Österreich vs. Niederlande: Langes Warten auf ein Ende
Foto © GEPA

Österreich vs. Niederlande: Langes Warten auf ein Ende

Ein paar Mal war man knapp dran, gereicht hat es aber seit 34 Jahren nicht mehr. Die Niederlande zählen zu Österreichs Angstgegnern und wirken unschlagbar. Das war nicht immer so - 90minuten unternimmt eine Zeitreise in die gemeinsame Vergangenheit.

Seinen Anfang nahm das Unheil während der Vorbereitung zur Weltmeisterschaft '78. 61.000 Zuschauer:innen hatten sich in Wien zusammengefunden, gespielt wurde am 20. Mai. Das Ernst-Happel-Stadion hieß damals noch Praterstadion, der heutige Namenspatron nahm als "Bondscoach" auf der Gästebank platz. Sein Amt hatte Happel erst im Sommer des Vorjahres übernommen, Ende Juni 1978 war schon wieder Schluss. Kurz nach der Halbzeit traf der spätere FAK-Sportchef Arie Haan zum entscheidenden 0:1, Österreich flog mit einer Niederlage und einem schwer angezählten Teamchef im Gepäck zum Turnier nach Argentinien: Helmut Senekowitsch stellte seinen Rücktritt nach der Endrunde vor dem Auftakt gegen Spanien in Aussicht.

Gratulation und macht so weiter. Ernst Happel und die holländische Nationalmannschaft.

Telegramm 1978

Während die Niederländer sich wenig erfolgreich durch ihre Gruppenspiele gegen den Iran, Peru und Schottland quälen mussten, gelang Österreich der Aufstieg überraschend souverän. Glückwünsche kamen per Telegramm von Ernst Happel: "Gratulation und macht so weiter". Überhaupt waren die Bande zwischen beiden Verbänden recht eng, fast wäre man zu Mitbewohnern im Teamquartier in Moreno geworden. In das direkte Duell in der Zwischenrunde gingen beide Mannschaften mit gedämpfter Moral, die ÖFB-Auswahl erlitt im letzten Gruppenspiel eine sportlich konsequenzlose Pleite gegen Brasilien. Für Hans Krankl war das Erlebnis schmerzhaft genug, um einen drastischen Schritt zu setzen: "Am Sonntagabend habe ich mich nach dem Essen und einer halben Stunde Fernsehen vor den Spiegel gestellt und meinen Bart rasiert, in erster Linie, weil wir verloren haben. Auch der Bart meines Freundes Schneckerl Prohaska ist ab", schrieb er in einer 'Krone'-Kolumne. Der Nationalspieler sah das Team zurück auf dem Boden der Tatsachen, die Niederlage im Mai war frisch in Erinnerung: “Was Holland kann, haben wir doch erst vor unserer Abreise in Wien gesehen”. Auch Ernst Happel stellte im Vorfeld klar: "Noch ein viertes schlechtes Spiel können wir uns nicht leisten". Gehört wurde diese Aussage auf einer Pressekonferenz von nur mehr drei Journalisten - mehr wurden vom niederländischen Verband aus Angst vor schlechter Stimmung schlicht nicht zugelassen.

Debakel in Córdoba

Ausgerechnet in Córdoba folgte ein Debakel für Österreich: Schon in der 6. Minute verwertete Ernie Brandts eine Flanke von Arie Haan. Den Elfmeter nach einem Prohaska-Foul verwandelte Rensenbrink, nach 36 Minuten stand es 0:3, Torschütze Johnny Rep hatte Friedl Koncilia überhoben. Nach der Halbzeit folgten zwei weitere "Oranje"-Tore, nach einem Konter traf Rep zum Doppelpack, den Schlusspunkt setzte Willy van den Kerkhof. Österreichs Ehrentreffer erzielte Austria-Legende Erich Obermayer, Endstand 1:5. Für Krankl & Co endete die Weltmeisterschaft bekanntlich mit dem Spiel in Cordoba versöhnlich mit einem Sieg gegen Deutschland, die Niederlande scheiterten erst im Finale.

Foto © GEPA

Nach seinem Tod im November 1992 blieb von Ernst Happel der Ruf als Trainerlegende, zu der neben zahlreichen Erfolgen auch ein großes "hätte" zählt. "WM-Silber mit Holland, das mit einem Schuss Glück auch Gold hätte sein können, wäre Rob Rensenbrink nicht in der 89. Minute des Endspiels gegen Argentinien am Holz gescheitert", hielt der Nachruf der 'Presse' fest. Happel selbst gestand noch im Jahr 1990, dem Titel nachzutrauern: "Mir hat damals der wichtigste Spieler, nämlich Johan Cruyff wegen einer Verletzung absagen müssen".

Ich denke gerne an meine Zeit in Holland. Zehn Jahre habe ich dort verbracht, und der Kontakt zu etlichen Familien ist nie abgerissen.

Ernst Happel (1990)

Los ging Happels Trainerkarriere schon 1962, beim abstiegsbedrohten Erstligisten ADO Den Haag. Drei Jahre später wurde der Verein Tabellendritter, nach weiteren drei Jahren erstmals zum Pokalsieger. Mit seinem modernen, offensiven Fußballkonzept samt Pressing und Raumdeckung gelangen später bei Feyenoord weitere Titelgewinne. "Ich denke gerne an meine Zeit in Holland. Zehn Jahre habe ich dort verbracht, und der Kontakt zu etlichen Familien ist nie abgerissen", blickte er selbst einmal zurück.

Bei weitem kein Einzelkämpfer

Happel steht als Person für die Verbindung zu den Niederlanden, wie vielleicht nur ein Zweiter. Nach dem Tod der Trainerlegende hielt erneut die 'Presse' treffend fest: "Als Hasil vom Tod Happels hörte, sagte er ein Abendessen ab. Ein Stück Leben war von ihm gegangen". Franz Hasil zählte bei Feyenoord zwischen 1969 und 1973 zu Happels Lieblingen, wurde mit ihm als Schlüsselspieler im Mittelfeld Europacupsieger und prägte seine Ära, ist - nach eigener Aussage - heute noch Ehrenbürger von Rotterdam. Unter Happel absolvierte er 143 Spiele und traf 43 Mal. Von Franz Hasil damals bis Gernot Trauner heute - die Liste von österreichischen Persönlichkeiten bei Feyenoord und in den Niederlanden allgemein, ist lang, aber vor allem von Trainern gezeichnet.

Nach dem gebürtigen Wiener Richard Kohn - auch Richard Dombi -, der zwischen 1935 und 1956 in drei Abschnitten an der Rotterdamer Seitenlinie stand und mehrfach Meister wurde, ist heute ein Straße benannt. Die Richard Dombistraat grenzt nahe dem Feyenoord-Stadion an die Ernst Happelstraat. 

Foto: Ernst Happel im Zentrum als Feyenoord-Trainer, links daneben Franz Hasil

Karl Humenberger wurde 1957 Meister mit Ajax Amsterdam, Franz "Bimbo" Binder war in den 1960ern für PSV Eindhoven tätig. Ludwig Veg leitete zwischen 1953 und 1970 erfolgreich die Geschicke mehrerer Erst- und Zweitligisten. Happel war auch nicht der einzige Österreicher, der es zum Teamchef der "Elftal" geschafft hat: Friedrich Donenfeld und Heinrich "Wudi" Müller hatten das Amt ebenso innen, wie der - nicht gänzlich unumstrittene - Max Merkel.

Meister, Doublesieger und der Agent Happel

Profifußball wurde in den Niederlanden erst 1954 etabliert, das Legionärswesen musste sich erst entwickeln. Der erste Österreicher in der Eredivisie war zwei Jahre nach der Ligagründung Richard Brousek. Der Stürmer und vierfache Teamspieler stand zwischen 1958 und 1962 beim SC Enschede und Be Quick unter Vertrag. Heinz Schilcher verteidigte ab 1971 für einige Jahre bei Ajax Amsterdam, wurde zweifacher Meister und später zum Scout. Kurt Welzl krönte sich 1981 bei AZ Alkmaar zum Doublesieger und beinahe zum Torschützenkönig, danach zog es ihn zum FC Valencia.

Auch Felix Gasselich durfte 1985 bei Ajax einen Meistertitel bejubeln - das Engagement vermittelt hatte ihm Ernst Happel. Wechsel nach Italien und Deutschland waren zuvor geplatzt: "Dann hat mich Happel angerufen und gesagt ‘Felix, du bist jetzt zwei Mal eingfahrn, ich besorg’ dir einen Verein. Es wird sich jemand aus Holland bei dir melden", erinnert sich Gasselich im Exklusiv-Interview mit 90minuten. Über die letzten zwei Jahrzehnte haben viele Österreicher ihr Geld in den Niederlanden verdient, zur Legende hat es für kaum jemanden mehr gereicht - Gernot Trauner ist immerhin auf einem guten Weg. Darko Bodul war acht Jahre dort (u.a. Ajax, Heerenveen), Thomas Prager sieben (Heerenveen), Marko Arnautović absolvierte bei seiner ersten Auslandsstation Twente Enschede 44 Eredivisie-Partien.

Kreuz muss seine Freigabe erkämpfen. Es wird sich zeigen, wie sehr er am Team interessiert ist.

ÖFB-Teamchef Senekowitsch (1977)

Viele, aber nicht alle, wurden in den Niederlanden nur glücklich. Sportlich erfolgreich waren die Stationen von ÖFB-Stürmer Willy Kreuz bei Sparta und später Feyenoord Rotterdam jedenfalls, 111 Scorerpunkte in 197 Eredivisie-Partien sprechen für sich. Einfach hatte man es als Legionär trotzdem nicht immer: Mangels einer Länderspielpause ergab sich im August 1977 eine Terminkollision. Feyenoord stand vor einer Ligapartie, Österreich vor einem Freundschaftsspiel gegen Polen - der Verein war verpflichtet, seinen Spieler abzustellen, legte sich aber quer. Kreuz wurde nicht zum ersten Mal von beiden Seiten unter Druck gesetzt, nach Androhung einer empfindlichen Strafzahlung gegen Feyenoord flog er nach Wien. Teamchef Helmut Senekowitsch hatte zuvor betont: "Kreuz muss seine Freigabe erkämpfen. Es wird sich zeigen, wie sehr er am Team interessiert ist". Damit war die Saga aber noch nicht zu Ende: Während der WM ‘78 behielten die Niederländer zwei Monatsgehälter ihres Stürmers zurück, weil die Turniervorbereitung als zu lang angesehen wurde. Kreuz kehrte dem Verein nach dem Turnier den Rücken und spielte fortan wieder in Österreich.

Insgesamt war das Jahr 1978 ein Bruch in der Bilanz gegen die Niederlande. Das erste Duell bei Olympischen Spielen im Jahr 1912 ausgeklammert, konnte der ÖFB zwischen 1913 und 1977 vier Siege und drei Unentschieden in sieben Aufeinandertreffen bejubeln. Seitdem hat sich die "Oranje" zu einer Art Angstgegner entwickelt.

Europameister-Bezwinger

Nur zweimal noch konnte sich Österreich durchsetzen. Das damals einigermaßen frisch umbenannte Gerhard-Hanappi-Stadion in Wien-Hütteldorf wurde im November 1984 zum Schauplatz eines 1:0-Erfolges in der WM-Qualifikation - Ralf Rangnick hätte damit wohl eine große Freude gehabt, viele Auftritte in der Heimat des SK Rapid gab es danach nicht mehr. Den rot-weiß-roten Siegtreffer erzielte der Niederländer Michael Valke: Eine flache Flanke von Kurt Jara rollte von links durch den Strafraum und knapp am Tor vorbei, bei seinem unglücklichen Klärungsversuch zimmerte der Verteidiger den Ball zunächst an die Latte und von dort ins Netz. Über 90 Minuten ließen beide Teams eine sehenswerte Auswahl von Großchancen ungenutzt, die Chancenverwertung wurde Österreich in der Quali letztendlich zum Verhängnis. Ungarn fuhr als Gruppensieger zur WM ‘86, die Niederlande scheiterten als zweitplatziertes Team im Playoff, Österreich ging aufgrund einer schlechteren Tordifferenz leer aus. 


Foto: Das Europameister-Team von 1988 scheiterte zwei Jahre später in Wien

Gegen klingende Namen wie Ronald Koeman (FC Barcelona), Marco van Basten, Frank Rijkaard und Ruud Gullit (allesamt AC Milan) ging es sechs Jahre später deutlich spektakulärer zu. Die amtierenden Europameister von 1988 (bislang der einzige Titel in der Historie des Verbandes) traten im Wiener Praterstadion gegenüber dem Finale fast unverändert auf, geriet aber rasch unter die Räder. Robert Pecl und Toni Pfeffer konnten nach Herzog-Ecken ihre jeweils einzigen Länderspieltore erzielen, Manfred Zsak steuerte ein weiteres bei - nach 49 Minuten stand es 3:0 für den ÖFB. Zwar kam "Oranje" noch bis auf einen Treffer heran, musste sich letztendlich aber geschlagen geben. Blöd nur, dass es im Freundschaftsspiel um nichts ging.

Das war's

Zurück zum Unheil, das nach Österreichs Niederlagen im Jahr 1978 mehr und mehr Überhand nahm. Ein Freundschaftsspiel 1992 in Sittard ging knapp mit 2:3 verloren, die Truppe von 1988 hatte man zwischenzeitlich mit Dennis Bergkamp verstärkt. Für den ÖFB traf Frenkie Schinkels zum einzigen Mal in seiner Karriere. Auf der Trainerbank der Österreicher saß ein inzwischen schwer krebskranker Ernst Happel, sein Gegenüber war der nicht minder legendäre Rinus Michels, dessen Karriere wenige Wochen später zu Ende ging - die Laufbahnen beider Trainer kreuzten sich an mehreren Punkten, 1992 zum letzten Mal.

Über 10 Jahre später traf man sich erneut in Wien und wenig später in Amsterdam, beide Duelle der EM-Qualifikation für 2004 gingen für den ÖFB verloren. Gegen die nächste Generation von Stars rund um Clarence Seedorf, Patrick Kluivert, Phillip Cocu, Edgar Davids und Edwin van der Sar gab es für Österreich nichts zu holen. Und die nächsten Talente standen schon bereit: Arjen Robben absolvierte 2002 sein zweites Länderspiel gegen Rot-Weiß-Rot, Rafael van der Vaart erzielte 2003 sein erstes Team-Tor gegen Thomas Mandl. Der ÖFB beendete die Qualifikation chancenlos auf Platz 3.

Foto: Unter Teamchef Hans Krankl agierte das ÖFB-Team 2002/03 weitgehend glücklos

Im März 2008 - zur vor der Europameisterschaft im eigenen Land - hat der ein oder andere heimische Fan wohl schon zum Jubeln angesetzt. Im vollen Ernst-Happel-Stadion brachte ein Doppelpack von Sebastian Prödl und ein Ivanschitz-Treffer die Niederlande rasch an den Rand einer Niederlage. Heitinga und Huntelaar konnten später verkürzen. Dann hatte ein Mann seinen großen Auftritt: Die Einwechslung des späteren Rapid-Flops Jan Venegoor of Hesselink erwies sich als Glücksgriff, der Stürmer traf einmal selbst und bereitete ein weiteres Tor vor - Endstand 3:4.

Das letzte Duell und damit die letzte Pleite setzte es bei der EM 2021. Die Niederlande hatten den Heimvorteil, das Publikum war pandemiebedingt allerdings auf 16.000 Fans beschränkt. Marko Arnautović fehlte dem ÖFB nach seiner verbalen Entgleisung gegen Nordmazedonien, er hätte wohl auch nicht viel ausrichten können. Nach neun Minuten trat David Alaba dem "Oranje"-Verteidiger Dumfries im Strafraum auf den Fuß - der VAR entschied auf Elfmeter, Memphis Depay verwandelte. Der zuvor gefoulte Denzel Dumfries stellte in Minute 67 auf 2:0, für Österreich gab es erneut nichts zu holen.

Mit nur leicht veränderter Besetzung nähert sich jetzt die Gelegenheit zur Revanche: Arnautović wird dieses Mal wohl dabei sein, Alaba definitiv nicht. Mit Ralf Rangnick steht jetzt ein Teamchef an der österreichischen Seitenlinie, dessen Fußball sich auf jene Konzepte stützt, die Ernst Happel und Rinus Michels einst in den Niederlanden entwickelt haben. Er wird wohl wissen, was am 25. Juni zu tun ist. Es gilt, Depay, Dumfries & Co diesmal besser in den Griff zu bekommen und eine 34 Jahre alte Serie enden zu lassen.

Kommentare