Sportdirektor ist für Schlaue
Der sportliche Leiter eines professionellen Fußballklubs rückt mehr und mehr in den Mittelpunkt des Interesses. Interpretiert wird die Rolle aber äußerst unterschiedlich. Von Schmierenkomödiant bis nachhaltig arbeitender Stratege ist alles dabei.
Ein 12 Meter von Jürgen Pucher
Der Sportdirektor. Ein viel diskutiertes Wesen im Fußball, das über die Jahre mehr und mehr in den Mittelpunkt des Geschäfts gerückt ist. Die unterschiedlichsten Zugänge gibt es da zu beobachten und auch die verschiedensten Besprechungen zum sportlichen Leiter finden statt. Die eher einfach Gestrickten, oftmals Trainer der alten Schule, bezeichnen die Position gerne als „Erbsenzähler“, deren Aufgabe es ist eine schlagkräftige Mannschaft zusammenzukaufen und den Rest würde dann schon der Coach zu machen haben. Jemand, der aber bereit ist, sich mit den Mechanismen eines professionellen Fußballklubs auseinanderzusetzen, kommt nicht an der Feststellung vorbei, dass in dieser Funktion eine enormes Potenzial liegen kann. Vor allem für jene Vereine, die nicht an der Spitze der budgetären Nahrungskette stehen.
Nicht nur Geld regiert die Welt
Speziell dann, wenn man wie das Amen im Gebet nach einer guten Saison – oder manchmal gar schon in der Winterpause – seine besten Leute verliert, zeigt sich, wie ein Klub aufgestellt ist. Solche Lücken können nicht nur ein guter Coach oder ein schneller Transfer schließen. Klar, diese beiden Teile spielen auch eine Rolle. Wesentlich ist es aber außerdem, ob da jemand ist, der das große Ganze im Blick und zu dieser Thematik einen strategischen Zugang hat. Und vor allem: einer, der mehr als den Rest der laufenden Saison oder die unmittelbar nächste Halbsaison am Radar hat. Da ist dieser Baustein in einer Struktur ein eminent wichtiger Bestandteil. Wenn ein Trainer an der Linie steht und zugleich für die sportlichen Geschicke des Vereins als gesamtes verantwortlich ist, dann kann das vielleicht teilweise gut gehen, langfristig muss man dabei aber wohl Abstriche machen. Nicht nur sportlich, auch die Konzentration von zu viel Einfluss bei einer Person hat sich noch selten langfristig zum Guten ausgewirkt.
Speziell deshalb, weil ein Profiklub nicht nur aus der ersten Mannschaft besteht. Eine sportliche Strategie sollte sich durch einen Klub ziehen. Von der Akademie aufwärts. Wenn man im Geld schwimmt, wie etwa die Klubs auf der Insel, wo selbst der kläglich versagende Premier League-Absteiger mehr Fernsehgeld bekommt als die Meister in fast allen anderen Ländern, geht die Geschichte natürlich irgendwie. Dort sitzt ein „Manager“ an der Spitze, der einen Riesenstab um sich hat und so Trainer und Sportdirektor in Personalunion ausüben kann. Dazu kann er das Füllhorn ausschütten und alles aus Europa und der Welt zusammenkaufen, was nicht auf Perspektive, sondern auf schnelles Geld aus ist. Also fast alles und jeden in einer neoliberalen Fußballwelt, wo die schnelle Ertragsmaximierung im Vordergrund steht. Der sportliche Erfolg auf internationaler Ebene gibt den englischen Klubs trotzdem nur selten Recht. Vor allem nicht in Relation zu den investierten Mitteln.
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Wohlfahrt steht vor einer neuen Saison im neuen Stadion, sieht sich mit einer großen Erwartungshaltung konfrontiert und holt aus der Not heraus ein paar „Namen“, um mit einigermaßen gutem Wind in die neue Spielzeit zu gehen. Das mag kurzzeitig den gewünschten Effekt haschen, schlau ist es nicht.
„Populisten-Sportdirektorei“ am Verteilerkreis
Zurück in die österreichische Provinz. Wieso war die SV Ried in der Bundesliga jahrelang überproportional erfolgreich? Weil einerseits eine vernünftige Finanzgebarung vorgeherrscht hat. Aber noch viel mehr, weil dort mit Stefan Reiter jemand am Ruder gesessen ist, der es über viele Jahre geschafft hat aus der kleinen Substanz im Innviertel sehr viel zu machen. Geschickte Kaderzusammenstellung in Kombination mit oftmals dem richtigen Trainer für die richtige Situation, hat Ried bis in den Europacup gebracht. Wo der Klub gelandet ist, als Reiter, wodurch auch immer, in Ungnade fiel, sieht man gerade in dieser noch kurz laufenden Saison. Man muss nicht einmal eine Schmierenkomödie zur Hand nehmen, wie es Engagements vom angeblichen Sportdirektor Frenkie Schinkels sind. Es reicht, zu den beiden Wiener Großklubs zu schauen. Rapid hat Jahre damit verloren, sich auf dieser Position von Intrige über Vakuum hin zum Scherben aufkehren zu entwickeln, wo man mit seiner Kaderbaustelle aktuell gerade steht. Von Mission 33 und Top 50 Europa blieb fürs erste kaum etwas.
Blickt man zum Verteilerkreis, kann man schließlich gleich noch besser sehen, was alles schiefgehen kann. Seit 2015 werkt dort Franz Wohlfahrt als Sportchef im Verein und veranschaulicht, wie man aus besonders vielen Möglichkeiten besonders wenig machen kann. Und das nicht in erster Linie deshalb, weil die Austria mit einem Top 3-Budget heuer nur Siebenter wird. Ein Wohlfahrt-Zitat aus einem Interview mit 90Minuten.at weist viele eher in die Richtung, wo das Problem liegt: „Die Überphilosophie ist, dass ich keine fixe Philosophie habe“, ließ der frühere Torhüter dort wissen. Die Transferpolitik der letzten Zeit unterstreicht diesen Satz als Kern des Problems. Betrachtet man außerdem die „Populisten-Sportdirektorei“, die sich im Moment abzeichnet (Matic, Jeggo, Edomwonyi), wo Wohlfahrt große Namen aus der Liga versucht zusammenzukaufen, anstatt endlich an einer strategischen Kaderzusammenstellung zu arbeiten, ergibt das einmal doppelt unterstrichen. Er steht vor einer neuen Saison im neuen Stadion, sieht sich mit einer großen Erwartungshaltung konfrontiert und holt aus der Not heraus ein paar „Namen“, um mit einigermaßen gutem Wind in die neue Spielzeit zu gehen. Das mag kurzzeitig den gewünschten Effekt haschen, schlau ist es nicht.
Es ist das genaue Gegenteil von dem, was den Violetten nachhaltig Erfolg bringen würde. Man hätte in der Übergangszeit, wo man ohnehin schon ins Happel-Stadion ausweichen musste, an einem nachhaltigen Aufbau arbeiten können. Was stattdessen geschah, konnte jeder sehen. Wie man es auch noch machen könnte, zeigt zum Beispiel Günter Kreissl in Graz. Der hat beim SK Sturm in zwei Jahren mit begrenztem Budget mehr zukunftsweisendes geschaffen, als seine Vorgänger in der dreifachen Zeit. Aus der Sicht eines Sturmfans bleibt allerdings folgendes zu befürchten: Wenn man in Wien-Favoriten dann nächste Saison vielleicht zum Schluss kommen wird, dass eine Vertragsverlängerung von Franz Wohlfahrt doch nicht die Idee des Jahrhunderts war, werden die Wiener wohl bei der Suche nach dem Sportchef ähnlich kreativ sein, wie bei den Spielertransfers. Sie werden in Graz nachschauen gehen.