremiums namens ÖFB-Präsidium wirklich um das Wohl des österreichischen Fußballs gehen sollte, braucht es einen Neustart, der wie folgt aussehen könnte:
Zunächst braucht es eine fertige Ausformulierung der Strukturreform, die vom Präsidium beschlossen wird. Auf Basis dieser Struktur muss der Verband dann die drei Positionen für den künftigen, neuen Vorstands ausschreiben. Nur ein objektiv ausgerichtetes Ausschreibeverfahren stellt sicher, dass die besten Kandidat:innen gesucht und gefunden werden – und es minimiert die Möglichkeit, dass potenzielle Führungskräfte schon vor ihrer Bestellung (medial) abgeschossen werden.
Es ist möglich
All dies ist innerhalb von wenigen Monaten möglich. Und aus zeitlicher Sicht dringend geboten, denn die WM-Qualifikation steht vor der Türe. Wenn die stimmberechtigten Herren jetzt nicht den ernst der Lage erkennen und dementsprechend Handeln, ist auch jede weitere (bisher fehlende) Diskussion, ob Ralf Rangnick das Spiel gegen Slowenien vercoacht hat oder nicht, obsolet.
Und noch ein Punkt ist nicht unwesentlich: Derzeit formiert sich eine neue Regierung. Diese braucht einen stark geführten Verband als Gegenüber, um auch beim Thema Infrastruktur endlich in die Gänge zu kommen.