Freunderlwirtschaft ade? [Kolumne]
Nirgendwo anders in der Fußballbranche geht so viel schief, wie bei der Wahl des richtigen Trainers. Auch in Österreich gibt es viele skurrile Beispiele. Ausgerechnet Rapid Wien – lange ein Paradebeispiel für Freunderlwirtschaft – zeigt nun vor, wie man einen Coach nach fachlichen Kriterien punktgenau auswählt.
Was er dem Verein empfehlen würde, wollte ich wissen? Seine Antwort: 'Dazu bin ich zu weit weg vom Fußball. Es reicht mir, dass mein Sohn als Co-Trainer angestellt ist.'
Nun ist eine Trainerwahl keine Hexerei. Aber bei den Zuständen, die hier lange herrschten, verdient der fachliche Auswahlprozess von Rapid durchaus Applaus.
++ 90minuten.at PLUS – eine Kolumne von Gerald Gossmann ++
Die Königsdisziplin heißt Trainerwahl. Was ging da nicht schon alles schief. Es gibt Beispiele, da informierten sich Sportchefs nicht über die Spielweise des gewünschten Mannes, verpflichten ihn im Hauruck-Modus und waren dann überrascht, dass der erwartete Offensiv-Apostel ein Defensiv-Guru ist. Dazu kam (und kommt) die viele Kumpanei. Ein Grüner auf die Trainerbank der Grünen. Ein Violetter auf jener der Veilchen. So lief das lange ab. Nun hat ausgerechnet der SK Rapid Wien – in den letzten Jahren ein Paradebeispiel für Freunderlwirtschaft – vorgezeigt, wie das Trainer-Auswahlprozedere idealerweise ablaufen sollte.
Das österreichische Fußballgeschäft stand lange für eines: Vitamin B. Und dieses kam von allen Seiten. Ein paar Beispiele? Man erinnere sich an die Wiener Austria, die 2011 die Fußballikone Ivica Vastic ohne Erfahrung auf die Trainerbank hievte – auf Empfehlung des Unternehmers und Austria-Sponsors Raimund Harreither, dessen Werbegesicht Vastic war. Der Austria-Funktionär Karl Blecha erklärte mir damals, dass man „bei der Bestellung natürlich erfreut“ gewesen sei, „wenn ein Sponsor einen Spieler, der mit der Austria eng verbunden war, vorschlägt.“ Nachsatz: „Nur weil der Herr Harreither gesagt hat: Ich zahl euch den, wurde er es nicht.“ Nun ja: Fachliche Kriterien gab es für dessen Bestellung nicht. Sportlich wurde Vastic zum Flop, musste nach wenigen Monaten gehen. Kurz darauf wurde er Trainer beim unterklassigen SV Gaflenz. Der dortige Sponsor – welch Überraschung: Harreither. So ging es munter weiter. 2015 wurde Ex-Austria-Torhüterlegende Franz Wohlfahrt auf Empfehlung seines Spezis Herbert Prohaska Austria-Sportdirektor, kurz darauf war der Ex-Austria-Stürmer Andreas Ogris Trainer.
Entscheidungen in Österreich: „Dazu bin ich zu weit weg vom Fußball“
Dasselbe Bild beim Stadtrivalen Rapid. Selbst beim Versuch, die Freunderlwirtschaft abzustellen, ging dort alles schief. 2016 entließ Rapid den Rapidler Zoran Barisic auf Anraten des deutschen Sportdirektors Andreas Müller. Doch der Ex-Schalker Müller ersetzte österreichische Freunderlwirtschaft bloß durch deutsche Kumpanei – und verpflichtete seinen Landsmann, den Ex-Schalker, Mike Büskens. Als das nicht funktionierte, griff Rapid-Präsident Michael Krammer ein, verpflichtete in Eigenregie Damir Canadi, der mit Rapid defensiven Fußball praktizierte – obwohl im Verein doch alle ein offensives Rapid sehen wollten. In letzter Verzweiflung holte Krammer den geschassten Barisic zurück, der dann jahrelang als Sportdirektor und Trainer ein Kuddelmuddel fabrizierte. Schon seine Auswahl glich einer Farce. Weil die Vereinsführung erkannte, sportlich Entscheidungen besser nicht zu treffen, holte man Josef Hickersberger als Experten ins Boot. Dieser half dann bei der Wahl zwischen zwei Sportdirektor-Kandidaten: Zoran Barisic und Alfred Hörtnagl. Das Problem: Hickersberger stimmte für Barisic, obwohl er sich Hörtnagls Präsentation nicht einmal angehört hatte, weil er da schon in Spanien weilte. „Wenn ich mich für Barisic ausspreche, macht es wenig Sinn, wenn ich mir den Ali Hörtnagl auch noch anhöre“, erklärte mir Hickersberger damals auf Nachfrage. Was er dem Verein generell empfehlen würde, wollte ich wissen? Seine Antwort: „Dazu bin ich zu weit weg vom Fußball. Es reicht mir, dass mein Sohn als Co-Trainer angestellt ist.“
Die Zustände wurden im ÖFB fortgeführt. Man denke an die Machtkämpfe im Präsidium, die dazu führten, dass Willi Ruttensteiner und Marcel Koller den Verband verlassen mussten. Die Nationalmannschaft, die aus mutigen Pressingspielern bestand, bekam so einen vorsichtigen Trainer, der nie Pressing gelehrt hatte.
So einfach funktionierts: Analyse und Auswahl
Nun ist eine Trainerwahl keine Hexerei. Aber bei den Zuständen, die hier lange herrschten, verdient der fachliche Auswahlprozess von Rapid, der eigentlich Normalität sein sollte (aber eben nicht ist), durchaus Applaus. Eigentlich hatte der Verein ja wieder ein selbstgezimmertes Kuddelmuddel beisammen. Katzer, dem Sportchef, gefällt ein moderner, angriffiger, intensiver, körperbetonter Spielstil. Barisic, der Trainer, stand hingegen für pomadigen, etwas ausrechenbaren Ballbesitzfußball. Das Problem: Barisic hatten den Kader geplant und trainierte diesen nun. Es fehlten Elemente der Moderne: ausgefeiltes Pressing und Wettkampfhärte. Katzer analysierte das Spiel und ortete Mängel. Er holte einen Fitnesscoach, der intern den Spitznamen „Schleifer“ trägt. Und er baute den Kader um: 12 Spieler verließen den Verein, acht kamen hinzu. Am Barisic-Stil kritisierte er das fehlerhafte Pressing und „dass die Restverteidigung nicht passt“. Im Sky-Podcast „Audiobeweis“ betonte Katzer nach der Barisic-Entlassung, dass „viele Dinge dafür verantwortlich sind, warum wir die Spiele nicht gewinnen: Das hat mit dem Anpressen zu tun, wie wir das Spiel anlegen, warum wir unorganisiert sind. Dadurch bekommen wir leichter Tore.“ Die Analyse war Basis für den Trainerauswahlprozess.
Katzer verpflichtete den Deutschen Robert Klauß, kein Ex-Rapid-Spieler, sondern einst Assistent von Julian Nagelsmann und Ralf Rangnick bei RB Leipzig. Weniger Stallgeruch geht kaum. Aber noch viel wichtiger: Klauß bringt punktgenau jene Kompetenzen mit, die Katzer am Rapid-Spiel unter Barisic vermisste. Rapid tritt unter dem Neuen kompakter auf. Man gibt Spiele nicht mehr so einfach aus der Hand, macht es dem Gegner nicht mehr so leicht, Tore zu erzielen. Dazu kommt: Rapid presst besser und koordinierter. Der neue Mann konnte also genau das verbessern, was zuletzt kritisiert wurde. Und das bringt Erfolg: 2,17 Punkte holte der Neue im Schnitt pro Spiel in der Liga.
Es geht immer nur um das Eine
Rapid hat sich zu Saisonbeginn als Underdog positioniert – neben Klagenfurt, Hartberg und Wolfsberg. Dort steht man in der Tabelle zwar noch: auf Platz sechs. Aber beim aktuellen Rapid-Fußball, wie dem 3:0 im Derby, entsteht nicht der Eindruck, dass der Klub leistungstechnisch so weit weg von Sturm Graz, dem LASK oder auch Salzburg ist, wie das vor der Saison alle annahmen. Rapid wirkt nicht mehr wie ein Außenseiter, sondern wie ein Spitzenklub.
Das Fußballgeschäft ist keine Raketenwissenschaft: Es geht im Grunde immer nur um das Eine: dass Sportdirektor, Trainer und Mannschaft eine Linie verfolgen. Die Voraussetzung: Man nähert sich der Thematik auf fachlicher Ebene – und lässt eitle Funktionäre, Sponsoren und von Freunderlwirtschaft beseelte Veteranen nicht mitreden.