Austrias Akademie: Von der Insel zum Geschäftsmodell?
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Austrias Akademie: Von der Insel zum Geschäftsmodell?

Die violette Talenteschmiede bringt viele Spieler nach oben. Doch dort fehlt der Plan. Neue Strukturen sollen das ändern.

Es ist der Sommer 2007, die ÖFB-U20 sorgt bei der WM in Kanada für Furore, wird Vierter. Frank Stronach besucht die Mannschaft in seiner Wahlheimat und richtet Austria-Trainer Georg Zellhofer über den großen Teich hinweg aus: "Ich werde ihm sagen, dass sie zumindest eine Hälfte spielen müssen."

Gemeint sind die Jungstars Rubin Okotie und Michael Madl. Neben ihnen stehen mit Bartolomej Kuru, Markus Suttner und Tomas Simkovic drei weitere Talente aus der Frank-Stronach-Akademie im Kader von U20-Teamchef Paul Gludovatz.

Früher Goldstandard

Es sind die Früchte der Arbeit in Hollabrunn, wo der Milliardär für die Wiener Austria Talente ausbilden lässt. Es sind jene Zeiten, in denen die fußballerische Ausbildung beim FAK hierzulande als Goldstandard gilt. Mit David Alaba und Aleksandar Dragovic stammen zwei der vier Österreicher mit über 100 Länderspielen aus jener Zeit.

Im November 2016, im Alter von 28 Jahren, spielt Madl zum ersten und letzten Mal im A-Nationalteam. Das ist acht Jahre her. Er ist bis heute der letzte ÖFB-Debütant, der die gesamte Austria-Akademie durchlaufen und auch bei den Veilchen den Sprung in den Erwachsenenfußball geschafft hat.

Stronach hat längst das Interesse an Fußball verloren, in Hollabrunn werden die Talente von Zweitligist SV Horn ausgebildet, die Veilchen wiederum betreiben ihre Nachwuchsschmiede seit 2010 am Laaerberg, einen Steinwurf vom eigenen Stadion entfernt.

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Michael Häupl durchschneidet das violette Band und eröffnet in Anwesenheit von viel Prominenz 2010 die Austria-Akademie am Laaerberg

Während sich die Stronach-Akademiker in jenen Zeiten, in denen in Wien-Favoriten Milch und Honig flossen, im Kampf um Einsatzzeiten an hochbezahlten Legionären mit beeindruckenden Viten die Zähne ausbissen, rauft die Austria seit Jahren ums finanzielle Überleben. Da muss der Fokus doch auf dem eigenen Nachwuchs, auf gut ausgebildeten Spielern, die im Idealfall irgendwann fette Ablösen einbringen, liegen. Könnte man zumindest meinen.

"Natürlich muss ein Trainer oben liefern, aber ich muss mich als Klub ganz klar committen. Als Austria musst du sportlich als oberstes Ziel ausgeben, eigene junge Spieler raufzubringen. Dieser Weg ist unumgänglich. Alle Ausbildungsvereine in Europa haben einen Cheftrainer, der ganz klar einen Auftrag zu erfüllen hat", sagt Manuel Takacs.

Viele schafften zuletzt den Weg nach oben...

Der Burgenländer ist seit Sommer 2022 sportlicher Leiter der FAK-Akademie. Seiner Bestellung gingen unstete Zeiten voraus. Ralf Muhr, eine Ewigkeit Chef der Akademie, wurde 2018 zum Sportdirektor der Profis, seine Nachfolger Rene Glatzer und Florian Mader blieben beide nur ganz kurz im Amt.

Nun ist jedenfalls Takacs da. Und auf den ersten Blick liegt die Frage, warum ihm das Commitment bei den Profis fehlt, auf der Hand. Mit Philipp Maybach (16), Konstantin Aleksa (17) und David Ewemade (19) haben in der noch jungen Saison bereits drei Eigenbauspieler in der Bundesliga debütiert, sie liegen ligaweit auf den Plätzen 1, 2 und 10, wenn es um die jüngsten eingesetzten Kicker geht.

Und überhaupt haben in den vergangenen fünf Jahren mit Ziad El Sheiwi, Muharem Huskovic, Sanel Saljic, Florian Wustinger, Luca Pazourek, Dario Kreiker, Esad Bejic, Romeo Vucic, Matthias Braunöder, Can Keles, Aleksandar Jukic, Leonardo Ivkic, Stefan Radulovic und Niels Hahn fast drei Handvoll weitere Akademie-Spieler ihr Profi-Debüt im violetten Trikot gegeben.

Es gab die Insel Akademie, die ihr Ding macht, sobald der Spieler aber zu den Profis kam, gab es keinen Plan mehr mit ihm.

Akademieleiter Manuel Takacs

Die andere Seite der Medaille wird klar, wenn man zwei simple Fragen stellt: Wie viele dieser Spieler wurden bei der Austria zu Stammspielern und Leistungsträgern? Wie viele haben dann letztlich nennenswerte Ablösen in die leeren Kassen gespült?

...aber dann?

Ja, für Braunöder haben die Wiener Geld kassiert, doch selbst der ist unter dem damaligen Trainer Michael Wimmer oft nur auf der Bank gesessen, weil ihm Jukic vorgezogen wurde. Der wiederum wurde de facto nach Russland verschenkt. Sieht man von den Peanuts, die Can Keles eingebracht hat, ab, bleibt dann nicht mehr viel übrig.

Liegt es daran, dass die von der Austria ausgebildeten Spieler für die Austria allesamt zu schlecht sind? Schwer vorstellbar, wenn man sich vor Augen führt, dass der FAK in der jüngeren Vergangenheit sportlich nicht mehr als ein Mittelständer in der Bundesliga ist.

Takacs erklärt: "Der Plan bis nach oben hin war bei der Austria jahrelang nicht klar. Es gab die Insel Akademie, die ihr Ding macht, sobald der Spieler aber zu den Profis kam, gab es keinen Plan mehr mit ihm. Ein Spieler ist aber nicht fertig, wenn er rauf kommt. Du musst ihn weiter begleiten!"

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Austrias Technischer Direktor Robert Urbanek (links) und Akademieleiter Manuel Takacs (rechts)

Und da kommt Robert Urbanek ins Spiel. Der 39-Jährige arbeitet seit 2016 in der violetten Akademie, war administrativer Leiter, hatte aber weit mehr Aufgaben als diese Funktion vermuten lässt. Im Sommer wurde er befördert, sein Titel: Sportliche und Technische Direktion. Im Organigramm steht der Wiener auf einer Ebene mit Sportdirektor Manuel Ortlechner.

Der Neffe von Manfred Schmid mag im violetten Kosmos bisher zwar unter dem Radar geflogen sein, gilt aber vor allem im Nachwuchsfußball als bestens vernetzt, und das über Österreich hinaus.

"Manuel Ortlechner ist Sportdirektor und in dieser Rolle für die Kampfmannschaft und gemeinsam mit Lisa Makas, die hier einen tollen Job macht, auch für die Frauen zuständig. Alles, was davor passiert, liegt in meinem Kompetenzbereich. Mein Aufgabenfeld umfasst die Mannschaften des Vereins – die Akademie, der Nachwuchs, die Special Violets und die Fußballschule. Die Young Violets sind grundsätzlich eine Mannschaft der AG, aber bei uns eingebettet – die sportliche Letztentscheidung liegt zwar beim Sportdirektor, aber auch Manuel Takacs hat da viele Freiheiten, das ist eine Hybridmannschaft", erklärt Urbanek.

Strukturen schaffen für einen reibungslosen Übergang

Er will Strukturen schaffen, damit der Übergang aus der Talenteschmiede zu den Profis in Wien-Favoriten reibungslos verläuft. "Der Onboarding-Prozess der Jungen nach oben muss optimiert werden. Die Übergangsphase vom Nachwuchsfußball in den Erwachsenenfußball muss moderiert werden. Wir brauchen einen Plan dahinter", sagt er.

Doch gibt es den nicht längst? Seit einem Jahr wird der Plan für junge Veilchen in der Kommunikation klar gezeichnet: Akademie, dann in der Regionalliga Ost bei den Young Violets, dann in der 2. Liga bei Kooperationspartner SV Stripfing, dann in der Bundesliga bei den Austria-Profis.

Mit Maybach und Aleksa haben zuletzt zwei Spieler diesen Plan aber unterlaufen, sind ohne die Zwischenstation Stripfing zu den Profis gekommen, zumindest Maybach soll dort auch bleiben.

"Ein Stufenmodell ist nicht grundlegend schlecht, es wird aber immer wieder Situationen geben, in denen ein Spieler eine Stufe überspringen kann. Wir sind nicht gefangen in einem Stufenplan", sagt Urbanek. Takacs ergänzt: "Du kannst den Stufenplan nicht über jeden Spieler stülpen."

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Oliver Lukic: Die Austria zögerte mit einem Vertrag und verlor das Talent an RB Salzburg

Manchmal einfach auch, weil die Perspektive Stripfing nicht mehr verlockend genug ist. Mit Petar Markovic (18) hatte die Austria zuletzt einen hochveranlagten Innenverteidiger bei den Young Violets.

Doch die sportliche Führung zögerte, als es darum ging, ihm einen Vertrag vorzulegen. Stattdessen beschäftigte sie sich mit dem ein Jahr älteren Arjan Malic von der SV Ried. Sturm schnappte sich Malic, Markovic war nicht mehr überzeugt von einer ernsthaften Perspektive beim FAK, als die Verantwortlichen ihre Bemühungen endlich intensivierten, hatte er sich schon für einen Wechsel zum FC Bologna entschieden.

Frühzeitig Verträge vergeben

Auch bei Oliver Lukic konnte sich die Austria lange nicht zu einem Vertragsangebot durchringen, dabei galt der Offensivspieler als eines der größten Talente seit vielen Jahren. Dann schlug RB Salzburg zu. Zuletzt hat Lukic mit 17 Jahren unter Pep Lijnders in der Champions-League-Quali debütiert.

Das soll nicht mehr passieren, darum will sich Urbanek in seiner neuen Funktion kümmern: "Es liegt an uns, diese Verträge frühzeitig zu vergeben. Wir müssen so gut arbeiten, dass wir solche Spieler frühzeitig erkennen und mit entsprechenden Arbeitspapieren versehen. Spieler, die schon frühzeitig wissen, dass sie ins Ausland und richtig viel Geld verdienen wollen, wird es aber immer wieder geben. Es wird nicht jeder unterschreiben."

Bevor wir uns nach einem Spiel darüber unterhalten, wie unser System gegen das des Gegners gegriffen hat, sprechen wir darüber, wie unsere drei besten Spieler performt haben.

Technischer Direktor Robert Urbanek

Außergewöhnliche Talente ausbilden, außergewöhnlichen Talenten die Perspektive im eigenen Verein aufzeigen, von außergewöhnlichen Talenten sportlich und finanziell profitieren. Das klingt einfach, ist es aber freilich nicht.

Die Austria setzt nun vermehrt darauf, den Fokus auf die Besten im Nachwuchs zu legen. "Unser großes Ziel ist, die individuelle Spielerentwicklung in den Vordergrund zu stellen, sie noch mehr zu intensivieren. Wir legen den Fokus noch mehr auf unsere Potenzialspieler. Bevor wir uns nach einem Spiel darüber unterhalten, wie unser System gegen das des Gegners gegriffen hat, sprechen wir darüber, wie unsere drei besten Spieler performt haben", erzählt Urbanek.

Der Talent Manager und der ganzheitliche Ansatz

Christoph Witamwas spielt dabei eine große Rolle. Der 36-Jährige ist Talent Manager. Er war im Herbst 2023 bereits U18-Coach der Austria, ehe er in St. Pölten Co-Trainer von Philipp Semlic wurde und nach dessen Abgang vier Spiele lang selbst als Cheftrainer an der Seitenlinie stand. Im Sommer kehrte er an den Verteilerkreis zurück.

Takacs sagt über ihn: "Er hat eine extrem wichtige Rolle, weil er sich auf die Besten in den Jahrgängen fokussieren kann. Er ist das Bindeglied nach oben." Urbanek ergänzt: "Gemeinsam mit dem neu installierten Individualtrainer, der die Datenaufbereitung macht, und den Psychologen, die sich ums Mentale kümmern, betrachtet er den Spieler ganzheitlich. Wir messen dem hohes Gewicht bei."

Zuletzt hat der Jahrgang 2008 für eine Sensation gesorgt und wurde unter dem Trainer-Duo Patrick Fürst und Mario Nastl, die beide nun die U18 betreuen, U16-Meister in der Jugendliga. In Zeiten, in denen die Salzburger praktisch jeden Titel abräumen, ist das erstaunlich. Zudem stellten die Veilchen mit Hasan Deshishku, der 34 Mal traf, den Torschützenkönig.

Team

Trainer

Co-Trainer

U18

Patrick Fürst

Mario Nastl

U16

Christian Haselberger

Simon Goigitzer

U15

Manuel Weber

Peter Hofer

Doch was zählt so etwas in Zeiten, in denen die individuelle Performance über jene des Teams gestellt wird, überhaupt?

Takacs klärt auf: "Der Titel selbst ist für die Außendarstellung wichtig, wenn du dich um Talente bemühst. Um ein Wiener Top-Talent bemühen sich neben uns auch Rapid, die Admira und Salzburg. Da brauchst du Argumente. Und Eltern sehen oft nur die Tabelle, gehen davon aus, dass sich ein Kind in einer besseren Mannschaft mit besseren Mitspielern besser entwickelt."

Der beinharte Kampf um die Talente

Der Kampf um die größten Talente ist beinhart. Scouts von Konkurrenten, die nach Spielen Eltern auf der Straße abfangen, Minderjährige, die via Instagram bezirzt werden, man kennt die Geschichten.

Die Austria lehnt solche Praktiken ab, Chefscout Rainer Messetler ist angehalten, die korrekten Wege zu gehen, wenngleich sie großen Zeitaufwand bedeuten. Immerhin wurde das Scouting im Nachwuchs mit ihm als 20-Stunden-Kraft und einigen weiteren Männern, die auf PRAE-Basis, also der pauschalen Reiseaufwandsentschädigung arbeiten, ausgebaut.

Ist das Talent entdeckt, soll es aus violetter Sicht dann eben am Verteilerkreis und nicht in Hütteldorf landen. Galt der Nachwuchs beim SK Rapid lange Zeit als Stiefkind, hat sich das in der jüngeren Vergangenheit radikal geändert.

Das violette Alleinstellungsmerkmal

Urbanek erkennt an: "Rapid hat vor einigen Jahren entschieden, dass es ein Hebel ist, eigene Spieler auszubilden, und entsprechend investiert." Er sagt aber auch: "Mich überrascht, dass die Marschrichtung in der Kaderzusammenstellung bei den Profis jetzt in die andere Richtung geht, inklusive Verzichts auf den Österreicher-Topf."

Auch beim SK Sturm wird mehr und mehr auf Legionäre gesetzt, einheimische Talente finden so gut wie gar nicht mehr den Weg bis zu den Profis, in Salzburg ist das nicht viel anders.

Die Austria wittert ihre Chance. "Das ist unser Alleinstellungsmerkmal: Wir haben das Ziel, der eigenen Ausbildung die meiste Aufmerksamkeit zu schenken, wir wollen eigene Spieler produzieren. Wir wollen Persönlichkeiten produzieren, die bei den Profis auf konstantem Level Leistung bringen und dann vielleicht den Sprung ins Ausland schaffen. Das muss unser Geschäftsmodell sein", ist sich Urbanek sicher.

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Philipp Maybach debütierte mit 16 Jahren in der Bundesliga, nun wechselte Bruder Jakob von Rapid zur Austria

Zuletzt hatte die violette Akademie Erfolge im Buhlen um hochveranlagte Spieler zu verbuchen. Jakob Maybach, der kleine Bruder von Bundesliga-Debütant Philipp, ist im Sommer von Rapid zur Austria gewechselt. Und das erst 14-jährige slowakische Talent Alan Lembakoali konnte auch überzeugt werden.

Eine Baustelle ist indes die Infrastruktur. Seit der Eröffnung 2010 hat sich kaum etwas am Standort auf der Laaerbergstraße 143 verändert.

"Die Infrastruktur ist ein Riesenthema"

"Die Infrastruktur ist ein Riesenthema. Wenn du zu wenig Plätze hast, kannst du irgendwann die Qualität nicht mehr liefern. Wir brauchen mehr Plätze", fordert Takacs, der sich aktuell über 17 Spieler in Nachwuchsnationalteams freuen darf.

Nicht alle werden es zu den violetten Profis schaffen, doch viele werden ihre Chance bekommen. Der Knackpunkt wird sein, was nach dem Debüt passiert, wie sie danach angeleitet werden, wie sehr ihnen echtes Vertrauen geschenkt wird.

Dass die Fans mit eigenen Talenten geduldiger sind als mit zugekauften Kickern, liegt auf der Hand. Dass dieser Weg sportlich mitunter schwierigere Saisonen mit sich bringen kann, kann angesichts der bescheidenen Performance der vergangenen Jahre nur schwer ein Argument dagegen sein.

"Der Weg aktuell ist in Ordnung, aber wir sind noch lange nicht dort, wo wir hingehören", sagt Takacs, wenn er über die Akademie spricht.

Urbanek meint: "Die Bundesliga ist eine Ausbildungsliga und infolge dessen sind wir auch ein Ausbildungsverein."

Mit welcher Konsequenz die Veilchen das verfolgen, wird die Zukunft zeigen.

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