Infrastruktur: Wo die Reise hingeht
Österreichs Fußballinfrastruktur lag lange brach, Chancen wurden früher eher verpasst als genutzt. Seit einigen Jahren hat sich das geändert.
In der Entwicklung des Profifußballs in den letzten Jahrzehnten stand und steht die Professionalisierung im sportlichen und finanziellen Bereich sicher im Fokus vor der Infrastruktur.
Wo die ligaweite Reise hingeht, haben wir in den vergangenen Jahren bereits gesehen, bei Altach, der Austria, dem LASK, Rapid und in Bälde auch in Lustenau.
+ + 90minuten.at PLUS - Von Georg Sohler + +
2008, das ist lange her und diesen Umstand kennen nicht nur Rapid-Fans. In Sachen Infrastruktur kann sich der grün-weiße Anhang aber nicht beklagen. So traditionsreich das alte Gerhard-Hanappi-Stadion in den Tagen des letzten Titels gewesen sein mag, das Allianzstadion ist um Lichtjahre besser, in allen Belangen. Abgesehen von Wien inklusive Favoriten mit dem alten Horr-Platz sah es damals im restlichen Österreich etwas besser aus. Der gemeinsamen Europameisterschaft mit der Schweiz sei's gedankt. Red Bull Salzburg, Austria Kärnten und Wacker Innsbruck spielten in neuen Stadien. Auch die Arena in Ried war schon neu, Graz-Liebenau noch bei weitem nicht so in die Jahre gekommen wie heute. Mattersburg war eben Mattersburg, der LASK spielte auf der Gugl - vor allem deshalb, weil ein im selben Jahr verstorbener Landeshauptmann Klagenfurt als Euro-Standort forciert hatte. Bleibt noch Altach. Das Schnabelholz war nicht gerade ein Fußballtempel, eher ein Dortplatz mit eben ein bissl größeren Tribünen.
Bundesliga-Vorstandsvorsitzender Christian Ebenbauer bilanziert die letzten Jahrzehnte gegenüber 90minuten.at so: „Die Situation hat sich stark verbessert.“ Insgesamt rechnet er vor: „Seit dem Beginn der Infrastrukturoffensive im Jahr 2012 wurden bis dato mehr als 300 Millionen Euro in die österreichischen Stadien investiert. Das sieht man sowohl bei Neubauten wie bei Blau-Weiß Linz, dem LASK, Rapid und SKN St. Pölten, aber auch großflächig umgebauten Stadien wie bei der Austria oder Altach.“ Auch in anderen Stadien wie in Ried oder Salzburg wurden immer wieder Maßnahmen gesetzt, sei es im Zuschauerbereich, den medialen Einrichtungen oder in den VIP-Räumlichkeiten. Er formuliert sehr positiv: „Dazu kommen zusätzliche Bundesliga-weite Schritte wie die verpflichtende Einführung der Rasenheizung oder die verpflichtende Überdachung der Gästesektoren. Speziell die letzten Jahre können sicherlich als 'Jahrzehnt der Infrastruktur' bezeichnet werden.“
Vergebene Chancen
Doch ein paar Schritte zurück. Österreich und seine Sportplätze, das ist kompliziert. Schon im Vorfeld der Europameisterschaft 2008 entschied man sich gegen einen Neubau des Ernst-Happel-Stadions, der vermutete Denkmalschutz wurde Jahre zuvor „festgestellt“. Mit der Aussicht auf das erste Fußballgroßereignis hätten sich die Politiker wohl mehr getraut als heutzutage.
„Die damaligen Standort-Entscheidungen mit 16 Jahren Verspätung zu diskutieren, ist wenig zielführend“, meint Ebenbauer, „Fakt ist aber sicherlich, dass die Diskussion um ein Nationalstadion bzw. eine umfangreiche Renovierung des Ernst-Happel-Stadions nicht zu unrecht stattfindet.“ Die Chance, einen modernen Fußballtempel zu bauen, der wie früher Europacup-Endspielen eine würdige Kulisse gab, wurde nicht ergriffen, Finalespiele wie das erste Landesmeisterfinale in Wien zwischen Inter Milan und Real Madrid 1964, das letzte Champions League-Endpsiel zwischen Ajax Amsterdam und AC Milan und das Finale der EM 2008 sind die letzten geblieben. Dass die Wörthersee Arena zudem eigentlich woanders stehen könnte, setzt dem Ganzen die Krone auf. Die (Landes-)Politik wollte es so. Aber ohne die geht es nicht, wie auch Ebenbauer weiß: „Ohne Doppelpass mit der Politik sind Stadionprojekte nicht realisierbar. Das betrifft aber nicht nur die finanzielle Seite, sondern auch weitere Aspekte wie behördliche Genehmigungen oder Baumaßnahmen im Umfeld um die An- und Abreise zu gewährleisten.“
Dunkle Jahre
Nicht unerwähnt bleiben soll, dass es dem heimischen Fußball nach den Europacup-Erfolgen in den 1990er mit zwei Europacup-Endspielen und Sturms Champions League-Erfolgslauf alles andere als gut ging. Zampanos hatten die großen Teams der Jahre vor der Heim-Euro in den finanziellen Ruin getrieben. Rapid musste in Folge des finanziellen Schiffsbruch als Aktiengesellschaft schon 1994 vor den Konkrusrichter, die Bank Austria machte die Sanierung im Wege eines Insolvenzverfahrens mit eine Bankgarantie möglich. Austria Wien verkaufte sich fünf Jahre später mit Haut und Haar an Frank Stronach. Der Serienmeister FC Tirol (2000-02) wurde zerrissen, der zuständige Manager musste ins Gefängnis. Der GAK legte in Folge des Meistertitels 2004 gleich vier Konkurse hin, Sturm Graz konnte in Folge eines Konkurses nur mit Müh und Not gerettet werden. Didi Mateschitz übernahm mit Red Bull im Jahr 2005 die marode Salzburger Austria. Superfund Pasching wanderte nach Kärnten, der FC und auch später die Austria endeten in einem Schuldenberg, es war finanziell wild, nicht nur oben. Auch unterhalb zerriss es reihenweise Klubs.
Von fußballerischer Glanz und Glorie war nichts übrig geblieben, in Folge des EU-Beitritts gab es eine Legiornässchwemme, das Nationalteam war schlecht, der 2004/05 eingeführte Österreicher-Topf konnte da noch nicht greifen. Kurzum: Wer hätte dem Fußball Geld für Stadien geben sollen, außer wenn es für eine Europameisterschaft war. Oder, wie es Ebenbauer salomonisch formuliert: „In der Entwicklung des Profifußballs in den letzten Jahrzehnten stand und steht die Professionalisierung im sportlichen und finanziellen Bereich sicher im Fokus vor der Infrastruktur.“
Langsames Erwachen
In diesem Kontext muss man auch das Thema Infrastruktur verstehen. Klamme Kassen, ein Nationalteam, dass sich seit 1998 nicht für ein Großereignis qualifiziert hat, politischer Abtausch von Kleingeld, finanzielles Harakiri bei einigen Klubs. Nach der Heim-Euro spielten nach dem Abstieg der Innsbrucker mit Rapid, Sturm, dem LASK, der Austria, Mattersburg, Altach und Kapfenberg sieben von zehn Bundesligaklubs in Stadien, die älter oder viel älter als zehn Jahre waren. Lediglich Salzburg und Austria Kärnten liefen in den EM-Arenen auf, Ried im fünf Jahre zuvor gebauten.
Weitere Neubauten ließen lange auf sich warten. 2012 bekam der SKN St. Pölten die NV Arena spendiert. Rapid und Austria erhielten stattliche städtisch Förderungen, um 2016 bzw. 2018 in den neuen Heimstätten zu spielen. Der SCR Altach renoviert das Schnabelholz-Stadion peux-a-peux, seit 2019 sind alle 8.500 Sitz- und Stehplätze überdacht. Im Februar 2023 eröffnete der LASK die Raiffeisen Arena am Standort der alten Gugl, das Land half hier finanziell kräftig mit. Auch das Blau-Weiß Linz-Stadion ist seit 2023 als Hofmann Personal Stadion neu mit dabei. Austria Klagenfurt nutzt die (viel zu große) Arena am Wörthersee, die WSG Tirol scheitert an einem Neu-/Umbau in Wattens, darf aber den Tivoli nutzen. Austria Lustenau baut gegenwärtig um, der WAC plant seit geraumer Zeit ein neues Stadion, Hartberg braucht aufgrund der Lizenzbestimmungen eines, bei Sturm bzw. dem künftigen Bundesligisten GAK stehen maßgebliche Entscheidungen an. Es tut sich, spät aber doch, einiges hinsichtlich Infrastruktur. „Speziell mit dem Beginn der Liga-weiten Infrastrukturoffensive definitiv großes Augenmerk auf die Stadion-, aber auch auf die Trainingsinfrastruktur gelegt und viele personelle und finanzielle Ressourcen darauf verwendet“, so Ebenbauer, „Insofern ist es wichtig für die Entwicklung, dass wir heute großteils sehr moderne Stadien haben. All jene, die vielleicht noch nicht ganz state-of-the-art sind, können hoffentlich bald nachziehen bzw. sind ja teilweise schon in Planung.“
Auf gutem Wege
„In der Admiral Bundesliga sind wir auf einem guten Weg und die Anforderungen aktuell im Großen und Ganzen für Österreich ausreichend“, meint er dazu. Neben den bereits beschlossenen Schritten, bspw. dass ab 2025 temporäre Tribünen nicht mehr zur Erreichung der Mindestkapazität herangezogen werden dürfen, gibt es aber natürlich noch weitere Wunschszenarien wie z.B. durchgehend rundum geschlossene Stadien.“
In der 2. Liga ist man bekanntlich mit der Ligareform 2018 in Sachen Anforderungen im Vergleich zur Zehnerliga davor bewusst mehrere Schritte zurückgegangen. So wurden Kriterien wie das Fassungsvermögen oder die Flutlichtstärke herabgesetzt, wohingegen im Sinne der Positionierung der 2. Liga Spieler zu entwickeln, an die Spielfeldqualität hohe Ansprüche gesetzt werden: „Aktuell wird der Bereich Infrastruktur bei der Gesamtevaluierung der 2. Liga ebenfalls berücksichtigt.“
Was ist ein Fußballstadion eigentlich?
Nun ein Schritt zu Seite. Was ist eigentlich ein Fußballstadion. Die UEFA kennt seit 2018 die Kategorien 1 bis 4. Dabei wird nach verschiedenen Parametern unterschieden, etwa nach horizontaler und vertikaler Beleichtungsstärke oder VIP-Parkplätze in einem sicheren Bereich. Einige entscheidende Unterschiede liegen in der Mindestkapazität. Diese ist aufsteigend: 200, 1.500, 4.500 und 8.000 Plätze. Stehplätze sind nur in Kategorie 1 erlaubt. Die Mindestanzahl an VIP-Sitzplätzen lautet 50-50-75-100. Spielfeld: In den Kategorien 1 und 2 müssen mindestens 100x64m erreicht werden, in den anderen beiden Kategorien braucht es das Standardmaß 105x68m. Die restlichen Thematiken betreffen etwa eine permanente Videoüberwachung (Kat. 3 + 4) oder VIP-Parkplätze, den Medienbereich und so weiter. Die UEFA regelt das sehr genau, bis hin zu der Anzahl der Mindestsitzplätze im Pressekonferenzraum.
Österreich wiederum listet die Kriterien in Kategorien A- (Zwingend), B- (Fordernd) und C-Kriterien (Empfehlung) auf. Allerdings müssen A und B zwingend erfüllt werden. Wer A nicht hat, kann in dem Stadion nicht spielen. Bei B-Kriterien gibt es Fristen und Strafen bei verübergehender Nicht-Erfüllung. Neben vielen anderen Bereichen regelt man beispielsweise das Fassungsvermögen. Hier sind in der Bundesliga 5.000 Plätze vorgeschrieben, wobei 3.000 (mind. 50%) Sitzplätze sein müssen, insgesamt müssen 4.000 Sitz- oder Stehplätze überdacht sein (50% davon müssen Sitzplätze sein. In der 2. Liga sind die Anforderungen geringer, so müssen beispielsweise nur 1.000 Plätze da sein, wobei 500 davon Sitzplätze sein müssen (50% überdacht). Wer angesichts dieser doch eher geringen Zahlen die Stirn runzelt, sollte sich vergegenwärtigen, wie die Entwicklung der Besucher:innenzahlen ist.
Braucht es so viel Platz?
Wirft man einen Blick auf die Zuschauer:innenentwicklung, so sticht 2007/08 heraus. Rapid-Meistertitel, ein Land in Europhorie – 9.284 betrug der Schnitt. Das war die am besten besuchte Saison seit die Bundesliga zur Saison 1974/75 eingeführt wurde. Die bis dahin am schlechtesten besuchte Saison war 1984/85. Wirklich vergleichbar ist das alles nicht, denn es gab zwischen zehn und 16 Teams in der höchsten Spielklasse, in der erwähnt schwachen waren es 16, darunter Spittal an der Drau und der FavAC. Im Jahr darauf gab es gleich drei Playoffs: Die besten acht der nun zwölf Ligateams spielten oben, im mittlerern Playoff kickten die anderen vier und die vier besten aus der 2. Liga um den Aufstieg, dazu kam ein weiteres Achterplayoff gegen den Abstieg.
Nach der Europameisterschaft ging es stetig bergab. 6.150 in der Spielzeit 203/14. Überhaupt lagen die Zahlen zwischen 2009/10 und 2022/23 stets zwischen 6.000 und 8.000. Erst in der laufenden Saison hält man bei knapp über 8.000, wobei sich noch weisen wird, was am Ende übrig bleibt, stehen doch noch viele Spiele „unten“ an.
Die großen Abwesenden
Attraktive Stadien und Besuch, das ist in Österreich nämlich keine Logik. Jeder kennt die zwar modernen, aber recht gähnend leeren Heimspielstätten der WSG Tirol und von Austria Klagenfurt. In Hartberg gehen halt auch nicht mehr als 5.024 Fans rein. Der SK Rapid spielte lange im längst nicht mehr zeitgemäßen Hanappi-Stadion, verbuchte dennoch tollen Besuch. In St. Pölten führte der Neubau nicht zu einem sehr hohen Zuschauer:innenandrang. Neben Sturm, Rapid und der Austria gab es ja auch keinen Klub, der seit Einführung der Bundesliga immer oben gespielt hat. Der LASK war in den letzten Jahrzehnten beispielsweise eine Fahrstuhlmannschaft, so könnte man auch die SV Ried mittlerweile bezeichnen.
Sieht man sich die Liste zugkräftiger Nicht-Bundesligisten an, so finden sich dort Namen wie der GAK, die Rieder, DSV Leoben, mit Abstrichen die Vienna. In den Regionalligen kicken Klubs wie Vorwärts Steyr oder der Wiener Sportclub, Wacker Innsbruck ist noch weiter weg. Wenn Klubs, die wenig Fans haben, absteigen und durch Zugpferde ersetzt werden, wirkt sich das ganze logischerweise auf höhere Zahlen aus. Mit – Hausnummer – GAK statt Hartberg, Wacker statt der WSG oder Leoben statt dem WAC wäre ein 10.000er-Schnitt wohl möglicher. Kurz gesagt: Nicht jeder Besuch erklärt sich aus dem Zustand des Stadions.
Was braucht es?
Die Anforderungen an ein modernes Stadion sind so vielfältig wie das Publikum, das es besucht, wie Ebenbauer schließlich ausführt: „Das beginnt bereits bei unterschiedlichen Anreisemöglichkeiten durch öffentlichen Verkehr, Fahrrad- oder Individualverkehr bis hin zu einer Parkgarage im Haus.“ Es bedarf unterschiedliche Plätze und Preiskategorien für aktive Fans, gelegentliche Stadionbesucher:innen, Familien und VIP-Gästen, einer guten Medieninfrastruktur, für Partner und Sponsoren klassische und digitale Werbeflächen und Netzwerkmöglichkeiten sowie in allen Bereichen ausreichende Möglichkeiten zur Verpflegung und Sanitärbereiche: „Dazu gibt es noch für die Stadionbesucher unsichtbare aber wichtige Aspekte wie die Sicherheitszentrale oder TV-Produktionsinfrastruktur, um nur ein paar wenige Bereiche und Anforderungen zu nennen.“ Ein Bundesliga-Stadion ist also definitiv mehr als nur eine Mindestkapazität.
Was kann also noch folgen? In den aktuellen Stadionbestimmungen sind einige Kriterien bereits als C-Kriterien im Empfehlungsrang verankert, diese „können einerseits aus den Fördertöpfen der Liga finanziell unterstützt werden und galten schon in der Vergangenheit oft als Indikator dafür, wo die Reise zukünftig hinführen kann.“ Aktuell gilt es in diesem Zusammenhang vor allem viele Maßnahmen im Bereich Nachhaltigkeit wie LED-Lichter, nachhaltige Energieversorgung oder wasserlose Urinale zu erwähnen. „Wo die ligaweite Reise hingeht, haben wir in den vergangenen Jahren bereits gesehen, bei Altach, der Austria, dem LASK, Rapid und in Bälde auch in Lustenau: Moderne und bedarfsgerechte Stadien, die gemessen an der Größe des Klubs und der jeweiligen Region alle Stückerln für Sport und Fans spielen.“
Dem ist am Ende wohl nichts mehr hinzuzufügen.
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