Im Mai 2020 saß ein junger Mann mitten in der Corona-Pandemie brav mit Hemd und Pullover in einer virtuellen Pressekonferenz des SK Sturm. Andreas Schicker, damals noch nicht einmal 34 Jahre alt, wurde als Nachfolger von Günter Kreissl vorgestellt.
Er war ab sofort der neue Sportchef der Schwoazn. Kreissl brachte ihn als Chefscout zum Klub und er überzeugte offenbar unter anderem Präsident Christian Jauk von seinen Qualitäten. Der machte ihn in einer für Sturm sehr herausfordernden Zeit zum neuen sportlich Hauptverantwortlichen.
Der Architekt des Grazer Erfolgs
Viele waren skeptisch, aber selbst jene, die ihm von Anfang an wohlgesonnen waren, hätten wohl nicht zu träumen gewagt, welche Bilanz Andreas Schicker viereinhalb Jahre später vorweisen kann.
Er holte mit Christian Ilzer den Erfolgstrainer der letzten Jahre. Sturm kehrte auf die internationale Bühne zurück, wurde Cupsieger 2023, gewann 2024 sensationell sogar das Double und stieß damit Serienmeister Red Bull Salzburg vom Thron.
Andreas Schicker geht von einem Traditionsverein, der auf seinen Mitgliedern gebaut ist und eine aktive und lebendige Fanszene hat, zu einem Retortenklub, der am Reißbrett entworfen wurde.
Schicker hat Sturm gemeinsam mit Ilzer eine klare Spielphilosophie – vom Nachwuchs bis zu den Profis - eingeimpft und kann eine Transferbilanz vorweisen, die Sturm in finanzielle Sphären katapultierte, die bis dahin völlig undenkbar waren. Das Scouting von Spielern, die nach relativ kurzer Entwicklungszeit äußerst gewinnbringend weiterverkauft werden können, hat Schicker zu einem interessanten Mann auf der Position des Sportdirektors gemacht.
Schon im Laufe der abgelaufenen Saison wurde bekannt, dass Hoffenheim – und dort insbesondere Mäzen Dietmar Hopp – sehr an einem Engagement von Sturms Sportchef interessiert war. Viele rechneten damit, dass Schicker nach dem Gewinn des Doubles das Kapitel Sturm abschließen würde. Aber es kam noch einmal anders: "Wir haben beide Titel nach Graz geholt, trotzdem habe ich für mich nicht das Gefühl, dass es ein Ende ist", gab er damals gegenüber "BlackFM" überraschend bekannt.
Schlangengrube Hoffenheim
Ein paar Monate später wurden die Rufe aus Sinsheim aber noch lauter, das Angebot nachgebessert und Andreas Schicker sollte diesen Rufen diesmal folgen. Ein Wechsel, der freilich einen absoluten Kulturbruch darstellt. Der 38-Jährige geht von einem Traditionsverein, der auf seinen Mitgliedern gebaut ist und eine aktive und lebendige Fanszene hat, zu einem Retortenklub, der am Reißbrett entworfen wurde.
Die Lücke bei Sturm wird eine mehr als große sein, wird der Sportchef doch auch seinen technischen Direktor und Vertrauten Paul Pajduch mit nach Baden-Württemberg nehmen. Das komplette Scouting-Know-How verlässt den Klub.
Bei der TSG Hoffenheim, wo er am Donnerstag präsentiert werden soll, wird der Neue außerdem nicht von allen mit offenen Armen empfangen. Die Fans dort zeigten geschmacklose Böller-Transparente, die auf Schickers Unfall vor einigen Jahren anspielten, bei dem er eine Hand verlor. Glaubt man gut informierten Kreisen, dann liegt dieser Ablehnung eine immer noch vorhandene Zuneigung der Fans für Alexander Rosen zugrunde. Der war seines Zeichens bis vor Kurzem der Geschäftsführer Sport der TSG, allerdings beim starken Mann Dietmar Hopp nicht wohlgelitten.
Nun ist diese Fanszene dort aufgrund ihrer Größe und ihrer gesamten Ausprägung nicht sehr ernst zu nehmen. Für ein wenig mediales Gerumpel reicht es aber allemal. Schwerer wiegt für Schickers Start bei der TSG aber, dass der Verein selbst alles andere als unkompliziert aufgestellt ist. Mäzen Hopp und sein Sohn hegen einen familieninternen Zwist, eine Schar an diversen Geschäftsführern und Vertrauten tummelt sich in der Geschäftsstelle und sportlich befindet sich der Klub auch in einer Krise.
Und jetzt?
Hopp senior ist zudem alt und krank, was danach kommt, kann aktuell schwer prognostiziert werden. Es bleibt zu hoffen, Andreas Schicker hat sich all das gut überlegt. Zweifelsohne sind die Möglichkeiten, sportlich und finanziell, bei der TSG im Vergleich zu Sturm bei weitem größer und aus dieser Perspektive ist Schickers Wechsel auch nachvollziehbar. Er begibt sich aber im Vergleich zu Graz auf ein ungleich glatteres Parkett.
Die Lücke bei Sturm wird eine mehr als große sein, wird der Sportchef doch auch seinen technischen Direktor und Vertrauten, Paul Pajduch, mit nach Baden-Württemberg nehmen. Das komplette Scouting-Know-How verlässt den Klub. Dazu kommen noch softere Themen. Andreas Schicker war der erste Geschäftsführer in Messendorf, der es geschafft hat, den fahrigen und umfassend zur Kontrolle neigenden Präsidenten Christian Jauk zu beruhigen. Der hielt sich bei sportlichen Angelegenheiten mehr und mehr im Hintergrund, weil er Vertrauen hatte, was sich äußerst positiv auf den Verein ausgewirkt hat.
Ein österreichischer Kandidat könnte als technischer Direktor nachfolgen. Tino Wawra, derzeit vereinslos, vorher bei BW Linz und St. Pölten aktiv, scheint bei Jauk am Zettel zu stehen.
Jetzt muss Jauk einen Nachfolger suchen und der wird aller Voraussicht nach aus dem deutschsprachigen Ausland kommen. Es wird eine äußerst heikle Besetzung werden, muss der neue Mann doch in die größtmöglichen Fußstapfen treten.
Jauk steht mit mehreren Kandidaten in Kontakt, bis in die erste Novemberwoche will man sich bei Sturm für die Suche Zeit geben. Ein österreichischer Kandidat könnte Pajduch als technischer Direktor nachfolgen. Tino Wawra, derzeit vereinslos, vorher bei BW Linz und St. Pölten aktiv, scheint ganz oben am Zettel von Jauk zu stehen.
Christian Ilzer bleibt. Vorerst
Kommt es für Sturm aber gleich noch schlimmer? Coach Christian Ilzer sprach nach der 5:0-Gala am Sonntag gegen Red Bull kein klares Dementi in die Mikrofone, als er gefragt wurde, ob ein Wechsel gemeinsam mit Schicker ein Thema wäre. Aus dem Verein heißt es am Mittwoch, Ilzer plane bereits für die Wintervorbereitung und das Frühjahr.
Fakt ist aber: Pellegrino Matarazzo, aktuell Übungsleiter bei Hoffenheim, steht schwer unter Druck. Der Saisonstart ließ mehr als zu wünschen übrig und die Leistungen der Mannschaft rufen viel Kritik hervor. Aktuell wurde er im Amt bestätigt, viel darf aber wohl in den nächsten Wochen nicht mehr passieren.
Andreas Schicker müsste dann einen neuen Trainer suchen. Wo er damit nach vier äußerst erfolgreichen gemeinsamen Jahren mit Ilzer wohl beginnen würde? In diesem Fall stünde Sturm plötzlich komplett ohne seine Backbones da und Ilzer hat zudem bisher immer sein gesamtes Trainerteam zu einer neuen Station mitgenommen. Es wäre mehr als nur eine Herkulesaufgabe für Sturm und seine Entscheidungsträger, das alles abzufangen.
Der scheidende Sportchef wird angesichts seiner außerordentlichen Ära beim Verein wohl – Stand jetzt – in allen Ehren verabschiedet werden. Wenn er aber, zum Beispiel in der Winterpause, den Trainer und sein Team in die deutsche Bundesliga nachholt, würden ihm das unter den Sturmfans wohl einige dann doch übelnehmen.