Island: Durch die Weltwirtschaftskrise zum gefürchteten Gegner

Die isländische Nationalmannschaft träumt zu Recht von der Euro 2016. Der Grund für die Erfolgswelle der Nordeuropäer ist nicht zuletzt in der globalen Wirtschaftskrise zu sehen. Von Alexander Kords

 

Wer hätte gedacht, dass ein paar Dächer und eine Weltwirtschaftskrise dafür verantwortlich sind, dass eine Nationalmannschaft vom Underdog zu einem der aktuell besten Teams Europas werden könnte? Die Rede ist von Island, das Anfang September die Türkei mit 3:0 nach Hause geschickt hat und Mitte Oktober den Niederlanden – nach der WM immerhin drittbeste Fußball-Nation der Welt – beim 2:0 keine Chance ließ. Erst das 1:2 in Tschechien am vergangenen Sonntag sorgte ein wenig für Ernüchterung im hohen Norden, wobei die Isländer den Hausherren in Pilsen durchaus einen zähen Kampf geliefert haben. Nachdem die Nationalspieler Islands sowohl bei Welt- als auch bei Europameisterschaften bislang stets nur Zuschauer waren, könnte die EURO 2016 zum ersten großen Turnier des einstigen Fußballzwergs werden.

 

Island vs Niederlande 2:0



 

Revolutionäre Idee
Isländer sind von Natur aus sehr sportliche Menschen. Wenn sich vor einigen Jahren ein isländischer Bub dafür entschied, Fußball zu spielen, dann konnte er das auf den Plätzen des Landes tun – allerdings ausschließlich in den vier Monaten, in denen im Land kein Schnee liegt. Um trotz Frost und knietiefem Schnee weiter aktiv zu bleiben, zog es die sportbegeisterten Kinder und Jugendlichen in die Sporthallen, wo sie statt Fuß- lieber Handball spielten. Nicht umsonst zählt das isländische Handball-Nationalteam zu den besten der Welt. Dass der Fußball im eisigen Inselstaat dennoch Sportart Nummer 1 ist, beweisen die rund 30.000 Mitglieder der nationalen Fußballvereine. Um talentierten jungen Spielern bessere Trainingsbedingungen zu liefern und die Abwanderung zum Handball aufzuhalten, kamen die isländischen Kommunen um die Jahrtausendwende auf eine simple, aber revolutionäre Idee: Es mussten Fußball-Hallen gebaut werden.

 

gruppe a island euro 2016 quali

Aktueller Stand in der Gruppe A - Island auf Platz 2 (Screenshot: uefa.com)

 

Im ganzen Land entstanden – gefördert vom Staat, der FIFA und altgedienten Kickern – jede Menge überdachte Fußballplätze. Allein in der Hauptstadt Reykjavik gibt es heute sechs davon, in Kópavogur steht seit 2007 mit dem Kórinn fjölnota knatthús eine Indoor-Arena für 2.000 Zuschauer, die sogar den Standards des Fußball-Weltverbands entspricht und somit für Ländermatches geeignet ist. Angesichts dieser Infrastruktur musste sich die Entwicklung der künftigen isländischen Nationalspieler nicht mehr vom Wetter aufhalten lassen – das tat schon die heimische Liga für sie. Abgesehen davon, dass sie alles andere als zu den besten Ligen Europas zählt, spielten dort in den 2000er Jahren jede Menge ausländische Profis. Im Jahr 2008 waren es insgesamt 215 Legionäre, junge einheimische Spieler aus dem Team drängten. Doch dann kam die Weltwirtschaftskrise, und Island stand kurz vor dem Staatsbankrott.

 


 Weltwirtschaftskrise als entscheidende Wende

Logischerweise war der Sport einer der Bereiche, in denen fortan gespart wurde. Die Fußballvereine erhielten weniger Förderung vom Land, Sponsoren sprangen ab, und mit ihnen gingen auch die verhältnismäßig gut bezahlten ausländischen Spieler. Der Breiðablik UBK etwa, ein Verein aus der ersten Liga, musste sogar sämtliche Legionäre entlassen. Doch was sich zunächst wie ein Nachteil anfühlte, entpuppte sich schnell als Segen für den Fußball des Landes. Junge isländische Spieler bekamen mehr Einsatzzeit, wurden zusehends besser und bevölkerten die Jugend-Nationalmannschaften. Die U21 qualifizierte sich 2011 erstmals in ihrer Geschichte für die Europameisterschaft und schaltete dabei unter anderem eine deutsche Mannschaft aus, in der spätere Weltmeister wie Mats Hummels, Jerôme Boateng und André Schürrle spielten. In der Vorrunde des Finalturniers scheiterte Island schließlich denkbar knapp in der Vorrunde nach direktem Vergleich an Weißrussland.

 

Von 112 auf 28
Sechs der Spieler von damals sind heute fester Bestandteil der A-Nationalmannschaft, viele weitere gehören ebenfalls zum Kader. Der 24-jährige Stürmer Kolbeinn Sigþórsson etwa, der seit 2011 bei Ajax Amsterdam spielt und zu den größten Talenten des Landes zählt. Oder der 25-jährige Aron Gunnarsson von Cardiff City, der seit 2012 Teamkapitän ist und in seinen jungen Jahren bereits auf 49 Länderspiele kommt. In der FIFA-Weltrangliste stand Island Ende 2010 noch auf Platz 112, aktuell sind die Nordeuropäer auf Platz 28 der Welt und auf Platz 17 in Europa – jeweils um einen Rang besser als Österreich. Und dort wird längst nicht Schluss sein, denn angesichts der jüngsten Erfolge blickt der isländische Fußball goldenen Zeiten entgegen.