VAR: Zu Besuch im Meidlinger "Keller"
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VAR: Zu Besuch im Meidlinger "Keller"

Es ist ein recht einzigartiger Einblick: 90minuten war bei einem Spiel der Bundesliga im VAR-Keller mit dabei.

Hinweis: Die Bedingung für diese Reportage war es, keine Namen der Schiedsrichter sowie Hinweise auf das konkrete Spiel zu liefern.

Um gleich eingangs mit einem Mythos aufzuräumen: Der Keller ist in Wahrheit kein Keller, alles ist ebenerdig. Ich werde von György Ring begrüßt, dem VAR-Manager des ÖFB. Ring leitet das Projekt und pfiff gemeinsam mit Viktor Kassai unter anderem das Finale der Champions League 2010/11. Mit dazu stößt einige Zeit vor Ankick auch ein Operator der Firma Hawk Eye. 

Der VAR-Manager führt durch den Raum mit den vielen Bildschirmen, den wir alle aus dem TV kennen. Generell finden sich alle relevanten Personen drei Stunden und 15 Minuten vor dem Match ein. Zweieinhalb Stunden vor dem Spiel kommt es zum ersten Soundcheck mit dem Spielort, danach "trainiert" das Team. Während die vier Offiziellen vor Ort ihre Muskeln aktivieren, werden hier im "Kammerl" die Sinne geschärft. Die Schiedsrichter bekommen verschiedenste Szenen aus ganz Europa gezeigt, zum Aufwärmen des Hirns.

Zu diesem Zeitpunkt ist der zweite Soundcheck schon vorbei, davor, so sagt man mir, passiert eigentlich außer diesen technischen Dingen und dem Training nichts, was spannend ist. Früher, so erfahre ich später, sind die Schiedsrichter nach dem ersten Check nur herumgesessen. Das "Training" kam erst später dazu und hilft. Eine halbe Stunde vor Anpfiff folgt der finale Soundcheck. Eine kurze Pause noch und während die Spieler einlaufen, kommt ein letztes "Hörst du mich?" an den Spielort sowie zu den Operatoren des Dienstleisters. Dann: "Auf ein gutes Spiel!"

Hektik mit fünf Bildern

Ankick, der Ball läuft, VAR und AVAR (sein Assistent) starren auf die Bildschirme, ich sitze dahinter, mit gutem Blick auf das Spielgeschehen. Einer hat das Match am großen Schirm im Auge, der andere checkt das zeitverzögerte Bild. Früh wird hier beispielsweise ein "Possible Offside" oder "Possible Ball in out" gecheckt. In einer Tour fliegen die englischen Wörter durch den Raum. APP, reset, possible Offside. Das hier entscheidende Vokabel ist APP, gesprochen A-P-P, englisch heißt es Attacking possession phase. Mit diesem Kommando signalisieren die Schiedsrichter dem Operator, bis wohin er zurückspulen soll, wenn aus dem Angriff ein Tor entstehen sollte. Auf Deutsch wird oft auch von der "Angriffsphase" gesprochen.

Wäre interessant, was ein Augenarzt oder Gehirnexperte sagt, denn ständig auf fünf verschiedene Bildschirme zu starren und diese Szenen dann auch noch in Kontext zu stellen und zu bewerten, ist eine ermüdende Aufgabe.

Georg Sohler

Eigentlich greift der VAR ja nur in vier Situationen ein: Tor oder nicht Tor – auch Abseits-/Foulentscheidungen vor einer Torerzielung; Situationen im Strafraum; Situationen mit Roter Karte oder fehlender Roter Karte; falsche Spieler-Identifikation. Doch das Team sieht sich jeden Zweikampf, jeden Ball an der Outlinie, jedes mögliche Abseits an.

Die Videoassistenten können sich direkt an den Schiedsrichter am Feld wenden, ein rotes Lamperl signalisiert, dass gerade zum Ort des Geschehens gefunkt wird. Viele Kontrollen bleiben aber "Silent Check", die erst spannend werden, wenn am Ende einer Angriffsphase etwa ein Tor fällt.

Es vergeht kaum eine Minute, in der hier nicht kommuniziert oder eine Linie gezogen oder zurückgespult wird. "All good", bislang ist nichts passiert. Die Anfangsphase läuft und nach 15 Minuten hege ich die Hoffnung, dass das Spiel ein bisschen einschlafen könnte.

(Text wird unterhalb fortgesetzt)

Mehr zum Thema VAR: Der 90minuten-Themenschwerpunkt:


Hochleistungssport für das Hirn

Denn die verschiedenen Szenen sind auf den Bildschirmen zeitversetzt zu sehen; auch, damit man schneller weiß, ob es etwas zu checken gibt. Die Schiedsrichter haben dabei wirklich jeden Zweikampf im Auge. Bei einer Flanke oder einem ruhenden Ball spricht man sich ab, wer welche Szenerie genau im Blick hat. Dazu kommt eben noch der Off-/On-Side-Check durch den Hawk Eye-Operator. Dieser ist übrigens nicht so leicht, in manchen Stadien sind Kameraposition und Sonneneinstrahlung zuweilen ungut für diesen Prozess.

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György Ring, links, und sein Chef Viktor Kassai.

All das bekommen die Menschen vor den TV-Endgeräten in der Regel gar nicht mit. Wäre interessant, was ein Augenarzt oder Gehirnexperte sagt, denn ständig auf fünf verschiedene Bildschirme zu starren und diese Szenen dann auch noch in Kontext zu stellen und zu bewerten, ist eine ermüdende Aufgabe. 

In der Pause reibe ich mir die Augen und frage das Team, wie man das durchhält. Bei diesem Spiel gibt es wie in vielen anderen auch ruhigere Phasen, es plätschert dahin. Aber bei schnelleren Spielen? "Man gewöhnt sich an die verschiedenen Kameraeinstellungen", gibt es als Antwort, es sei aber schon anstrengend. Ein Schluck Wasser, schon sind die 15 Minuten Pause vorbei. 

VAR-Check-Hektik

Im Zuge des Spiels kommt es irgendwann auch zu dieser Szene, für die der VAR da ist bzw. weswegen ihn viele nicht mögen. Der Ball landet im Tor, jetzt muss gecheckt werden, am besten schnell. "Zeit", "Spielt den Ball", "Zeig mir das" - im Minutentakt hört man wieder die Wortfetzen. Aber genau das wollen die Fans: Sicherheit UND Geschwindigkeit. Der zuvor schon aufs Wesentliche beschränkte Ton wird noch zackiger.

Was ist denn überhaupt passiert? Abseits, Foul, Handspiel während der APP? Gibt der Schiri das Tor und muss der VAR ihn zum On-Field-Review schicken? Ein Team jubelt, das andere senkt die Köpfe und besteht teilweise auf ein Ballberührung mit der Hand in der Entstehung. Es wird noch hektischer, als es ohnehin schon ist. "Show me the Ball", "Slowly", "Stopp" – wieder die Kommandos, bis der VAR genug gesehen hat. "Was hast du gesehen?", geht die Frage an den Hauptschiedsrichter. Der schildert es kurz; Handspiel. "Ich bestätige die Entscheidung", sagt der VAR. Und schon geht es weiter, kein Tor.

Stimmt jede Entscheidung, die on- oder off-Field getroffen wird? Mit Sicherheit nicht zu hundert Prozent. Grauzone bleibt Grauzone.

Georg Sohler

Ja, manchmal dauert es lang, aber auf der Tribüne kann man sich kaum vorstellen, wie und vor allem wie schnell es hier zu einer Entscheidung kommt. Der Schiri pfeift, zeigt, was er gesehen hat, gleich zwei weitere Referees unter Mithilfe des Hawk Eye-Operators unterstützen ihn. Das dauert nicht einmal eine Minute, die langen Checks, wird mir mitgeteilt, nerven alle und man versucht sie zu vermeiden.

(Text wird unterhalb fortgesetzt)

Wie sieht ÖFB-Schiedsrichterchef Viktor Kassai den VAR? Das große Schwerpunkt-Interview:


Drin ist er

Und dann ist der Ball irgendwann doch noch einmal im Netz. Eine Hereingabe flutscht durch viele Beine, am Keeper vorbei, vor die Füße des Angreifers. Wieder Kommando-Ton: "Back, Forward, Delay, langsam". Steht da nicht einer im Abseits bzw. behindert die Sicht des Keepers?

Das ist kaum aufzulösen, nicht einmal, wenn man wie der Autor zwischen 50 und 100 Fußballspiele im Jahr sieht. Am Ende bestätigt der VAR dem Schiedsrichter, dass der Tormann nicht behindert wurde. Jubel im Stadion, aber das Spiel geht weiter, keine Zeit für eine Atempause, den wahren Ausgang muss man nicht wissen.

APP, Check und so weiter. Die Hektik reißt auch in der Schlussphase nicht ab. Der Trainer der führenden Mannschaft will schon den Abpfiff. Kurz darauf ertönt er. Jetzt noch eine Nachbesprechung, dann geht es heim. Stimmt jede Entscheidung, die on- oder off-Field getroffen wird? Mit Sicherheit nicht zu hundert Prozent. Grauzone bleibt Grauzone. 

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Touch some grass - Wer den VAR mühsam findet, soll sich mal wieder ein Amateurspiel geben

Selbst in der milliardenschweren NFL, wo Spielzüge wenige Sekunden dauern, entscheidet am Ende ein Mensch. Und darüber wird dann genüsslich diskutiert. Ist hier so, ist in den Niederlanden und England auch so, meint Ring.

Fazit: Ich schaue mir zum Ausgleich ein Amateurspiel an

Mag sein, dass es da und dort mehr und bessere Kameras und modernere Stadien gibt, die Grauzone ist durch den VAR nicht verschwunden, genauso wenig wie die Fehlentscheidung an sich. Bei letzterer versichern hier aber alle, dass sie viel weniger vorkommt. Mehr Sicherheit würde halt mehr kosten, dann würden vielleicht auch die im Stadion erlebbaren Checks schneller gehen. Diskussionen würden deswegen auch nicht aufhören.

Man muss letztlich nicht alles über den grünen Klee loben, aber ich verstehe jetzt schon viel besser, wie der VAR wirklich arbeitet und ihr auch. Und wer dieses 'neumodische Zeugs' noch immer nicht mag, soll doch mal zu einem Spiel Regionalliga und abwärts gehen und wieder einmal schauen, wie ein Spiel ohne ist. 

Selbst der beste Schiri kann dort nicht jede Entscheidung richtig treffen. Weil aber auch nur maximal vier Augenpaare ohne Replay hinschauen, gibt es auch häufiger Fehlentscheidungen. Und das will man ganz oben, wo es um Millionen geht, doch auch nicht.


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