VAR: No more "football, bloody hell"
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VAR: No more "football, bloody hell"

Die EURO ist geschlagen und auch beim Turnier in Deutschland war der VAR wieder einmal Gegenstand von Diskussionen. Ein Tool, um den Sport fairer zu machen, hat viele Kollateralschäden verursacht. Es sollte wieder entsorgt werden.

Der Videoschiedsrichter war auch bei der am Sonntag zu Ende gegangenen Europameisterschaft in aller Munde.

Viele Diskussionen gab es, über die eine oder andere Auslegung des Videostudiums. Ganz generell kann nach einigen Jahren Beobachtung des neuen Tools, das den Fußball gerechter machen sollte, festgehalten werden: Die Diskussionen über Entscheidungen der Schiedsrichter sind durch die Assistenz des Videoreferees nicht weniger geworden.

Es wurde nur die Ebene der Streitereien von der direkten Schiri-Beschimpfung auf die Screenshots und Videoschnipsel der Smartphones verlegt.

Eindeutig kommt von Deutung

Der VAR, der statistisch belegt, natürlich die eine oder andere Fehlentscheidung nachträglich verhindern kann, hat aber nicht nur die Konfliktebene verlagert, er hat das Spiel an sich verändert. Die Unmittelbarkeit des Fußballs wurde auf Kosten der Checks und Doublechecks zurückgedrängt.

Um in einem Bild des gerade absolvierten Ländervergleichs zu bleiben: Wir haben bei Regelangelegenheit jetzt weniger Spanien und mehr England, weniger schönes Spiel, mehr Pragmatismus. Auch wenn viele anderer Meinung sein mögen, meiner Ansicht nach hat der VAR den Fußball für die Fans und die Mannschaften zu keinem besseren Spiel gemacht.

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Der große Video-Würfel im Stadion von Frankfurt.

Das beginnt schon einmal bei etwas nur scheinbar Banalem: der Eindeutigkeit. Der Videoschiedsrichter soll nur eingreifen, wenn "eine klare und offensichtliche Fehlentscheidung des Schiedsrichters auf dem Platz vorliegt." Das ist natürlich, wie eine Entscheidung des Referees auf dem Feld, eine Interpretationsfrage. Wann war etwas eine eindeutige Fehlentscheidung?

Manchmal mag es eindeutig sein, sehr oft ist es aber ganz und gar nicht so. Frag nach bei Kaspar Hjulmand, dem Nationaltrainer von Dänemark. Zwei Entscheidungen des VAR haben das Spiel seiner Mannschaft gegen Deutschland entschieden, eine davon war eine unglaublich knappe Abseitsentscheidung zu Ungunsten von Dänemark. Hjulmand argumentierte, eine derart knappe Angelegenheit sei auch per Videostudium nicht eindeutig festzustellen und der VAR sollte so nicht eingesetzt werden.

Viele Fußballgeschichten wären nie geschrieben worden

Niederlande-Coach Ronald Koeman geht sogar noch einen Schritt weiter und hielt nach einer kaum eindeutig aufzulösenden Elfmeterentscheidung im Spiel Holland gegen England fest: "Wir können nicht richtig Fußball spielen und das liegt am VAR. Er bricht den Fußball."

Und neben der Problematik, dass eben eine Eindeutigkeit auch immer erst durch Deutung herbeigerufen wird, kommt die bereits erwähnte Unmittelbarkeit. Dadurch, dass mittlerweile nahezu jedes Tor einem Check zugeführt wird, leidet die direkte Emotion im Stadion und dieser Umstand blockiert außerdem das Momentum auf dem Feld.

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Felipe Santana feiert nach dem legendären CL-Sieg über Malaga 2013.

Einer der Hosts des Podcasts "Spielfrei", Stefan Adelmann, hat unlängst treffend festgehalten, dass Dortmund 2013 im Viertelfinale der Champions League das Spiel gegen Malaga wohl mit einem Videoschiedsrichter nicht gedreht hätte. Und auch die Mutter aller Doppelschläge, Manchester gegen Bayern im Finale 1999, wäre wahrscheinlich nie passiert. Der nach den Ausgleichstreffern folgende VAR-Check hätte den Teams, obwohl die Tore korrekt waren, das Momentum für den kurz darauf erzielten Siegestreffer genommen.

"Das ist alles in 69 Sekunden passiert", erzählte der damalige Dortmund-Matchwinner Felipe Santana. Heute würde nach diesem Zeitraum der Schiedsrichter noch immer an seinem Headset horchend die Überprüfung abwarten. Und 14 Jahre davor hätte ManUnited-Trainer Alex Ferguson die berühmten Worte "Football, bloody hell" auch nie in die Mikrofone gesprochen. Das Spiel wäre in die Verlängerung gegangen und eine der emotionalsten Episoden in der Geschichte des Fußballs wäre nie geschrieben worden.

Erlöst das Spiel vom VAR

Von Diego Maradonas Hand Gottes bei der WM 1986 gar nicht zu reden. Nicht, dass das hier ein Plädoyer für den Regelverstoß sein soll, aber der Fußball ist ein Spiel von Menschen für Menschen.

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Diego Maradona und die "Hand Gottes" im WM-Viertelfinale 1986.

Es sollen bitte auch die Menschen die Fehler machen und bewerten – und nicht die Interpretation eines hundertfach aus allen Winkeln angeglotzten Videoscreens. Das verhindert am Ende vielleicht den einen oder anderen Fehler, gänzlich verhindert können sie aber trotzdem nicht werden. Dafür macht der VAR aber viele Aspekte des schönen Spiels kaputt.

Es ginge ja um so viel Geld, heißt es oft. Man müsse doch alles ausnützen, um so gerecht wie möglich sein zu können. Das ist mir als Konsument erstens herzlich egal und außerdem können die FIFA, die UEFA und die hegemonialen Geldsackklubs à la Manchester City und Paris Saint Germain sich heute nur deshalb die Taschen vollstopfen, weil dieses schöne Spiel auf dem gesamten Globus so populär ist.

Und warum ist es so populär? Weil es von ganz unten bis ganz oben nach den gleichen Regeln funktioniert hat, die gleichen Emotionen erzeugt hat und deshalb hunderte Millionen Menschen aktiv und passiv in seinen Bann gezogen hat. Die Einführung des VAR hat das nach mehr als einem Jahrhundert erstmals aufgebrochen und das Spiel verändert. Eine Änderung, die zurückgenommen werden sollte.



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