Rapid Neu ist Rapid Alt [Exklusiv]
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Rapid Neu ist Rapid Alt [Exklusiv]

Bei Rapid Wien wurde vor einem Jahr unter großem Getöse ein Neustart ausgerufen. Das Problem: Im Kerngeschäft blieb vieles alt.

Der Neustart wird von zwei Männern orchestriert, die auch in den Jahren davor das Rapid-Kerngeschäft maßgeblich prägten.

Gerald Gossmann

Vor allem Traditionsvereine glauben, dass die Moderne vor ihnen in die Knie gehen müsse. Anstatt die Rahmenbedingungen endlich anzuerkennen. Und die lauten nun mal: Es braucht Top-Experten und ein ausgefeiltes Konzept, um in einem überprofessionalisierten Milliardengeschäft eine Rolle zu spielen.

Gerald Gossmann

Es entsteht aufgrund der vielen Grün-Weißen in Top-Positionen unweigerlich der Eindruck, dass hier nicht nach objektiven Kriterien die bestmögliche Führung für ein 50-Millionen-Euro-Unternehmen gewählt wurde – sondern konsequent Freunderlwirtschaft über dem Erfolg steht.

Gerald Gossmann

++ 90minuten.at PLUS – eine Kommentar von Gerald Gossmann ++

 

Etwas provokant gefragt: Was ist denn nun neu beim SK Rapid? Nach dem Fanaufstand im August 2022, und dem Putsch gegen die alte Vereinsführung, riefen die neuen Bosse zwar einen Neustart aus – doch die Veränderungen beschränkten sich weitgehend auf die Unternehmensstruktur des SK Rapid und den aufgeblähten Apparat. Der neue Wirtschaftsgeschäftsführer Marcus Knipping rührte um. Hinter den Kulissen wurde die Geschäftsstelle verschlankt. Aber im Sportbereich?

Da werkt Zoran Barisic als Trainer, der seit 2019 den Klub als Sportdirektor prägte, aber nicht recht entwickelte. Rapid rief schon vor dem eigentlich Neustart jährlich einen Neustart aus. „Eine der Hauptaufgaben“ von Barisic sei es, „eine vereinsübergreifende, moderne Spielphilosophie zu etablieren“, erklärte der damalige Rapid-Präsident Michael Krammer im Jahr 2019. Jährlich wurde pflichtbewusst deren Installierung proklamiert. Es soll auch eine Niederschrift geben, 600 Seiten stark, doch in der Praxis zogen die jeweiligen Cheftrainer ihr eigenes Ding durch. Am Ende übernahm mit dem Neustart der langgediente Barisic das Traineramt – und landete mit seinem selbst zusammengebauten Kader auf dem enttäuschenden vierten Platz. Seine jahrelange rechte Hand Steffen Hofmann stieg zum dritten Geschäftsführer auf, um dem Sport mehr Bedeutung zu geben, wie es hieß. Sprich: Der Neustart wird von zwei Männern orchestriert, die auch in den Jahren davor das Rapid-Kerngeschäft maßgeblich prägten. Immerhin ein paar kleine Neuheiten konnten präsentiert werden: Markus Katzer und René Gartler wurden Sportdirektor und Kaderplaner. Wenig überraschend: Die beiden spielten einst für Rapid.

Der Neustart fußte auf vollmundigen Ankündigungen: Mehr Geld für den Sport. Und: Immer ein Platz unter den Top 3. Am Ende präsentierte der Klub zwei Dinge. Erstens: Eine Erklärung, nun doch nicht wesentlich mehr Geld für den Sport aufgestellt zu haben. Und: ein Schmalspur-Ziel. Man wolle erst mal „unter die ersten sechs“, verkündete Trainer Barisic. Die neue sportliche Führung, die durch einen Fanaufstand und mit große Getöse in ihre Ämter geputscht wurde, erhöhte also nicht – wie geplant – die Ansprüche, sondern senkte diese. Man werde nun – wie auch die letzten Jahre schon – nicht um die Meisterschaft mitspielen, betonte Katzer. Nachsatz: Auch der dritte Platz sei mittlerweile ein illusorisches Ziel. Die Selbst-Verzwergung ging weiter: Rapid wäre ein VW-Käfer im Vergleich zum Ferrari aus Salzburg, betonte Trainer Barisic. Vor dem Europacupspiel gegen Debrecen, das im Klub-Ranking 200 Plätze hinter Rapid rangierte, sprach er von „einer spannenden Auseinandersetzung, in der es keinen klaren Favoriten gibt“. Und vor dem Spiel gegen Austria Klagenfurt vergangenen Sonntag hieß es: „Wenn wir nach der Tabelle gehen, ist Austria Klagenfurt besser“.

Das hat schon Chuzpe: Zuerst wird die alte Vereins-Führung vertrieben, weil sie zu wenig weiterbringt. Die sportlich Verantwortlichen der letzten Jahre aber bleiben, sichern ihre Jobs, steigen zum Teil intern auf, orchestrieren den Neustart, senken (entgegen aller Ankündigungen) die Ziele vehement – und erklären dann vor einem Spiel gegen ein stark ersatzgeschwächtes Klagenfurt, dass dieses ja eigentlich besser sei als der eigene Verein, den man (trotz viel höheren Budgets) selbst in die Sackgasse geführt hat.

 

Die Tiefstapelei hat ein Ziel: Durchschnitt soll als Erfolg verkauft werden.

Die Erzählversion des Klubs lautet: Der VW-Käfer Rapid wurde von der großen Fußballwelt (sprich Salzburg) abgehängt. In Wahrheit patzt der Ferrari Rapid ständig gegen VW-Käfer (heuer innerhalb von elf Spielen schon gegen Hartberg, Wattens, Wolfsberg und Klagenfurt). Deshalb liegt der Verein mit mageren 14 Punkten (aus elf Spielen) 13 Zähler (!) hinter Sturm Graz, das – vor Ligakrösus Salzburg – auf dem ersten Platz thront (obwohl die Grazer lange wirtschaftlich hinter Rapid reüssierten). Sturm Graz gab vor der Saison fünf Millionen für neue Spieler aus, nahm aber 13 Millionen ein. Salzburg investierte 30 Millionen, kassierte aber beinahe 80 Millionen. Und Rapid? Dort funktioniert das Geschäftsmodell offenkundig nicht: Drei Millionen wurden investiert, null eingenommen. Während in Graz die Spielweise und das Scouting modernisiert wurden, konzentriert sich Rapid auf Tiefstapelei, in der Hoffnung, dass erbrachter Durchschnitt als Erfolg anerkannt wird.

Die Taktik der Tiefstapelei trug seltsamerweise tatsächlich Früchte. Als Rapid zu Saisonbeginn einen klaren Cup-Erfolg bei einem Regionalligisten feierte, 1:1 beim LASK remisierte und gegen Altach gewann, wäre das in der Regel von Anhang und Medien als solider Saisonstart eingeordnet worden – doch nun (nachdem die Erwartungshaltung ja radikal gesenkt worden war) wurde Solides schnell als sensationell wahrgenommen. Als Rapid bald aber nicht mehr solide auftrat, sondern unterirdisch, 0:0 gegen Debrecen spielte, 0:1 dem TSV Hartberg unterlag, und Fans ihren Unmut äußerten, kritisierte Sportchef Katzer, dass die Erwartungshaltung offenbar „in einer anderen Galaxie“ liege und diese „nicht der Realität“ entspräche. Ein Heimsieg gegen Hartberg war also mittlerweile realitätsfremd? Rapid verfügt über 50 Millionen Euro Umsatz, Hartberg über bloß sechs Millionen. Rapid schrumpft zusehends – und das mit Ansage. Als man beim Regionalligisten Union Gurten in die Verlängerung musste, erklärte der Präsident des Dorfklubs, er habe Rapid schon ein wenig stärker erwartet.

Im Verein werken seit letztem Herbst zwar eine Menge neuer Gesichter, die eine Aura von Macht und Erfolg umweht – und alleine mit ihren Namen große Hoffnungen wecken: Ex-ORF-Chef Alexander Wrabetz, WU-Rektorin Edeltraud Hanappi-Egger, der Unternehmer Michael Tojner. Alle von ihnen besitzen einen Haufen Kompetenzen. Wrabetz weiß aus seinen 15 Jahren an der ORF-Spitze, wie man in komplizierten Unternehmen mit vielfältiger Interessenslage alle Wünsche ein bisschen bedient. Hanappi-Egger ist Expertin für Unternehmensstrukturen. Und Tojner, der weltläufige Unternehmer, würde für den Verein gerne neue Geldgeber anlocken (dafür aber Teile der SK Rapid GmbH veräußern). Alle verfügen über massenhaft nützliche Kontakte und Reputation. Über eines verfügt die neue Führungscrew aber nicht: ausgewiesene Sportkompetenz. Bei Rapid hat es daher Tradition, einen Ex-Rapid-Spieler ins Präsidium aufzunehmen, der Expertise einbringt. In den letzten Jahren saß der Ex-Rapidler Gerry Willfurth im Präsidium, nun ist es Michael Hatz. Zwei durchaus kluge Burschen, aber um im modernen Fußballzirkus eine ernsthafte Rolle zu spielen, braucht es mehr als ehemalige Kicker, die sich ordentlich artikulieren können. Vor allem Traditionsvereine glauben beharrlich, dass die Moderne vor ihnen in die Knie gehen müsse. Anstatt die Rahmenbedingungen endlich anzuerkennen. Und die lauten nun mal: Es braucht Top-Experten und ein ausgefeiltes Konzept (keine Kopie von ausgelutschten Trends, die man in den letzten Jahren konsequent verschlafen hat), um in einem überprofessionalisierten Milliardengeschäft eine Rolle zu spielen.

 

Rangnick bot Hilfe an

Die neue Rapid-Führung steht vor demselben Dilemma wie die meisten Rapid-Führungen davor: einen Sportverein zu führen ist nicht einfach. Man kann dabei viel falsch, aber auch viel richtig machen. Red Bull-Chef Didi Mateschitz, der auch ein Fußball-Laie war, vertraute in Salzburg anfangs seinem Einflüsterer Franz Beckenbauer, der ihm Altstars des FC Bayern zuschanzte, was den Verein zum Sanatorium werden ließ. Erst später wurde er auf Ralf Rangnick aufmerksam gemacht, der den Klub dann zu einem europäischen Vorzeigemodell umfunktionierte.

Eben dieser Rangnick hätte auch Rapid gerne geholfen. Rangnick kann nämlich schwer zusehen, wenn Potenziale brachliegen. „Ich bin Teamchef von Österreich“, betonte er im 'profil', „und als solcher will ich, dass Rapid, Austria, Sturm oder der LASK zu den besten Versionen ihrer selbst werden.“ Rangnick soll Rapid, laut meinen Informationen und bevor alle Posten besetzt waren, wertvolle Ratschläge und sein internationales Netzwerk in Aussicht gestellt haben, was die Suche von fähigem Personal (vom Trainer bis zum Scout) betrifft. Als kleine Gegenleistung: ein gelegentliches Antreten des Nationalteams im Rapid-Stadion. Das jedoch rief Fan- und Anrainerproteste hervor. Am Ende blieb das Rapid-Stadion dem ÖFB-Team verschlossen. Es stünden „zahlreiche Pflege- und Regenerationsmaßnahmen für den Rasen auf der Agenda“, verlautbarte der Verein.

Bei Rapid will man unter sich bleiben. In dem Verein, der sich als Familienunternehmen versteht. Vom Geschäftsführer über den Sportdirektor, Tormanncoach, Nachwuchstrainer bis hin zum Cheftrainer und Präsidiumsmitglied spielten alle einmal für Rapid. Das mag schön wohlig kitschig sein, weil es dem Verein und allen drumherum Identität gibt und ein wenig Halt in einer kompliziert gewordenen Fußballwelt – aber die Personalpolitik ist auch ziemlich riskant. Es entsteht aufgrund der vielen Grün-Weißen in Top-Positionen unweigerlich der Eindruck, dass hier nicht nach objektiven Kriterien die bestmögliche Führung für ein 50-Millionen-Euro-Unternehmen gewählt wurde – sondern konsequent Freunderlwirtschaft über dem Erfolg steht. Denn eine Entwicklungsstätte für Sport-Führungskräfte ist Rapid nicht gerade: In Salzburg wechseln Trainer und Sportchefs in Topligen. Wer bei Rapid als Trainer oder Sportdirektor tätig ist, wird in der Regel nicht abgeworben und teuer verkauft, sondern verschwindet danach in der Versenkung.

Rapid tritt auf der Stelle (mit Tendenz nach unten), investierte im Sommer zwar ein wenig ins Scouting, holte ein paar neue Kicker (das hat Rapid davor aber auch so gehandhabt), kreierte nach Pleiten ein paar neue Ausreden (Sommergrippe) und wiederholte ein paar altbekannte Schlager (Doppelbelastung, Pech). Nach der 2:3-Heimpleite gegen Austria Klagenfurt erklärte Barisic: „Wir haben dem Gegner in die Füße gespielt, der Gegner hat geschossen und jeder Schuss war ein Treffer.“ Hofmann analysierte bereits zur Pause: „Es sind sehr wenige Chancen, der Zug zum Tor fehlt ein wenig“.

 

Steffen Hofmann, der Unternehmenssprecher, findet selten klare (beziehungsweise inhaltsvolle) Worte

Nun skandierten Fans „Zoki raus“. Der Trainer hat tatsächlich einen miserablen Punkteschnitt. Doch sein Rauswurf wäre bloß eine Symptombekämpfung. Dann käme eben Didi Kühbauer retour. Oder Peter Pacult, den jetzt einige vehement fordern. Jedenfalls ein Rapidler. Fußballgott Steffen Hofmann (zuständig für Frauenfußball und die Rapid-Akademie; also allesamt Dinge, die seinen gut dotierten Job nicht in letzter Konsequenz gefährden würden) ist zum Sprecher des Unternehmens avanciert – doch er findet selten klare (beziehungsweise inhaltsvolle) Worte, weder zu den Finanzen, der Kaderpolitik, der Spielphilosophie oder dem Pyro-Vergehen. Zum Rapid-Anhang pflegt er ein gutes Verhältnis. Das zeigte er im Sky-Pauseninterview, als er auf die Pyrovergehen-Strafe angesprochen wurde und die erneute Rauch-Show im Block West, die durchaus schön anzusehen war, aber eine Spielverzögerung einbrachte. Sichtlich nervös vermied er jegliche Kritik am Anhang, der ihm vor einem Jahr seine jetzige Position als Geschäftsführer sicherte.

Käme ein Außenstehender in den Verein (keine altbackenen Männer wie der Schweizer Freddy Bickel oder der Deutsche Andreas Müller, die bloß eine Internationalisierung vorgaukelten), gar einer wie Rangnick, der jeden Systemfehler und jede Schwachstelle eiskalt benennen würde, wäre die Macht der sportlichen Führung und des Hardcore-Anhangs in Gefahr. Interessenslagen blockieren bei Rapid Interessenslagen.

So wird eben weitergewurstelt. Der vollmundig verkündete Neustart des SK Rapid hatte ja ursprünglich den Zweck, Rapid wieder groß (oder zumindest größer) zu machen. Ein erstes Zwischenfazit nach einem Jahr zeigt: Die neue (eigentlich alte) sportliche Führung ist vor allem damit beschäftigt, die Erwartungen kleinzuhalten, was möglicherweise so auch akzeptiert wird (Aufbaujahr und so), zugleich die eigenen Jobs sichert – den Fußballverein Rapid aber (und um diesen geht es ja, oder?) noch ein ziemlich großes Stück kleiner werden lässt.

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Über Gerald Gossmann

Gerald Gossmann ist freier Journalist, schreibt für "Profil", "Die Zeit" und ist Kolumnist bei 90minuten.at.

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