Gazibegovic-Abschied: Einer wie früher
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Gazibegovic-Abschied: Einer wie früher

Jusuf Gazibegovic wechselt im Winter von Graz nach Köln. Für Sturm ein herber Verlust, für den 1. FC Köln sicher ein absoluter Gewinn im Aufstiegskampf. Ein Loblied auf eine Integrationsfigur.

Er war einer der ersten Transfers, die Andreas Schicker als neuer Sturm-Sportchef im Sommer 2020 getätigt hatte.

Damals zur Kenntnis genommen und wenig beachtet, kam Jusuf Gazibegovic als Backup in der Außenverteidigung von Liefering aus der 2. Liga nach Graz. Schon in der ersten Saison 2020/21 bei Sturm wurde der gebürtige Salzburger, der im Nationalteam für Bosnien-Herzegowina aufläuft, unter Christian Ilzer vom Perspektiven- zum Stammspieler.

In all den Jahren bis zu seiner letzten Partie für die Schwoazn am Wochenende in Tirol, spielte Gazibegovic nahezu jede Partie für seinen Klub. Im Grunde nie verletzt, stand er beim Anpfiff rechts hinten – wenn Not am Mann war auch links – auf dem Feld. Ab und an eine Gelbsperre waren meistens seine einzigen Pausen.

Seltene Beziehung im modernen Business

Und "Gazi" stand nicht nur auf dem Feld, er ließ bei absolut jedem Einsatz alles, was er hatte, auf dem Platz. Es war kein Wunder, dass es zwischen dem kleingewachsenen Mann mit der immer perfekten Bart-Frisur-Kombi aus dem Barbershop und der Fantribüne in Graz-Liebenau sehr bald funkte. Gazibegovic avancierte zu einem der Publikumslieblinge der Sturm-Nordkurve.

Er war einer, dem man das glaubte und den man ernstnahm. Es sind diese, im modernen Fußballbusiness nur noch rar gesäten Beziehungen, wo die Chemie zwischen Kicker und Tribüne von Anfang an stimmt.

Jürgen Pucher über die Beziehung zu den Fans

Spieler wie er, die alles geben und dabei außerdem authentisch sind, werden in Zeiten wie diesen mehr als nur dankbar angenommen. Gazibegovic interagierte und kommunizierte während der Spiele mit den Fans.

Und diese nahmen seine Gesten dankbar an. Er war einer, dem man das glaubte und den man ernstnahm. Es sind diese, im modernen Fußballbusiness nur noch rar gesäten Beziehungen, wo die Chemie zwischen Kicker und Tribüne von Anfang an stimmt.

Ein Kommunikator in alle Richtungen

Gazibegovic gelang die Kommunikation auch in alle anderen Richtungen. In der Kabine einer der Leithammel, die für Stimmung sorgten, war er auch im Gespräch mit den Medien einer jener, die tatsächlich noch Dinge mit Substanz von sich gaben. Ohne dabei ein Wort zu viel zu verlieren, sprach er an, was anzusprechen war. So einfach ist das manchmal. Diesbezüglich ist "Gazi" so etwas wie einer von früher, als noch nicht jedes Interview gleich klang und permanent irgendwelche Stehsätze herausgewürgt wurden.

Er sparte auch nicht mit Kritik, wenn er es für wichtig hielt. Besonders in der Stadiondebatte legte er immer wieder den Finger in die Wunde der Grazer Stadtpolitik und beschwerte sich über die dortige Untätigkeit.

Jusuf Gazibegovic gab immer alles
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Jusuf Gazibegovic gab immer alles

"Ziemlich schwach von der Stadt Graz, dass sie das nicht möglich machen", sagte Gazibegovic schon vor der Saison im Trainingslager gegenüber BlackFM zum Umstand, dass Sturm in der Champions League nach Klagenfurt ausweichen muss. "Liebenau ist eine komplett andere Atmosphäre, wir haben deshalb bei Heimspielen ein Auswärtsspiel", sprach der Außenverteidiger vielen aus der Seele.

Überraschender Verbleib im Sommer

In der sonnigen Obersteiermark bei besagtem Trainingslager, wo diese Sätze fielen, galt es fast schon als Überraschung, dass Gazibegovic noch dabei war. Viele vermuteten einen Abgang des Nationalspielers schon im Sommer 2024.

"Wenn mich etwas interessiert, dann schaue ich mir das an", ließ er dort wissen. "Ich weiß, was ich hier beim besten Klub des Landes habe und dass ich Champions League spielen werde", erklärte er seinen Verbleib und offenbar fehlende Lockrufe aus interessanten Destinationen.

Wie beim Trainer und beim Sportdirektor war es aber nur noch eine vorübergehende Verlängerung der Zeit in Graz. Jetzt, im Winter 2024/25, hat Jusuf Gazibegovic offensichtlich etwas interessiert. Konkret ist es ein Angebot aus Köln in der zweiten deutschen Liga. Sein früherer Trainer aus Liefering, Gerhard Struber, werkt dort und nach einer Transfersperre dürfen die Rheinländer jetzt wieder am Markt aktiv werden.

Aufstiegskampf in Deutschland besser als Double verteidigen?

Letzte Saison in die zweite Liga abgestiegen, will der Traditionsklub freilich gleich wieder zurück in die Bundesliga. Die zweite Leistungsklasse im Nachbarland ist allerdings ein hartes Pflaster. Um sich das zu verdeutlichen, muss man sich nur die aktuelle Tabelle zu Gemüte führen. Die ersten acht Teams liegen innerhalb von drei Punkten.

Ob das sportlich der richtige Schritt war, wird sich in den nächsten Monaten weisen. Emotional wird das für "Gazi" in der Domstadt sicher funktionieren.

Jürgen Pucher

Ist das der richtige Wechsel für einen aufstrebenden Nationalspieler mit 24 Jahren? Brutaler Aufstiegskampf mit ungewissem Ausgang statt Champions League und die Möglichkeit auf Double-Verteidigung?

Der eine oder andere zweifelt daran. Vielleicht ist das tatsächlich ein wenig unter dem, was für Gazibegovic nach einem guten Frühjahr am Ende dieser Saison möglich gewesen wäre.

Köln ist wie gemacht für Gazibegovic

Es scheint aber, als sähe er seine Zeit in Graz zu Ende. Was in jedem Fall für Köln spricht, sind der Klub selbst und sein Umfeld. Ein "Energieverein", wie es Christian Ilzer genannt hätte, mit fanatischen Fans und sehr viel Tradition. Wie gemacht also, für einen Spieler wie Jusuf Gazibegovic.

Ob das sportlich der richtige Schritt war, wird sich in den nächsten Monaten weisen. Emotional wird das für "Gazi" in der Domstadt sicher funktionieren.

Für Sturm ist dieser Abgang freilich ein herber Verlust. Ein Leistungsträger und eine Identifikationsfigur ziehen weiter. FC-Sportchef Christian Keller ist zu dieser Entscheidung jedenfalls zu gratulieren. Er hat sich einen geholt, den er im Aufstiegskampf in jeglicher Hinsicht mehr als gut gebrauchen kann.

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