Polen: Ein großer Unbekannter?
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Polen: Ein großer Unbekannter?

Polnische Bundesligakicker kennt man hierzulande, Robert Lewandowski sowieso. Aber was verbindet Österreich und Polen außer die Nationalfarben? Gar nicht so viel, wie man denken mag.

Dem Gefühl nach möchte man meinen, dass Österreich und Polen eine lange, gemeinsame Fußballgeschichte teilen. Doch dem ist eigentlich gar nicht so. Lediglich zehn Mal trafen die beiden A-Nationalteams aufeinander, 56 Kicker aus Polen spielten in der höchsten österreichischen Spielklasse, umgekehrt waren bzw. sind es nur 18. 41 Europacupspiele sind ebenfalls übersichtlich (zum Vergleich: gegen deutsche Vereine kickten „wir“ 93 Mal, gegen Italien 101).

Die Geschichte des polnischen Fußballs

Der der polnische Fußballverband (poln. Polski Związek Piłki Nożnej, kurz PZPN) wurde 1919 gegründet, schon zuvor gab es aber einige Spiele. 1921 bestritt man das erste offizielle Spiel gegen Ungarn, dieses ging mit 0:1 in Budapest verloren. Der polnische Fußball entwickelte sich aber ansehnlich. Bei den Olympischen Spielen 1936 in Berlin gelang Platz vier. Gegner im Halbfinale war Österreich, das mit 3:1 gewonnen hatte. Im Viertelfinale hatten die Polen Großbritannien mit 5:4 geschlagen, im Spiel um Bronze musste man sich Norwegen geschlagen geben. Bei der WM 1938 spielten die Polen nur die erste Runde. Nach dem Überfall Nazideutschlands wurde der Verband aufgelöst, insgesamt neun Nationalteamspieler wurden von den Nazis ermordet. Zwei weitere Teamspieler wurden als Offiziere der polnischen Streitkräfte beim Massaker von Katyn vom sowjetischen Geheimdienst erschossen.

Olympiasieger!

Die goldenen Jahre der Polen waren die 1970er, die größte Sternstunde gab es bei den Olympischen Spielen 1972 in München. Vom 26. August bis zum 10. September 1972 kämpften die weltbesten Fußballmannschaften in München um olympisches Gold. Für die polnische Auswahl, die gleich in der Vorrunde gegen einen der Mitfavoriten antreten musste, war es ein Turnier voller Spannung und Dramatik. Die ersten beiden Spiele gegen Kolumbien (5:1) und Ghana (4:0) meisterten die Polen souverän. Das entscheidende Spiel um den Einzug in die zweite Gruppenphase gegen die DDR wurde zum Nervenkrimi. Dank zweier Tore von Innenverteidiger Jerzy Gorgoń und trotz eines Gegentreffers von Joachim Streich sicherte sich Polen den Sieg (2:1).
In der zweiten Finalrunde folgte zunächst ein Unentschieden (1:1) gegen Dänemark. Doch die Polen ließen sich nicht entmutigen und besiegten im zweiten Spiel den großen Favoriten Sowjetunion mit 2:1. Im letzten Gruppenspiel folgte ein Kantersieg gegen Marokko (5:0), der den Einzug ins Finale perfekt machte. Dort wartete die ungarische Mannschaft auf die Polen. Kurz vor der Halbzeit gingen die Ungarn durch Varadi in Führung. Doch die polnische Antwort ließ nicht lange auf sich warten. Kazimierz Deyna erzielte in der 47. Minute den Ausgleich und besorgte in der 68. Minute mit dem Siegtreffer den ersten großen Triumph in der Geschichte des polnischen Fußballs. In Montreal, vier Jahre später, wurden die Polen Zweiter, ebenso in Barcelona 1992.

Die Weltmeisterschaften

Erst 1974 nahm eine polnische Nationalmannschaft erneut an einer WM teil, wieder in Deutschland. Begeisternder Offensivfußball führte zu einem Auftaktsieg gegen Argentinien, einem 7:0 über Haiti und mit 2:1 kickten die Polen die favorisierten Italiener aus dem Turnier. Nach Siegen gegen Schweden und Jugoslawien wartete die bisher immer siegreiche deutsche Mannschaft. In der "Wasserschlacht von Frankfurt" musste man sich Deutschland mit 0:1 geschlagen geben, obwohl man eigentlich viel besser war, und Jan Tomaszewski in der 53. Spielminute einen Foulelfmeter von Uli Hoeneß hielt. Grzegorz Lato, der mit sieben Treffern auch Torschützenkönig des Turniers wurde, besiegelte mit dem einzigen Treffer des Spiels um Platz drei gegen Brasilien den Sieg in dieser Partie.

1978 war der Druck entsprechend groß, aber die Mannschaft schon älter. Man schaffte es bis in die Zwischenrunde, musste aber dann den Heimweg antreten. 1982 war Polen ein Land im Umbruch. Im Dezember 1981 hatte General Wojciech Jaruzelski den Kriegszustand ausgerufen und die Hoffnung auf eine bessere Zukunft schien zerschlagen. Gegen Italien erreichte man zwar ein respektables 0:0, doch das torlose Unentschieden gegen WM-Neuling Kamerun enttäuschte. Der Traum vom Achtelfinale schien zu verblassen. Doch dann kam es zum Wendepunkt: Mit einem furiosen 5:1-Sieg gegen Peru sicherte sich Polen den Gruppensieg und löste damit eine Welle der Begeisterung im Land aus. In der zweiten Gruppenphase mit drei Teams drehte die Mannschaft unter Führung ihres neuen Stars Zbigniew Boniek so richtig auf. Belgien wurde mit 3:0 deklassiert. Gegen den Erzfeind Sowjetunion reichte ein torloses Unentschieden, um ins Halbfinale einzuziehen. Dort wartete erneut Italien, das als haushoher Favorit galt. Die Polen, die inzwischen wieder an ihre Stärke glaubten, boten den Italienern Paroli, verloren aber mit 0:2. Im Spiel um Platz drei besiegte man Frankreich mit 3:2 und sicherte sich damit die Bronzemedaille. Die WM 1982 war für Polen mehr als nur ein Fußballturnier. Es war ein Symbol der Hoffnung und des Zusammenhalts in einer schwierigen Zeit. Die Mannschaft hatte der Nation gezeigt, dass auch in den düstersten Stunden Großes möglich ist.

1986 erreichte man das Achtelfinale, dann qualifizierte man sich erst 2002 und 2006 wieder, musste aber nach der Vorrunde die Heimreise antreten. 2010 und 2014 fehlte man ebenfalls, in Russland war nach der Vorrunde Schluss, 2022 konnte das Achtelfinale erreicht werden, wo Frankreich siegreich blieb.

Europameisterschaften

2008 in Österreich und der Schweiz war die erste Europameisterschaft, für die sich Polen qualifizieren konnte. Gemeinsam mit Österreich, Kroatien und Deutschland kickte man um den Aufstieg. Nach einem 0:2 gegen Deutschland in Klagenfurt kam es zum 1:1 gegen Österreich, wo Sebastian Prödl in der Schlussphase beim Stand von 1:0 für Polen niedergerissen wurde und Ivica Vastic den fälligen Elfer verwertete. Ein Aufstieg ging sich nicht aus, weil Kroatien am letzten Spieltag siegreich blieb. 2012 spielten die Polen in der Vorrunde mit, 2016 erreichten sie das Viertelfinale, mussten sich dem späteren Europameister Portugal im Elfmeterschießen geschlagen geben. Nach dem 1:0 durch Robert Lewandowski war es ausgerechnet Kuba Błaszczykowski, der den entscheidenden Elfer vergeben hatte. 2021 reichte es wieder nur zur Vorrunde.

Die Klubduelle

Die Geschichte der Klubduelle ist überschaubar. Am häufigsten spielte man gegen Legia Warschau (10) und Gornik Zabreze. Die Bilanz ist gemischt. 16 Siegen stehen 18 Niederlagen gegenüber. Das erste Duell fand im Meistercup 1963 in der ersten Runde statt. Austria Wien traf auf Górnik Zabrze, die Spiele endeten jeweils mit 1:0 für das Heimteam, weswegen es in Wien zu einem Wiederholungsspiel kam, das die Polen gewannen. Im Cup der Cupsieger traf die Admira ein Jahr später auf Legia und verlor mit einer Gesamtscore von 4:1. 1965 schaltete Zabrze Meister LASK mit 3:1 und 2:1 in der ersten Runde aus. Im Messestädtepokal 1969/70 kickte der Wiener Sportclub gegen Ruch Chorzow. Nach einem 4:2 in Wien musste man sich auswärts mit 1:4 geschlagen geben und sich leider auch verabschieden.

1978 kam es im Cup der Cupsieger zum nächsten Ländervergleich. SSW Innsbruck stieg nach einem 3:2-Sieg (auswärts) gegen Zaglebie Sosnowiec und einem 1:1 daheim auf. In der 2. Runde flogen die Tiroler gegen Ipswich dann jedoch aus dem Bewerb. In den 80ern gab es zwei weitere Duelle. Der SK Rapid schied im Achtelfinale des Meistercups gegen Widzew Lodz aus. Daheim gewannen die Hütteldorfer mit 2:1, auswärts setzte es aber ein 3:5. 1986 hätte es der LASK besser machen können, scheiterte aber mit1:1 und 0:1 im Uefa-Cup in der ersten Runde an Lodz.

1994 standen wieder die Admiraner im UEFA-Cup. Nach einem 5:2 im Heimspiel gegen Górnik Zabrze spielten die Südstädter auswärts 1:1. Man schlug dann noch Cannes und schied gegen Juventus aus.

Erst 2004 kam es zu weiteren Klubspielen zwischen den Nationen. Die Veilchen schalteten Legia Warschau in der ersten Runde des UEFA-Cups aus. In der Gruppe traf der GAK im selben Jahr auf Amica Wronki und gewann mit 3:1. 2006 kam es zur Neuauflage Austria vs Legia, mit 1:1 und 2:1 konnte die Austria die erste UEFA-Cup-Runde überstehen. Es war nicht das einzige Duell. Der SV Mattersburg musste sich in der Quali zum UEFA-Cup Wisla Krakau knapp geschlagen geben (1:1, 1:0).

Auch 2010 kam es zu zwei Duellen. In der Europa League-Gruppe besiegte Lech Posen Salzburg zweimal (2:0, 1:0), dafür gewann die Austria im selben Bewerb gegen Ruch Chorzow (3:1, 3:0). 2012 traf die SV Ried auf Legia Warschau, nach einem Heim 2:1 in Q3 war nach einem 1:3 in Polen aber Schluss mit den Europacupträumen. Davon hatte 2020 auch Hartberg geträumt. Piast Gliwice gewann im Corona-bedingt nur einmal ausgetragenen Q2 gegen den TSV mit 3:2.

Im Sommer 2022 mühte sich Rapid mit 0:0 und 2:1 in Danzig. In der Conference League traf dann die Austria auf Lech Posen und erreichte in der Gruppe nach einem 1:4 in Polen noch ein Heim-1:1. 2023 trafen die Veilchen im selben Bewerb in Q3 auf Legia. Nach einem 2:1 in Polen flog man nach einem vogelwilden 3:5 daheim aus Q3 der Conference League-Quali. Das letzte Duell war in dieser Saison zwischen Rakow Czestochowa und Sturm Graz. Die Blackies gewannen auswärts mit 1:0 und mühten sich mit einem Heim-0:1 in die Zwischenrunde.

Polnische Gastkicker

Die Geschichtsbücher kennen mit dem Torwart Mieczyslaw Wisniewski einen Spieler, der bereits 1911 bei Cricket und dann bis 1916 bei Rudolfshügel in Österreich kickte. Danach dauerte es bis 1973, bis der erste Pole in der Bundesliga auflief. Henryk Latocha spielte neun Spiele für den SK Rapid. Einen übertrieben großen Impact hatten die Kicker der 70er- und 80er-Jahre nicht hinterlassen, bemisst man dies an Bundesliga-Titeln oder Spielen. Auf die meisten Partien kam Wiener Sportclub-Spieler Bohdan Masztaler, der 1981 von Werder Bremen kommend bei in Dornbach anheuerte. Er lief 84 Mal für die Hernalser auf.

In den 90er-Jahren schnürte 1992 in Tirol erstmals Andrzej Lesiak seine Fußballschuhe. Er darf sich mit dem FC Wacker Innsbruck seit 1993 Cupsieger nennen. Er kickte nach einem Intermezzo in Dresden dann ab 1995 in Österreich, bei der SV Ried, Rapid, Austria Salzburg. Mit Pasching stieg er von der 2. Liga 2002 in die Bundesliga auf und ließ seine Karriere bei Ried ausklingen.

Er sollte aber nicht der einzig bekannte Kicker bleiben.

Jerzy Brzęczek, später polnischer Teamtrainer, drückte Österreich ab 1995 seinen Stempel auf. Er kam zum FC Tirol, zog dann weiter zum LASK. Nach einem Intermezzo bei Maccabi Haifa ging es retour auf den Tivoli, wo er 2001 und 2002 Meister wurde.

Im selben Jahrzehnt debütierte etwa Roman Szewczyk in der Salzburg-Abwehr, Kazimiersz Sidocrczuk hütete viele Jahre das Sturm-Tor, auch in der Champions League. An Krzysztof Ratajczyk denken Rapidler und Austrianer gleichermaßen. Radosław Gilewicz wurde dreimal mit dem FC Tirol, einmal mit der Austria Meister, war 2000/01 Torschützenkönig. Nach dem Finanzcrash spielte er noch bei Sturm, dem FC Kärnten und 2007 noch bei Wacker, ehe er seine Karriere in der Heimat ausklingen ließ.

Auch in den Nullerjahren gab es bekannte und beliebte Legionäre. Etwa den viel zu früh verstorbenen Adam Ledwon, der bei der Austria, Sturm, Admira und in Kärnten dem Ball nachlief. Sebastian Mila holte mit der Austria unter anderem 2005/06 das Double. Auch an Jacek Bak erinnert man sich hierzulande noch gut. Dann wurde es in der Bundesliga ruhiger. Außer Tomasz Welnicki, der 2011 in Kapfenberg spielte, schaute lange kein Pole mehr in Österreich vorbei. Mit Kamil Piatkowiski (Salzburg), Aleksandar Buksa (WSG) und natürlich Szymon Włodarczyk (Sturm) kamen in den 2020er-Jahren drei neue polnische Kicker nach Österreich – und gingen bis auf den Graz-Stürmer wieder.

In die Gegenrichtung wenig

In die höchste polnische Liga gingen hingegen nur sehr, sehr wenige Österreicher. Bis ins Jahr 2010 eigentlich gar keine. Der bei den Bayern ausgebildete Daniel Sikorski war im Jahr 2010 überhaupt der Erste. Er heuerte bei Górnik Zabrze an und blieb bis 2013 in Polen. Ihm folgten Ronald Gercaliu und Luka Gusic (ab 2012) für eine Handvoll Spiele. Kevin Friesenbichler, Dominik Hofbauer, Sandro Gotal und Emir Dilaver verdingten sich in den 2010ern ebenfalls in der polnischen Liga.

Vor allem Pogon Stettin scheint einen Sweet Spot für rot-weiß-rot zu haben. Mit David Stec (2018), Benedikt Zech (2019), Srdjan Spiridonovic (2019 und ab 2020 Alexander Gorgon unterschrieben schon vier Spieler bei Stettin. Mit Alex Sobczck, Stefan Savic, Dominik Wydra, Richard Strebinger, Constanin Reiner, Martin Kreuzriegler und zuletzt Husein Balic waren noch weitere Spieler in Polen tätig.

Gute Chancen?

Der unregelmäßige Austausch bedingt eben, dass man wenig übereinander weiß. Dass wenige Österreicher in Polen spielen, kann als Indiz gewertet werden, dass das ÖFB-Nationalteam eigentlich besser dastehen sollte. Der eingangs erwähnte Nationenvergleich sagt aber anderes aus. Die fünf Freundschaftsspiele zwischen 1935 und 1994 gingen mit drei Siegen für Österreich bei zwei Niederlagen zwar positiv für rot-weiß-rot aus, aber weder in der WM-Quali 2004/05 (2:3, 1:3), noch bei der EM 2008 (1:1) und in der EM-Quali 2019/20 (0:0, 0:1) gelang ein österreichischer Sieg.

Quer gelesen ist der Kader auch abseits von Stürmerstar Robert Lewandowski qualitativ sicherlich nicht schlechter als jener des ÖFB. Gemessen an den Arbeitgebern hat man sogar unter Umständen die Nase vorne. Am Ende wird das Duell mit den Polen wohl entscheidend sein, ob Österreich es in die KO-Phase schafft oder nicht.

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