Papierform oder Lucky Punch?
Geht es nach allem, was quantitativ verwertbar ist, gewinnt Red Bull nach der Meisterschaft auch den Cup. Aber es ist eben Fußball, ein KO-Spiel und für Sturm das Highlight der Saison. Vorschau auf den Cup-Showdown am Wörthersee.
Von Jürgen Pucher
Hier der Abonnement-Meister der Bundesliga, dort der derzeit Zweitplatzierte, der drei von vier direkten Duellen in der Meisterschaft verloren und dabei 13 Tore eingefangen hat. Die Rollen scheinen klar verteilt, vor diesem Cup-Finale am Mittwoch im Wörthersee-Stadion zu Klagenfurt, bevor Schiedsrichter Harald Lechner um 20:30 anpfeifen wird. Red Bull Salzburg ist der haushohe Favorit, der SK Sturm der Papierform nach der fast sichere Verlierer. Red Bull hat den bei weitem besseren Kader, was Marco Rose auf den Rasen stellt, funktioniert in der Regel und trotz des Ausscheidens im Europacup-Halbfinale, scheint die Mannschaft keinen mentalen Knacks abbekommen zu haben. Das hat die Ouvertüre letzten Sonntag in der Meisterschaft gut vorgeführt, wenn auch mit jenen Akteuren, die sonst über die Saison nicht die erste Wahl waren. Mit 4:1 fixierten die Salzburger gegen die Schwarz-Weißen aus Graz ihren fünften Bundesliga-Titel in Folge.
Die Karten werden neu gemischt
Nichtsdestotrotz wird die Cup-Begegnung zwischen den beiden Teams ein komplett anderes Spiel. Red Bull wird bei der Chance auch den fünften Cup-Titel in Folge zu holen, wieder mit seiner ausgeruhten ersten Elf auflaufen. Nur Andreas Ulmer ist mit einer Oberschenkelverletzung fraglich. Und der SK Sturm wird vermutlich einen anderen Spirit an den Tag legen, als noch am Sonntag. Der Coach der Grazer, Heiko Vogel, ließ im Interview nach dem Spiel seinen Gedanken ganz offen freien Lauf. Die Niederlage gehe voll auf seine Kappe, er hätte es nicht geschafft, das anstehende Cup-Finale aus den Köpfen seiner Spieler zu bringen. Wahrscheinlich kann man hier getrost hinzufügen: Wie auch? Wahrscheinlich hat er es nicht einmal aus seinem eigenen Kopf gebracht. In der Liga hat man trotz der Pleite in Wals-Siezenheim noch immer fünf Punkte Vorsprung auf Rapid und in den letzten drei Runden zwei Heimspiele, also alles selbst in der Hand. Ein tiefe Wunde wird diese Niederlage der Sturm-Mannschaft nicht zugefügt haben. Alle wissen um die komplett neu gemischten Karten im KO-Bewerb.
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Ein leichtes, sich auch international Referenzen für das andere Spiel in jenen Wettbewerben zu holen. Abseits des Ligabetriebs, wo in den allermeisten Fällen das überlegene Kapital, mitsamt dazugehöriger Mannschaft, die Trophäe holt, sind immer wieder überraschende Ereignisse möglich. Der FC Barcelona, Manchester City, Bayern München oder Paris Saint Germain haben allesamt mit ihren Milliardenetats die heimischen Meisterschaften in Grund und Boden dominiert. Im Champions League-Finale spielen aber alle vier keine Rolle mehr. Die Verdichtung auf ein- oder zweimal 90 Minuten, wo es um alles oder nichts geht, erfordert mehr, als Konstanz und das Ausspielen der überlegenen Ressourcen über einen langen Zeitraum. Dinge wie der eine besondere Moment, die bessere Verfassung an ebenjenem Tag, ein einziges kleines Blackout oder eben der berühmte ‚Lucky Punch‘ können schon über Sieg oder Niederlage entscheiden.
Einer, der für Sturm in letzter Zeit immer wieder für so einen besonderen Moment sorgen konnte, verpasst den Showdown am Wörthersee mit einem Wadenbeinbruch. Emeka Friday Eze, der die Grazer gegen Rapid ins Finale geschossen hat, muss auf der Tribüne Platz nehmen. Maximilian Hofmann beförderte ihn im Heimspiel gegen Rapid mit einem Brutalo-Foul dorthin. Eine wichtige Waffe, die Heiko Vogel fehlen wird.
Macht ‚Heimspiel‘ für Sturm den Unterschied?
Noch ungleicher als das sportliche Kräfteverhältnis auf dem Papier, wird jenes auf den Klagenfurter Tribünen sein. Aber mit umgekehrten Vorzeichen. Zumindest 80 Prozent der Unterstützung wird hier von mitgereisten Fans aus der Steiermark kommen. Das ist natürlich ein nicht zu unterschätzender Faktor in einem KO-Spiel. Auch das kann zum besonderen Moment führen. Wenn der Funke überspringt, können die lautstarken Sturmfans in einer knappen Begegnung sicher das eine oder andere Prozent zum Kräftebalken ihres Teams hinzufügen. Nicht nur für die Mannschaft von Heiko Vogel wird das Finale das Spiel des Jahres. Auch die Fans werden an ihre Leistungsgrenze gehen, wittern doch alle die Chance den ersten Titel seit 2011 an die Mur zu holen.
Cup-Bewerb sorgt erneut für Fußballfest
Überraschen wird keiner die jeweils andere Strategieabteilung mehr können. Zu gut kennt man sich nach der letzten Zehnerliga mit vier Ligabegegnungen gegeneinander. Bis auf den erwähnten Ausfall von Eze, fehlt bei Sturm nur noch der langzeitverletzte Philipp Zulechner. Hinter Ulmer steht wie gesagt ein Fragezeichen bei den Salzburgern, ansonsten kann aus dem jeweils Vollen geschöpft werden. Marco Rose wird wohl, zumindest großteils, auf die Elf vertrauen, die zuletzt gegen Marseille aufgelaufen ist. Sollte Ulmer ausfallen, würde wohl Stefan Lainer auf die linke Seite wechseln und Patrick Farkas rechts hinten auflaufen.
Bei Sturm kommt es darauf an, wie aktiv oder reaktiv Heiko Vogel seine Mannschaft zu Beginn sehen will. Geht er von Beginn an mit Bright Edomwonyi oder Philipp Huspek im 4-1-4-1 respektive 4-3-3 in die Partie und hofft auf schnelle Gegenstöße? Oder geht es eher in Richtung Spielanlage wie im letzten Heimspiel gegen Rapid, wo Sturm im 4-4-1-1 mit Deni Alar als zweiter Spitze auflief?
Die Voraussetzungen für ein Fußballspektakel könnten jedenfalls besser nicht sein. Ein volles Stadion mit guter Atmosphäre wird auch dem vom Negativ-Image gebeutelten Ligafußball hierzulande guttun. Nach dem Semifinal-Hit Sturm gegen Rapid, wird es wieder der Cup sein, der dazu beiträgt. Fast skurril, dass das Stiefkind der heimischen Bewerbe diese Rolle einnimmt. Geht alles nach den nackten Zahlen und Vorbedingungen, gewinnt Red Bull das Double. Aber genau deshalb, weil es eben nicht immer nach allein diesen Kriterien geht, fahren weit über 20.000 Sturmfans über die Pack nach Klagenfurt. Sie wollen eine Sensation sehen und werden so lange daran glauben, bis sie eines etwaigen Besseren belehrt wurden.