Drei Punkte verloren und trotzdem gewonnen
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Drei Punkte verloren und trotzdem gewonnen

Die Wiener Austria gewann ein Spiel und brachte sich im Meisterkampf in die Poleposition. Sturm hat drei Punkte verloren, sonst aber alles gewonnen. Jürgen Puchers "12 Meter":

Vor dem Doppel gegen Austria Wien sah Sturm aus wie der Top-Favorit auf den Meistertitel. Das ist jetzt nicht mehr so, die Schwoazn verloren beide Partien gegen die Violetten und sind den Platz an der Spitze los.

Hat die Jürgen Säumel-Elf in Wien noch verdient und aufgrund einer vor allem defensiv dürftigen Leistung den Kürzeren gezogen, war das "Rückspiel" in Graz am Sonntag an Dramatik kaum zu überbieten.

Fragile Austrianer und kein Fingerspitzengefühl

Vor vollem Haus und bester Stimmung in Liebenau, erfuhr das Spitzenspiel der Bundesliga den Gis-"Hammer". William Böving verhielt sich im Zweikampf mit dem sehr fragilen Reinhold Ranftl nicht unbedingt geschickt, der Referee entschied sich dann aber gleich für die Höchststrafe. Rot wegen Tätlichkeit.

Eine Entscheidung, die vielleicht irgendwie dem Regelwerk entsprechen kann, mit auch nur einem Hauch von Fingerspitzengefühl bei so einem wichtigen Spiel hatte das aber genau gar nichts zu tun.

Jürgen Pucher zur roten Karte gegen William Böving

Eine Entscheidung, die vielleicht irgendwie dem Regelwerk entsprechen kann, mit auch nur einem Hauch von Fingerspitzengefühl bei so einem wichtigen Spiel hatte das aber genau gar nichts zu tun. Und Sebastian Gishamer zog das bis zum Ende konsequent durch. Keine klare Linie, kein Gespür für Situationen, keine konsequenten Entscheidungen.

Im Mittelpunkt: Referee Sebastian Gishamer
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Im Mittelpunkt: Referee Sebastian Gishamer

Dafür dann nach etwas mehr als einer Stunde eine zweite Gelbe Karte für Leon Grgic, die ein Ellbogencheck gegen den nächsten Austrianer von etwas schwächlicher Konstitution, Aleksandar Dragovic, gewesen sein soll. In Wirklichkeit fiel der zumindest optisch robuste Dragovic nach leichter Berührung um, wie wenn ihn eine Kanonenkugel getroffen hätte.

Schiedsrichterfehlbesetzung

Sturm war also nur mehr zu neunt, die Emotionen waren groß und es kam, wie es kommen musste. Die Austria ging gegen den extrem geschwächten Gegner in Führung und gewann schließlich das Spiel. Gishamer hat das Spiel in die Hand genommen und in seine eigenen Bahnen gelenkt. Ein Schiedsrichter, der erst letzte Woche gegen Niklas Hedl von Rapid eine absolute Katastrophenentscheidung getroffen hat, die nachträglich annulliert werden musste.

Dazu hat der Salzburger inzwischen zigmal bewiesen, dass er nicht in der Lage ist, Topspiele mit ruhiger Hand zu führen.

Jürgen Pucher über Sebastian Gishamer

Dazu hat der Salzburger inzwischen zigmal bewiesen, dass er nicht in der Lage ist, Topspiele mit ruhiger Hand zu führen. Wieso die Bundesliga diesen Mann für das Spiel des Ersten gegen den Zweiten besetzt, ist schlicht nicht nachvollziehbar.

Ewig schade und der Liga unwürdig, dass bei der Entscheidung um die Meisterschaft derart gefuhrwerkt wird. Und am Ende war sich Sebastian Gishamer, nach seiner blamablen Leistung auf dem Feld nicht zu schade, im Interview von Sturmspielern, die halt vielleicht ihre Emotionen nicht im Griff hatten, zu sprechen. Shame on you, Mr. Referee.

Große Teams sehen anders aus

Bei allem Respekt für die Leistung der Wiener Austria, die sich über weite Teile der Saison durch große Effizienz und defensive Stabilität auszeichnet, sei den Favoritner aber auch ins Stammbuch geschrieben: Sympathiepunkte gewinnen sie mit ihren Auftritten wohl nur beim eigenen Anhang. Dieses ständige ziehen von Fouls, das sich nach Nichtigkeiten wie sterbende Schwäne windend auf den Boden werfen, um kurz darauf fidel und flink weiter über den Rasen zu laufen, mag innerhalb des Regelwerks stattfinden, lässt aber jegliches Sportsmanship vermissen.

In der Rückschau waren solche Teams, Titel und Pokale hin oder her, sehr selten große Lichtblicke der Erinnerungskultur.

Jürgen Pucher über den Zugang der Wiener Austria

Das müssen die Herren Ranftl, Dragovic und Co. – und das Trainerteam, das diesen Zugang offensichtlich unterstützt – mit ihrem eigenen moralischen Kompass vereinbaren. Wer gerne seine Erfolge in diesem Licht feiert, der soll das machen. In der Rückschau waren solche Teams, Titel und Pokale hin oder her, sehr selten große Lichtblicke der Erinnerungskultur.

Ein stolzer Hexenkessel

Sturm hat an diesem Sonntag ein Spiel, vielleicht sogar die Meisterschaft, verloren. Aber Jürgen Säumel, sein Team und seine Mannschaft haben trotzdem viel mehr gewonnen, als es die drei verlorenen Punkte aufwiegen können. Wie sich diese Gruppe, obwohl alles gegen sie gelaufen ist, aufgebäumt und dagegengestemmt hat, ließ einem das Herz aufgehen.

Pressing am gegnerischen Strafraum, trotz Unterzahl. Lange Zeit mehr als ebenbürtig, sogar noch zu neunt und wenn man in der Schlussphase Jon-Gorenc Stankovic an vorderster Front attackieren sah, dann konnte man an diesem Nachmittag als Sturmfan einfach nur stolz auf diese Leute sein. Lieber so jede Saison Zweiter, als Meister wie es die Austria einer wäre.

Nicht zuletzt sei einmal mehr der Hexenkessel Liebenau erwähnt. Fulminanter Support über die gesamte Zeit des Spiels, allen Ereignissen zum Trotz. Es war ein erhebendes Gefühl, Teil dieses Stadions zu sein und die aufopfernd kämpfende Mannschaft und das mutige Trainerteam, das trotz numerischer Unterlegenheit dieses Auftreten verordnete, zu unterstützen. Danke für dieses Spiel, Schwoaze.

Jürgen Pucher ist Buchautor, Politikwissenschaftler, Fußballjournalist und praktizierender Sturmfan in Wien. Der Steirer war Mitgründer der Fanplattform Sturm12.at. Seit 2015 ist Pucher als Betreiber des Podcast BlackFM aktiv, der sich den "Schwoazn" widmet. Für 90minuten.at schreibt er in unregelmäßigen Abständen die Kolumne "12 Meter".

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