Ivica Osim: Leise und trotzdem immer da
Der Jahrhunderttrainer des SK Sturm ist 80 Jahre alt. Ein Mann, den der Krieg in seiner Heimatstadt nach Graz verschlug, um dort Spuren für die Ewigkeit zu hinterlassen.
Sturm deckt alles, was schwarz ist in meinem Leben. Alles, was weiß ist, auch.
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Die Steiermark verleiht ihm am 6. Mai das große Ehrenzeichen des Bundeslandes. Die Verleihung findet wegen der Corona-Pandemie im allerkleinsten Kreis statt. Das wird ihm nur recht sein, dem Ivica Osim, der an diesem Tag vor 80 Jahren in Sarajevo geboren wurde. Nichts ist ihm ein größeres Greuel als große Ansammlungen, Feierlichkeiten oder gar das in den Mittelpunkt rücken seiner Person vor Publikum. Covid19 hält die Welt in Geiselhaft, aber zumindest erspart das Virus dem Jahrhunderttrainer des SK Sturm öffentliches Tamtam, verursacht durch Politiker und eifrige Klubpräsidenten, zu seinem runden Geburtstag. Unendlich schade hingegen ist es natürlich, dass die Fanszene von Sturm ihren Allergrößten nicht bei einem Heimspiel im Stadion feiern kann. Die Graffiti-Aktion, zu der das Kollektiv 1909 aufgerufen hat, ist ein kleiner Trost. So wird zumindest im Grazer Stadtbild sichtbar, wen es in diesem Mai 2021 zu feiern gilt.
Osim im Stadion bedeutet mehr als ein Sieg
Osim lebt seit langem still und zurückgezogen. Er tritt kaum noch öffentlich auf, selbst als noch Publikum in Fußballstadien möglich war, blieb er Sturm-Heimspielen oft fern. Auch aus Aberglaube, da er meint, seine Anwesenheit bringe dem Verein kein Glück. Ein Statement der schwarz-weißen Grazer Fanclubs hält zu dieser Einschätzung fest: “Wir möchten dem im Namen aller Sturmfans entgegenhalten, dass jedes gemeinsam mit Ivica Osim im Stadion erlebte Spiel mehr für uns bedeutet als Sieg, Unentschieden oder Niederlage.” Dieses Zitat beschreibt nur allzu gut, welche übergeordnete Bedeutung dieser Mann für Sturm und die Stadt Graz hat. Trotzdem er kaum noch wo zu sehen ist, ist er doch immer da. Jedes tiefer gehende Gespräch über Sturm landet irgendwann auch bei ihm. Jeder neue Trainer muss irgendwann auch zu ihm Stellung beziehen. Und nicht zuletzt muss der Klub seit es die Ära Osim gab, mit einer beständig anderen Erwartungshaltung umgehen.
Osim hat den Verein vom Jakominigürtel mit seiner großen Tradition und seinen kleinen Erfolgen für viele Jahre auf einen anderen Planeten transferiert. Er hat das gemacht, kein verhaltensauffälliger Präsident. Der hat Sturm dann wieder von dort zurückgeholt. Osim ist geblieben. Sein Verdienst schwebt unbeschädigt von Malversationen, Prozessen und Konkursen über diesen kartnigschen Niederungen. Und das völlig zurecht. Je mehr Zeit vergeht, desto deutlicher wird es, mit wem diese große Zeit von Sturm persönlich verknüpft wird. Mittlerweile selbst von Fans, die kleine Kinder waren, als Ivica Osim 1994 in Graz gelandet ist. Tragische Ereignisse machten möglich, was sonst wahrscheinlich nicht passiert wäre. Die Katastrophe in seiner Heimatstadt Sarajevo ermöglichte Sturm seine größte Zeit und Graz den Titel Fußballhauptstadt.
Osim-Jahre: Bürde und neues Selbstverständnis
Osims Bedeutung geht dabei weit über Fußball hinaus. Natürlich sonnten sich die üblichen Verdächtigen aus der Abteilung “Salonsteirer” damals auch ungebeten in seinem Glanz. Aber er selbst strahlte in viele Bereiche des Lebens, obwohl er fast immer nur grimmig dreinschaute. Nicht nur Sport, auch Kultur und Politik hingen an seinen Lippen. Er vereint die Dinge, die Menschen haben, die in positiver Erinnerung bleiben. Glaubwürdigkeit und Authentizität. Er sagt nur, was er eben zu sagen hat. Das ist in den meisten Fällen aber dann mehr, als es die meisten haben. Alles nach ihm bei Sturm, wird mit ihm verglichen. Niemand hält dem Vergleich stand. Das ist eine Bürde für den heutigen Verein. Zugleich hat Osim den Provinzklub mit einem Selbstverständnis ausgestattet, das ihm heute ein anderes Antlitz gibt.
Zu seinem 80er muss die Dankbarkeit im Vordergrund stehen. Es ist ein Privileg, ihn als Sturmtrainer gehabt zu haben. Es ist ein Privileg, dass er Graz auch heute noch als einen seiner Lebensmittelpunkte gewählt hat. Trotzdem Kartnig ihn damals auf übelste Art zum Abschied gezwungen hat, ist Sturm heute noch, gemeinsam mit dem FK Željezničar, sein Verein. Er drückte das in einem seiner bleibendsten Zitate aus: “Sturm deckt alles, was schwarz ist in meinem Leben. Alles, was weiß ist, auch.” Es bleibt zu hoffen, dass die Nordkurve die aus pandemischen Gründen diese Saison ausfallenden Geburtstagsfeierlichkeiten, in der kommenden Saison nachholen wird. Und es bleibt zu hoffen, dass Ivica Osim seinen Aberglauben überwinden kann, und sich diese im Stadion anschauen wird. Bescheiden, etwas gebückt in einer der hinteren Reihen, mit einer wegwerfenden Handbewegung, wenn die Kamera auf ihn schwenkt.
Die stattliche Erscheinung ist mit den Jahren der eines alten Herren gewichen. Seine Ausstrahlung und seine Aura umgeben ihn aber immer noch unverändert. Alles Gute zum Geburtstag, Sturms Allergrößter.