Der Phrasenfußball

Die Protagonisten im Fußball verkommen mehr und mehr zu Sprechautomaten und hinken etwa der Politik im hohlen Bausatzsatzbau kaum noch hinterher. Echtheit findet nur noch in Nuancen statt.

Ein 12 Meter von Jürgen Pucher

 

Fußball und Politik haben ja immer wieder einmal etwas gemeinsam und einige Überschneidungsmengen. Ganz besonders gilt das auch für die Kommunikationsaktivitäten der Protagonisten. Insbesondere in diesen beiden Milieus wird das Faktische sehr oft zu einem nichtssagenden, stehsatzverseuchten Nonsens eingedampft, sodass sich der Konsum von Interviews oder Pressekonferenzen kaum noch lohnt.

 

Der akribische Arbeiter erreicht die Mannschaft nicht mehr

Wenn es bei einer Fußballmannschaft gut läuft, ist der Trainer stolz auf seine Mannschaft, die Spieler hätten alles total super umgesetzt, was man sich für den Spieltag vorgenommen habe, besonders die Bälle in die Schnittstelle wären gut gespielt worden und die Mannschaft habe zu jedem Zeitpunkt Zugriff auf das Spiel gehabt. Steckt ein Team in der Krise, heißt es, die Automatismen funktionierten nicht, die an sich sehr guten Trainingsleistungen könnten nicht und nicht abgerufen werden und die Spieler würden im letzten Drittel zu oft die falschen Entscheidungen treffen. Der Sportdirektor sekundiert oftmals und spricht vom akribisch arbeitenden Trainer, zu dem man vollstes Vertrauen habe, und der das Ruder sicher herumreißen würde. Man müsse die durchaus vorhandenen Chancen besser nützen und es brauche eben einmal auch das nötige Quäntchen Glück, um einen vollen Erfolg einzufahren.

Gefährlich wird es für den Übungsleiter meist, wenn man „jetzt sicher keine Trainerdiskussion anfängt“ und alle zu 100 Prozent hinter ihm stehen. Anfangen zu packen kann der Chefcoach dann, wenn der erste Wichtigtuer aus dem Umfeld in den Raum wirft, dass man sich schon die Frage stellen müsse, ob der Trainer die Mannschaft noch erreicht? Am Ende der Ratlosigkeitskette steht bei den nichtssagenden Luftblasenanalysen meistens das Themenspektrum Psyche, Mentalität und Intensität. Die Vertreter der alten Schule poltern dann, dass man der Mannschaft jetzt einmal richtig in den Arsch treten müsse. Die gemäßigtere Fraktion konstatiert, dass die Spieler die Zweikämpfe nicht annehmen würden. Der Typ „einfühlsamer Trainer“ erklärt, Kabinenpredigten oder der „Ferguson“-Fön würden jetzt auch nicht helfen. Aber es habe eben den Anschein, der eine oder andere würde derzeit den absolut bedingungslosen Siegeswillen vermissen lassen.

(Artikel wird unterhalb fortgesetzt)

Populismus im Fußball: „Die fehlende Mentalität“

Die Ausführungen ließen sich wohl noch beliebig lange fortsetzen. Besonders das Thema Mentalität eignet sich aber besonders gut, den Vernebelungsbrei, der den geplagten Fußballfans Woche für Woche vorgesetzt wird, ein bisschen tiefgehender anzuschauen und zu durchschauen. Fehlende Mentalität in einer Mannschaft ist ein besonders perfider Vorwurf, deckt er doch meistens die wahren Probleme zu. Er kommt entweder vom Trainer direkt an die Spieler oder vom Sportchef an das Trainerteam und die Mannschaft. Die eingangs erwähnte Brücke zur Politik lässt sich hier außerdem besonders gut schlagen. Wie es die aktuelle Regierung hinter der Nebelgranate Migration sehr gut schafft, alle neoliberalen, sozialstaatzerstörerischen Konzernbauchpinseleien relativ heimlich umzusetzen, greift der Vorwurf „fehlende Mentalität“ oder „fehlender Wille“ im Fußball gut, um von der Führungs- und Strategieschwäche der sportlichen Leitung abzulenken.

„Die sollen zumindest rennen, wenn schon sonst nix geht“, ist populismustauglich und kommt bei einer gewissen Klientel sehr gut an. Deswegen muss nach einer längeren Durststrecke ein dergestalt formulierter Vorwurf irgendwann kommen, wie das Amen im Gebet. Wenn im nächsten Spiel das Team wegen Übermotivation sieben gelbe Karten und einen Platzverweis produziert und trotzdem nach schlechter Leistung wieder verliert, hat man sich zumindest teuer verkauft. Die Probleme nachhaltig gelöst hat so aber noch selten ein Klub. Die Sprechblasen und der Phrasenpopulismus führen zur nächsten Gemeinsamkeit des (Ph)Rasenballsports mit dem politischen Parkett. Die immer mehr verschwindende Authentizität von allen Beteiligten. Kaum noch jemand nennt Dinge beim Namen, die wenigen, die noch als „echt“ bezeichnet werden, schrammen knapp an der Dümmlichkeitsgrenze entlang und es wird authentisch oft mit „Wuchtel drucken“ verwechselt.

 

Das „Echte“ zwischen den Zeilen

Zurück bleibt in dieser Gemengelage der Fußballfan (=in der Politik der Wähler), der bei den Interviews die Standardsätze schon vor der Antwort mitsprechen kann und sich oftmals mit einer gewissen Teilnahmslosigkeit abwendet. Nur noch zwischen den Zeilen, oder wenn jemand die Nerven wegschmeißt und die Fassade bröckelt, kommen noch echte Menschen und Ansagen zum Vorschein. Wenn zum Beispiel ein Sportdirektor die angesprochene Mentalität und die fehlende Leidenschaft nach einer Niederlage auspackt, der Trainer aber in der Pressekonferenz tags darauf genau das als Grund ausschließt, dann weiß der geschulte Beobachter: Da stimmt was nicht. Meistens ist das aber nur ein sehr kurzer Moment der Echtheit, weil der Trainer dann in der Regel bald nicht mehr da ist.

 

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