Empört euch… ein bisschen weniger

Ein Becherwurf verletzte gestern in Graz den Schiedsrichterassistenten schwer am Kopf. Keine schöne Geschichte. Die danach losbrechende Empörungsspirale ist aber durchaus fragwürdig.

Ein 12 Meter von Jürgen Pucher

 

Am Donnerstag war Europacup und für alle Bundesliga-Vereine endete der Spieltag mit einer Niederlage. Während Rapid und LASK sich im Rückspiel gegen Slovan und Besiktas wohl noch Chance ausrechnen dürfen, ist beim SK Sturm nach dem 0:2 daheim gegen AEK Larnaca der sportliche Zug wohl abgefahren. Aber nicht nur wegen der inferioren Leistung der Schwarz-Weißen machte der Kick in Liebenau gestern die meisten Schlagzeilen.

 

Dramatische Bilder werden Konsequenzen haben

In Minute 78 ist nämlich einem Mann im rosa Polohemd der Frust über das Auftreten der Mannschaft in den rechten Arm gefahren und er entledigte sich seines Bierbechers. Es sei hier angemerkt: Der Vorfall ereignete sich auf der Längsseite des Stadions, wo die Familien sitzen und sich die gemütlichere Fanabteilung aufhält. Nicht dort, wo die viel geschmähten organisierten Fangruppen ihre Tribüne haben. Wie es jedenfalls das Pech so wollte, segelte das Wurfgeschoss genau auf den Kopf des Schiedsrichterassistenten und der zog sich eine übel blutende Platzwunde zu. Die Bilder sahen dramatisch aus und natürlich will das niemand haben. Der Übeltäter, der wohl vorher schon einige Becher ausgetrunken statt geworfen haben wird, bemerkte zunächst gar nicht, was er angerichtet hat. Er unterhielt sich noch mit seinem Sitznachbarn, ehe er dann auf seine Dummheit aufmerksam wurde und reflexartig das Stadion verließ.

Es war wohl eine der leichteren Übungen der Exekutive, auch ohne Pferdeunterstützung, den wohl einzigen rosa gekleideten Mann aus diesem Sektor auf seinem Weg nach draußen zu finden und in Gewahrsam zu nehmen. Der Mann wird in den nächsten Wochen eher unangenehme Erfahrungen machen. Stadionverbot wird noch seine geringste Sorge sein. Der SK Sturm bekommt von der UEFA mit Sicherheit eine Geldstrafe, wenn nicht mehr, und der Klub wird wohl versuchen, sich am Auslöser dafür schadlos zu halten. Wenn der rosa Polomann nicht besonders gut situiert ist, dann hat der unüberlegte Wurf für ihn wahrscheinlich sogar existenzielle Konsequenzen. Das soll sein Verhalten nicht entschuldigen und das Leid des Schiedsrichterassistenten nicht kleinreden. Es soll damit nur gesagt werden: Der Typ ist gestraft genug.

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Die Empörungs-, Erregungs- und Moralspirale dreht sich sofort im Affentempo. „Skandalspiel“, kreischt es da, „die Schande von Liebenau“ heißt es anderswo.

Schnappatmung setzt unmittelbar ein

Was an dieser Sache besonders bemerkenswert ist, ist die in jeglicher Hinsicht komplett überzogene Reaktion auf den Vorfall. Es ist offenbar ein Zeichen unserer Zeit, dass auf nichts und niemanden mehr sachlich und nüchtern reagiert wird. Die Empörungs-, Erregungs- und Moralspirale dreht sich sofort im Affentempo.

„Skandalspiel“, kreischt es da, „die Schande von Liebenau“ heißt es anderswo. Der Präsident sprintet über das Spielfeld zu den Kabinen, um dann im ORF-Interview nur kleinlaut bekanntzugeben, dass er eh nicht an den Beratungen des Schiedsrichters und des UEFA-Delegierten teilnehmen darf. Und dann noch Rainer Pariasek im ORF, der mit seiner jahrelang einstudierten „ich bin ganz betroffen“-Miene seinem Gegenüber Roman Mählich die sachdienlichste aller Fragen stellt: „Roman, sowas wollen wir im Stadion aber wirklich nicht sehen, oder“?

Freilich wollen wir das nicht sehen. Und selbstverständlich ist jemand, der vorsätzlich in Kauf nimmt, jemanden zu verletzten, nicht der hellste Stern am Himmel. Natürlich ist das für das Image eines Klubs nicht optimal, wenn man damit Schlagzeilen macht. Aber etwas mehr Besonnenheit würde allen ganz gut zu Gesicht stehen. Ein Vorfall, hervorgerufen durch eine dumme Aktion eines Einzelnen, ist nicht die Schande aller. Der Assistent wurde weder durch konzertierte Ausschreitungen noch sonst irgendwie strukturelle Gewalt verletzt. In Liebenau kann sich kein Mensch mehr erinnern, wann es zum letzten Mal eine solche Situation gegeben hat, so wenig passiert in diesem Stadion. Man wird niemals und nirgends verhindern können, dass ein Mensch in einer großen Gruppe eine falsche Entscheidung trifft. Es sei allen Empörten, Aufgeregten und Verzweifelten nahegelegt, diesbezüglich einmal kurz in sich zu gehen, bevor sie in Hysterie verfallen.

 

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