Vor 15 Jahren war’s aus. Die allerletzte Schlusssirene des letzten Wiener Stadthallenturniers ertönte, die Vienna gewann das Finale 2009 gegen den Wiener Sportklub mit 8:1.
Jahrzehntelang schleppten Wiener und Wienerinnen ihre in den Tagen davor von Glühwein, Keksen und Weihnachtsfeier-Fressgelagen gepeinigten Körper in den 15. Wiener Gemeindebezirk, um ihre schlechten Gewissen zumindest durch passiven Sport ein wenig zu beruhigen. Oder eventuell auch nur, um den nervigen Verwandten für ein paar Stunden zu entkommen.
Wenn Willy Schmidt zu Maradona wurde
Während von Mitte der 1970er- bis Mitte der 1980er-Jahre die Devise galt, dass sowieso immer die Austria gewinnt, war sonst an diesen Tagen zwischen Stefani und den Heiligen drei Königen gefühlt immer alles möglich.
Es waren die Tage von unverhofften Helden wie Willy Schmidt, Ernst Mader, Dragan Bodul und Nikica Pavlek, die monatelang am grünen Rasen maximal statistische Fußnoten waren, in der Halle aber plötzlich aufgeigten als hätten sie Maradona, Pele und Cruyff zum Frühstück verspeist.
Doch es war gar nicht so viel der – im Nachhinein oft verklärte – Bandenzauber, der die Menschen in die Stadthalle lockte. Vor allem in den 1990er-Jahren wurde das Stadthallenturnier zu einem obskuren Vergnügungspark des österreichischen Fußballs. Übervermarktet, laut schreiend, vollgestopft mit schwitzenden Körpern.
Beim Eintritt ins Foyer traf einen olfaktorisch, hitzetechnisch und auch mit allen anderen Sinnen der Schlag. So viele Möglichkeiten, da war richtig was los.
Ein Schal beim Fanshop Strobl
In dem einen Eck Halbstarke bis in gesetztem Alter befindliche Männer, die ihrem Testosteronrausch bei der Schussgeschwindigkeits-Messung sponsored by dem Mobilfunk-Anbieter Ihres Vertrauens freien Lauf ließen. Die Zahl der "Ziagal" nach der Schnellkraftanstrengung war Legion.
Nur ein paar Meter weiter der Stand des "Fanshop Strobl". Hier atmete man in der Prä-DAZN-Ära noch den süßen Duft der weiten Fußballwelt ein.
Und mit ein bisschen Glück wollten ob der enttäuschenden Weihnachtsgeschenke schuldgefühlige Eltern ihr Gewissen erleichtern, indem sie den Kauf eines seelenlosen 08/15-Template-Schals des AC Parma, der Blackburn Rovers oder von 1860 München generös ermöglichten.
Ein paar Schritte weiter erfreute sich die C-Prominenz des heimischen Kicks an Zehnjährigen, die sich um ihre Autogramm-Tische drängten. "Legenden" wie Wolfgang Hacker, Martin Cestnik und Oliver Köck konnten diese 15 Minuten Ruhm hoffentlich auskosten, definitiv aber nicht nachhaltig nutzen.
Die Erwachsenen drängten ihre Sprösslinge dann aber doch irgendwann unbarmherzig in die Halle, um sich den Kick zu Gemüte zu führen. Es gab immerhin Tage, an denen das Lieblingsteam nur ein einziges Mal im Einsatz war.
Die paar Momente Fußball musste man sich in der Halle aber schwer verdienen. Bei jeder Spielunterbrechung heizte der Hallen-DJ den Fans ein.
Und dann forderte Horst Chmela natürlich "Her mit meine Hennen!", weil der "Gockala" da war.
Es konnte nur als plärrend laute Hommage an Dantes "Göttliche Komödie" verstanden werden, war das doch eine Reise durch die Kreise der Hitparaden-Hölle.
Jedem Dorfdisko-DJ hätte dieser abstruse Mix aus Klassikern von Bon Jovi, Bryan Adams und Wham! mit Eurodance-Krachern und der aktuellsten DJ-Ötzi-Dröhnung die Schamesröte ins Gesicht getrieben. Und dann forderte Horst Chmela natürlich "Her mit meine Hennen!", weil der "Gockala" da war.
Zum "Candy Shop" während der Showeinlagen
Diese Augenblicke der Pein waren aber nichts gegen die unsäglichen Showeinlagen zwischen den Spielen. Immerhin konnte sich der Papa bedenkenlos in die Schlange stellen, um ein neues Bier zu holen, weil er bei Magic Christian, Sambatänzerinnen, Breakdancern oder sich bei Zuschauer-Gewinnspielen eines Sponsors zum Affen machenden Mitmenschen wirklich gar nichts verpasste.
Und wenn der Gschropp dabei war, gab es dann noch einen Abstecher zum nächsten Stand.
Während Kinder beim "Candy Shop" feinmotorisch daran scheiterten, mit klobigen Schaufeln aneinanderklebende Haufen Gummizeugs in filigrane Papiersackerl zu befördern, wurde den ungeduldig wartenden Eltern, lies Vätern, gewahr, dass sie das wohl mehr als 50 Cent kosten würde.
Papierflieger und Legenden-Matches
Aber egal, immerhin waren die Kleinen dann kurzfristig mit etwas anderem beschäftigt als der Konstruktion von Papierfliegern. Während einige wenige Exemplare zu erschaffen vermochten, die gefühlt durch die ganze Halle bis aufs Parkett segelten, landeten die meisten dann doch nur im Bier des Herrn drei Reihen davor.
Der nahm es einigermaßen gelassen hin, lief doch gerade das Legenden-Match. Ungläubig lauschten wir unseren Vätern, als sie von Koryphäen wie Herbert Prohaska und Felix Gasselich schwärmten, während sich beim Altstar-Kickerl vor unseren Augen so mancher stark übergewichtige Ex-Tormann mit waghalsigen Hechtparaden aufs Parkett seine Bandscheibenvorfälle wieder einrenkte.
Und dann blickten wir ganz nach oben in die beiden oberen Ecken der Halle, wo sich die Fanszenen von Austria und Rapid gegenüberstanden. Das klappte natürlich nur, wenn die ganz spezielle Deckenkonstruktion der Halle den Blick dorthin auch freigab.
"Lasst die Schweine raus!"
Wenn es der Fanblock wieder einmal leid war, sich im dritten Rang rauchend ein Bier nach dem anderen reinzuleeren und dabei belanglose Spiele anderer Vereine anzusehen, verlieh er seinem Wunsch, das Team seines Herzens am Parkett beobachten zu dürfen, lautstark mit "Wir wollen Rapid/Austria sehen!" Ausdruck. Der gegnerische Block hatte da eher Vollspaltböden im Sinn und quittierte das prompt mit einem "Lasst die Schweine raus!".
Heute unvorstellbar, dass die Fanszenen der beiden Wiener Großklubs, die inzwischen in großen Stadien wenig bis nichts mehr von Gewaltexzessen abhalten kann, anstandslos durchs selbe Foyer marschieren. Damals lief freilich auch nicht alles friedlich, aber meistens zumindest in einem Rahmen, in dem Familien dennoch sorglos ihre Karten fürs nächste Jahr kauften, ab.
Irgendeiner fand sich dann aber doch, um mit der Schlusssirene tief aus der eigenen Hälfte einen Verzweiflungsschuss abzugeben, der der absurd erscheinenden Höhe der Fangnetze ihre Daseinsberechtigung verschaffte.
Plötzlich war der Hallensprecher wieder an der Reihe. "Letzte Spielminute, kein Spielertausch mehr möglich", war die Durchsage, die es so manchen Fußballer bereuen ließ, sich in den Weihnachtstagen davor doch ein wenig zu intensiv an Keksen und Gans gelabt und zu Silvester völlig gehen gelassen zu haben.
Irgendeiner fand sich dann aber doch, um mit der Schlusssirene tief aus der eigenen Hälfte einen Verzweiflungsschuss abzugeben, der der absurd erscheinenden Höhe der Fangnetze ihre Daseinsberechtigung verschaffte.
Das bittere Ende
Oh, wie war das schön! Meistens zumindest. Definitiv verklärt werden nämlich die tristen letzten Turniere, in denen die Wiener Großklubs nur noch ihre Zweitvertretungen, die damals immerhin nicht aus Stripfing kamen, auflaufen ließen.
Dass mit Naddel, ehemalige Gespieling Dieter Bohlens, dann auch noch eine damals D-, heute maximal P-Prominente als völlig deplatzierter "Stargast" dem Turnier ihre Aufwartung machte, sagt viel über den Niedergang des Stellenwerts aus.
Und doch vermisst jeder das Gefühl, bei etwas ganz Großem dabei gewesen zu sein, während er nach der letzten Schlusssirene in der um Garderobenstände drängenden Masse untergeht, um sich dann in eine hoffnungslos überfüllte Ubahn zu drängen.