Part of the Show
Österreichs Schiedsrichter pfeifen kaum in der Champions League, die Arbeitsbedingungen hinken im internationalen Vergleich hinterher, und intern sorgen Rebellen für Unruhe. Der Alltag funktioniert trotzdem nach einem genauen Plan, in dem Perfektion das u
Günter Benkö erinnert sich an den 28. Juni 2000, als wäre es gestern gewesen. Im EM-Semifinale zwischen Frankreich und Portugal in Brüssel steht es 1:1 in der Verlängerung. Nur noch wenige Minuten sind zu spielen, als Frankreichs Sylvain Wiltord den portugiesischen Torhüter Vitor Baia umkurven will und abgedrängt wird. Verteidiger Abel Xavier lenkt Wiltords Schuss aus spitzem Winkel im Fallen ins Torout. Benkö entscheidet auf Corner, doch dann beginnt die Aufregung. Der slowakische Assistent schlägt Alarm. Über den Pieper signalisiert er Benkö, dass er etwas gesehen hat, was Benkö nicht sehen konnte.
»Ich war der fixen Überzeugung, dass Xavier den Ball mit der Brust rausgespielt hat. Aber der Assi piepst und piepst. Also bin ich zu ihm an die Linie, und er sagt: ›Hand! Elfer! Gib ihn! Gib ihn!‹«Benkö folgt der Empfehlung seines Assistenten und zeigt auf den Elferpunkt. Die stürmischen Proteste von Portugals Spielern und Betreuern helfen nichts. Zinedine Zidane verwandelt den Strafstoß, und Frankreich zieht per Golden Goal ins EM-Finale ein. Die Portugiesen lassen ihren Frust derweil am Schiedsrichterteam aus. Luis Figo zieht sich noch vor Zidanes Elfer das Leiberl aus und geht ab in Richtung Kabine. Nuno Gomes spuckt Benkö am Spielfeld an und sieht die Rote Karte. In den Katakomben des König-Baudouin-Stadions kommt es zu Jagdszenen. »Sie haben uns getreten und mit allen möglichen Gegenständen beschossen«, erzählt Benkö. »Fast ein Wunder, dass wir das ohne Verletzungen überstanden haben.«
Benkö, Plautz und das große Loch
13 Jahre später blickt Günter Benkö entspannt auf die Vorfälle zurück. Der ehemalige FIFA-Schiedsrichter ist heute Obmann des burgenländischen Schiedsrichterkollegiums. In seinem Büro in Eisenstadt darf geraucht werden, und die Zigarette schmeckt am besten, wenn man in Erinnerungen schwelgt. Umso mehr, als Benkö damals richtig entschieden hat und zum besten Schiedsrichter des EM-Turniers gewählt wurde. »Mir wäre ein Elferschießen lieber gewesen. Es war mein letztes großes Match, da hätte ich so einen Wirbel nicht gebraucht. Aber ich habe mir nichts vorzuwerfen«, sagt Benkö.
Und doch bleibt ein fahler Beigeschmack, der mit dem Match und dessen Verlauf nichts zu tun hat. Denn seit dem Europameisterschaftshalbfinale von Brüssel hat kein Österreicher mehr ein derart großes Spiel auf internationaler Ebene geleitet. Benkö – auch bei der WM 1998 im Einsatz und 1999 Spielleiter des letzten Finales im Europacup der Cupsieger zwischen Lazio und Mallorca – beendete nach der EM 2000 seine internationale Karriere. Sein Nachfolger als Österreichs Nummer eins, Konrad Plautz, wurde zwar für die EM 2008 nominiert, musste sich aber mit zwei Vorrundenspielen begnügen. Die folgenden EM-Endrunden gingen genauso wie die Weltmeisterschaften von 2002, 2004 und 2006 ohne heimischen Schiedsrichter über die Bühne. Bei den Assistenten kam Egon Bereuter bei der WM 2002 und der EM 2008 zu Einsätzen. Für das österreichische Schiedsrichterwesen sei diese Bilanz tragisch, sagt Benkö, und für ihn als Funktionär deprimierend.
Die Gründe sieht der Burgenländer unter anderem in Veränderungen auf der Ebene der UEFA-Schiedsrichterkommission. Mit der Bestellung von Pierluigi Collina zum Schiedsrichterchef kam eine neue Funktionärsgeneration nach oben, ein neuer Stil hielt Einzug. Kommissionsmitglieder engagieren sich seither nebenberuflich in der Schiedsrichterausbildung nationaler Verbände. So wurde Collina im Vorfeld der EM 2012 zum Chef der ukrainischen Schiedsrichter ernannt, seinem französischen Kollegen Marc Batta erfuhr im Vorjahr die gleiche Ehre in Rumänien. »Früher wäre das undenkbar gewesen, heute ist das gang und gäbe«, sagt Benkö. »Aus Ländern wie diesen kommen in letzter Zeit vermehrt Topschiedsrichter. Ich finde das nicht ganz nachvollziehbar. Aber vielleicht sollten auch wir ein Mitglied der UEFA-Kommission als Ausbildner nach Österreich holen.«
Abschiede und Ambitionen
Starkes Lobbying für die österreichischen Unparteiischen hat jahrelang der ehemalige FIFA-Referee und steirische Verbandschef Gerhard Kapl als UEFA-Delegierter betrieben. Sein Tod 2011 bedeutete einen Rückschlag für das ÖFB-Schiedsrichterwesen. Benkö will den internationalen Niedergang aber nicht allein auf das Ableben Kapls zurückführen: »Er hat sicher einen guten Zugang zu den Gremien gehabt, aber die Krise hat schon zu Kapls Lebzeiten begonnen.« Vielmehr nimmt der langjährige FIFA-Schiedsrichter die eigenen Leute in die Pflicht. »An der Ausbildung liegt es nicht, die ist top. Die letzten österreichischen Schiedsrichter, die die Chance gehabt haben, auf europäisches Topniveau vorzustoßen, haben es selber verbockt.« Angesprochen davon darf sich Robert Schörgenhofer fühlen.
Der Vorarlberger hat in der Champions League schon Spiele des FC Barcelona, von Chelsea und Celtic geleitet, scheint aber am Zenit angekommen. »Er hat keine groben Fehler gemacht. Aber die Beobachter waren nicht so begeistert von ihm, dass sie gesagt hätten: Der kommt in die Topelite«, sagt Benkö. Zu verkraften hatte der ÖFB zudem das Karriereende von Thomas Einwaller. Der Tiroler, der neben zahlreichen Auftritten in UEFA-Bewerben auch bei den Olympischen Spielen 2008 in Peking pfiff, beendete im Vorjahr im Alter von 35 Jahren überraschend früh seine Schiedsrichterlaufbahn.
Dass der Abstand zur internationalen Spitze in den vergangenen Jahren größer geworden ist, gesteht auch Robert Sedlacek ein. Der Präsident des Wiener Fußball-Verbands ist seit 2011 Vorsitzender der ÖFB-Schiedsrichterkommission und seit heuer zudem Chef der 24 österreichischen Elite-Referees, die im Profibereich zum Einsatz kommen. »Die internationalen Kontakte haben nicht mehr so funktioniert. Ein bisschen waren wir auch selber schuld, weil wir nicht sofort Topleute nachgebracht haben«, sagt Sedlacek, früher selbst langjähriger Bundesliga- und FIFA-Schiedsrichter. Doch damit soll es nun vorbei sein. »Wir wollen wieder einen Topmann, der zu einer Endrunde fliegt und absolute Spitzenspiele pfeift« – so lauten die Ambitionen des Schiri-Chefs.
Die EM in drei Jahren sei ein Ziel, auch wenn man nicht ausgehen könne, dass ein Österreicher dabei ist. »Ich erwarte mir aber schon, dass in drei Jahren wichtige Spiele von heimischen Schiedsrichtern geleitet werden«, sagt Sedlacek. »Es ist ein Schritt auf dem Weg dorthin, dass unsere Leute für Nachwuchsendrunden nominiert werden.«
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