Frauen-EM: Ein Turnier der Superlative. Ja, aber… [12 Meter]
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Frauen-EM: Ein Turnier der Superlative. Ja, aber… [12 Meter]

England holte sich verdient den Titel bei der Frauen Euro 2022. Ein schönes Turnier mit tollen Spielen ging am Sonntag zu Ende. Dementsprechend positiv fällt allerorts das Fazit aus. In manchen Bereichen zurecht, uneingeschränkter Jubel ist aber trotzdem nicht immer angebracht.

So progressiv das Frauenfußball-Umfeld mit dem Thema Homosexualität umgeht, hinsichtlich Menschen mit Migrationshintergrund ist in den allermeisten Teams und deren Fans bei dieser Euro kaum etwas zu sehen.

Jürgen Pucher

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Am Wochenende ging die Frauen-Europameisterschaft im Fußball zu Ende. The Lionesses haben es besser drauf als ihre männlichen Kollegen und konnten als Heimteam den Titel gewinnen. Im Finale etwas kontroversiell, ansonsten aber sehr souverän. Es war ein Turnier der Superlative. Publikumsrekorde, Einschaltquoten im TV wie nie zuvor und insgesamt eine Sichtbarkeit des Sports, wie es sie bisher nicht gegeben hat. Das sportliche Niveau war außerdem sehr gut und die Spiele haben durch die Bank Spaß gemacht. Dementsprechend überschwänglich war in den Tagen nach dem Finale auch die mediale Nachbetrachtung. Alles super, es wird nachwirken und alles wird sowieso ab jetzt viel besser. In Europa, in Österreich und überhaupt.

 

Frauenfußball ist weiß und gut situiert

Es ist also an der Zeit, den Finger in die Wunde zu legen. Bei allen Dingen, die natürlich zurecht gerade bejubelt werden, gibt es schon den einen oder anderen Punkt, den man vielleicht nicht vergessen sollte, damit tatsächlich der ganze Komplex Frauenfußball einen Schritt vorwärts machen kann. Zunächst einmal bleibt bei aller Euphorie über die große Öffentlichkeit schlichtweg der Faktor, dass es sich beim Frauenfußball strukturell noch immer um eine Angelegenheit der gut situierten Mehrheitsgesellschaft handelt. Natürlich auch notwendigerweise, weil sich in diesem Sport nur jemand voll professionell reinhauen kann, der ausreichend finanziellen Background hat. Verdienen lässt sich damit immer noch nur für wenige genug, um gut zu leben.

Die englische Teamspielerin Leah Williamson lässt in den Tagen nach der Endrunde stolz wissen: „Das Vermächtnis dieses Turniers und dieses Teams ist eine Veränderung in der Gesellschaft. Wir haben alle zusammengebracht.“ Das ist sicher gut gemeint und es sind schöne Worte. Sie stimmen nur nicht. Die englische Gesellschaft bildet sich weder im Team noch auf den Rängen ab. So progressiv das Frauenfußball-Umfeld mit dem Thema Homosexualität umgeht, hinsichtlich Menschen mit Migrationshintergrund ist in den allermeisten Teams und deren Fans bei dieser Euro kaum etwas zu sehen. All die gesellschaftlichen und wirtschaftlichen Gründe dafür mögen relativ leicht herzuleiten sein. Aber Aussagen wie jene von Williamson zeugen von einer gewissen Kurzsichtigkeit, wer aller denn die Gesellschaft darstellt.

 

Team Fuhrmann: Viel Lob, ein wenig Tadel

Wenn wir auf das österreichische Team blicken, dann war die Teilnahme in England natürlich erfolgreich. In einer schweren Gruppe den Aufstieg unter die besten acht Nationen zu schaffen, ist aller Ehren wert. Das Semifinale von 2017 war keine Eintagsfliege, Team Fuhrmann ist eine Nummer am Kontinent. Viele Spielerinnen sind an namhaften Adressen engagiert, das spiegelt sich im Nationalteam wider. Und eben weil wir uns hier mittlerweile auf einem Niveau befinden, das weit über „mei so brav und toll haben sie gespielt, die Mädels“ hinausgeht, muss auch das Level der Kritik mit dem Können des Teams mithalten. Ohne Kritik, keine Weiterentwicklung. Konkret zum Viertelfinale gegen Deutschland muss festgehalten werden: Teamchefin Irene Fuhrmann hätte schon noch den einen oder anderen Hebel in der Hand gehabt, um einzugreifen.

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Teamchefin Irene Fuhrmann machte vieles richtig, aber nicht alles

Einerseits defensiv. Das Herausspielen beim Abstoß mit Torfrau und Innenverteidigerinnen hat weder in den Gruppenspielen noch im KO-Spiel funktioniert. Im Viertelfinale hat es unmittelbar zum 2:0 geführt, eine potenzielle Gefahr für das österreichische Tor war es sehr oft. Manuela Zinsberger ist eine sehr gute Torfrau, fußballerisch aber limitiert. Darauf muss eine Teamchefin reagieren und statt dem kurz abgespielten Aufbau, der, wenn es gut klappt, natürlich Sinn macht, auf eine Sicherheitsvariante umstellen. Vor allem, weil es ganz offensichtlich war, dass die deutsche Alexandra Popp schon das ganze Spiel lang auf genau die Situation zum 2:0 gelauert hat. Aber auch in der Offensive bleibt nach dem Viertelfinale ein bisschen ein Nachgeschmack. Aus meiner Sicht war Fuhrmann zu zögerlich. Lange stand es 1:0, zu lange hat die Teamchefin gewartet, höheres Risiko zu gehen. Man ist hierzulande ja durch die vielen Jahre Abteilungsleiterfußball von Franco Foda schon ein gebranntes Kind. Es lohnt sich nicht, das in anderen Bereichen des ÖFB zu wiederholen. Fuhrmann hätte früher aufs Ganze gehen müssen und dann nicht nur Positionswechsel vornehmen dürfen. Es war ein KO-Spiel, alles oder nichts, diesen Spirit habe ich am Ende vermisst.

 

Zwischen Team und Liga klafft ein Krater

Viel wurde nach der Euro auch darüber gesprochen, dass man die positive Energie vom Turnier jetzt in die heimische Liga mitnehmen muss. Das ist natürlich absolut zu unterstützen und es wäre sehr wünschenswert, würde das auch funktionieren. Wenn man allerdings auf die Bundesliga und ihren strukturellen und finanziellen Zustand blickt, wird das nur schwer möglich sein. Zwischen den meisten Damen im Nationalteam und den Orten wo sie Fußballspielen und der Realität des heimischen Kicks klafft einfach eine derart große Lücke, dass sie, wenn überhaupt, nur in sehr winzigen Schritten kleiner gemacht werden kann. Aber vielleicht gelingt ja zumindest das. Rapid könnte zum Beispiel ein wenig auf die Tube drücken und nach dem Beschluss bei der letzten Generalversammlung die grün-weiße Frauenabteilung zügig umsetzen. Man hinkt in Hütteldorf ohnehin Jahre hinterher. Im testosterongesteuerten Umfeld des Getränkeherstellers braucht man sich wohl eher keine Hoffnungen auf Bullen-Kickerinnen zu machen.

Stichwort Testosteron: Es mag zwar weniger geworden sein, aber es gibt immer noch genug von den Trotteln (könnte man das Wort gendern, würde ich es tun. Leider geht es hier nicht nur um Männer), denen zu Fußball spielenden Frauen nur dumme und sexistische Kommentare einfallen. Siehe Schlagzeilen zum Torjubel von Chloe Kelly oder man sperre die Ohren am Wirtshaustisch oder unter Kollegen auf. Man muss nicht lange auf den ersten Unsinn warten.

Fazit: Die Euro 2022 war super, zu tun bleibt im Frauenfußball und seiner gesellschaftlichen Wahrnehmung noch mehr als genug.

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