Österliche Wiederauferstehung im Innviertel?

Dass Ried alle heiligen Zeiten ein Bundesligaspiel gewinnt, ist wortwörtlich zu verstehen. Seit einem 3:1-Sieg bei der WSG Tirol vor Weihnachten konnte man am vergangenen Karsamstag zum ersten Mal wieder reüssieren und damit nach zehn sieglosen Spielen im Frühjahr den Rückfall ans Tabellenende der Qualifikationsgruppe vermeiden.

Ried wollte unsere Intensität spielen, das können sie aber nicht

LASK-Coach Thalhammer über das Duell mit Muslic

Die Herangehensweisen von Muslic und Heraf waren sehr unterschiedlich. Rainer Wöllinger und ich wollten eigentlich mit Muslic weitermachen, aber er war der Auffassung, dass es in dieser Konstellation für ihn nicht mehr möglich ist.

SVR-Sportkoordinator Wolfgang Fiala

Was haben wir alles verbrochen?

Geschäftsführer Rainer Wöllinger nach dem Elferpfiff

Man kann bei durchschnittlich zwei Cheftrainern pro Saison nicht wirklich von Kontinuität sprechen. Dieser Trend begann schon vor der Entlassung von Stefan Reiter im Frühjahr 2017, dessen Abgang allerdings ein zusätzliches Machtvakuum erzeugt hatte.

90minuten.at-Ried-Experte Gerald Emprechtinger

Die nächsten neun Spieltage werden daher zeigen, wie viel Ruhe nach dem ersten Sieg im Frühjahr wirklich eingekehrt ist.

Gerald Emprechtinger

+ + 90minuten.at Exklusiv - Von Gerald Emprechtinger + +

 

Doch wie kam es zu dieser sieglosen Serie zwischen Weihnachten und Ostern? Am 4. Jänner 2021 trat Miron Muslic das Amt des Cheftrainer bei der SV Ried an. Der vormalige Coach des Floridsdorfer AC stellte das Spielkonzept und die Spielidee im Vergleich zu seinem Vorgänger Gerald Baumgartner radikal um und rückte auch nach einer langen Serie von sieglosen Spielen nicht von dieser Linie ab.

Der von ihm bei der Antritts-PK kommunizierte Spielstil (“offensiv und mutig”) war nicht unbedingt ein perfect match für den bestehenden Kader der SVR, der größtenteils von seinem Vorgänger zusammengestellt wurde. In diesen Zusammenhang passt auch eine Aussage von LASK-Coach Dominik Thalhammer in der PK nach dem OÖ-Derby: “Ried wollte unsere Intensität spielen, das können sie aber nicht”.

Während der zweitlängsten Negativserie der Rieder Profigeschichte trat Miron Muslic dann am 25. März 2021 als Trainer der SV Ried zurück. Er zog damit die Konsequenz aus einer ernüchternden Bilanz von nur drei Punkten (0.3 Punkte/Spiel) und vier erzielten Toren (0.4 Tore/Spiel). Die mangelnde Chancenverwertung vor dem gegnerischen Tor, unerklärbare individuelle Fehler in der Defensive sowie drei Last-Minute-Niederlagen (gegen Sturm Graz, Rapid und Altach) machen Muslic vermutlich zu einem der glücklosesten Trainer der Rieder Vereinsgeschichte.

 

Mit Andreas Heraf zurück zu den Basics

Dem Vernehmen nach war Miron Muslic schon bei seiner Bestellung durch den Vorstand weder die erste noch die zweite Wahl gewesen. Zuvor galten Thomas Grumser (ehemals Wacker Innsbruck) und Ronald Brunmayr (BW Linz) als vorstandsinterne Favoriten, jedoch holte man sich von beiden eine Absage ein. Suboptimal für Muslic war daher, dass er gleich von Beginn an das Prädikat der dritten Wahl mit sich mitschleppen musste.

Und weil das Vertrauen im Vorstand durch die sieglosen Spiele auch nicht besser wurde, hatte das Nervenflattern im SVR-Vorstand schon nach der desaströsen 0:4-Heimniederlage gegen den WAC seinen vorläufigen Höhepunkt erreicht. Ein verbales Bekenntnis der Spieler zu ihrem Trainer und seinem eingeschlagenen Weg rettete Muslic vermutlich vor einer vorzeitigen Entlassung. An dieser Stelle muss man wissen, dass Muslic früher sowohl Trainer in der AKA Ried als auch Cheftrainer der Junge Wikinger Ried in der Regionalliga Mitte war und dementsprechend anerkannt und beliebt war.

Nach der 0-3 Derbyniederlage gegen den LASK eine Woche brach der gegnerische Trainer Dominik Thalhammer eine Lanze für seinen ehemaligen Schüler Muslic: “Ich würde es kritisch sehen, wenn man einen Trainer nach neun Spielen verabschiedet. Ich soll mich zwar nicht einmischen, aber wenn man ihn jetzt gehen lässt, sollen meiner Meinung nach auch die Leute mitgehen, die ihn bestellt haben, weil dann war es ein schwerer Rekrutierungsfehler” - so die ungewohnt deutlichen Worte des ehemaligen sportlichen Leiters der Trainerausbildung des ÖFB bei der PK nach dem Spiel.

Man wird vermutlich nie erfahren, ob diese Aussagen von Thalhammer eine Auswirkung auf die Entscheidungsfindung der Rieder Chefetage gehabt haben. Denn als alle nach einer Krisensitzung schon mit einer vorzeitigen Entlassung von Muslic gerechnet hatten, wurde ihm stattdessen Andreas Heraf als Co-Trainer zur Seite gestellt, um frische Impulse in die Mannschaft zu bringen.

Heraf war in Ried kein Unbekannter, er war bereits in der Aufstiegssaison als Co-Trainer von Gerald Baumgartner aktiv. Persönliche Differenzen zwischen den beiden sorgten dafür, dass der Vertrag nicht über den Sommer hinaus verlängert wurde. Laut eigener Aussage bei der PK nach dem Hartberg-Spiel hatte Heraf eigentlich schon einen Flug für eine Scouting-Aufgabe in Brasilien gebucht, bevor ihn der Anruf von SVR-Finanzvorstand Roland Daxl dazu brachte, dieses Ticket verfallen zu lassen.

 

Heraf als Aufpasser

Die Verpflichtung von Heraf als “Aufpasser” und/oder potentiellen Nachfolger für Muslic sorgte in der Öffentlichkeit für viel Stirnrunzeln. Auch ohne UEFA-Pro-Lizenz hatte man nämlich erwarten können, dass der aggressive Pressingfußball von Miron Muslic und der reaktive Defensivfspielstil von Andreas Heraf nicht wirklich miteinander kompatibel sind.

Und so soll es laut 'OON'-Infos im Training zwischen den beiden dominanten Trainerpersönlichkeiten wenig überraschend auch mehrmals gekracht haben. Muslic trat zurück und als offizieller Grund für den Rücktritt wurden Auffassungsunterschiede kommuniziert. Konkret kommentierte Sportkoordinator Wolfgang Fiala den Rücktritt von Muslic gegenüber den Oberösterreichischen Nachrichten folgendermaßen: “Die Herangehensweisen von Muslic und Heraf waren sehr unterschiedlich. Rainer Wöllinger und ich wollten eigentlich mit Muslic weitermachen, aber er war der Auffassung, dass es in dieser Konstellation für ihn nicht mehr möglich ist. Das haben wir akzeptiert.“

Man kann von außen nur spekulieren, wie freiwillig der Rücktritt von Muslic im Endeffekt wirklich war. Dass Stillschweigen rund um die Vertragsauflösung vereinbart wurde, ist auch als Zeichen dafür zu sehen, dass hier beide Parteien nach der kurzen und glücklosen Zusammenarbeit das Gesicht in der Öffentlichkeit wahren wollten.

Man kann dem 38-jährigen Muslic, der seit 2008 in Altmünster (OÖ) wohnhaft ist, rückwirkend durchaus vorwerfen, dass er durch seine Herangehensweise hinsichtlich Spielprinzip nicht das Maximum aus den vorhandenen Qualitäten des bestehenden Kaders herausgeholt hat. Frühere SVR-Trainer wie Klaus Roitinger oder vor allem Paul Gludovatz hatten es perfekt verstanden, das beste Spielsystem für die vorhandenen Stärken zu finden und damit die Taktik an die vorhandenen Spieler anzupassen und nicht vice versa.

Insofern ist es nachvollziehbar, dass man nun im knallharten Abstiegskampf auf einen Paradigmenwechsel und damit Andreas Heraf setzt. Der 53-jährige Wiener kennt die Mannschaft und wird sich im Gegensatz zu Muslic auf keine Experimente einlassen. Hier werden im Bezug auf seine Philosophie stets defensive Stabilität und Gefahr bei Standardsituationen genannt. Ersteres war beim Spiel gegen Hartberg noch nicht erkennbar, zweiteres hingegen sehr wohl. Die ersten beiden Rieder Tore entstanden nach schnellen Einwürfen, der Siegtreffer nach einem Eckball. Auch im großen Kader der SV Ried wurden die Karten während der Länderspielpause völlig durchgemischt.

 

“Was haben wir alles verbrochen?”

Der langjährige Kapitän Thomas Reifeltshammer musste gegen Hartberg erstmals in dieser Saison mit einem Platz auf der Ersatzbank Vorlieb nehmen. An seiner Stelle rückte Luca Meisl neben Kennedy Boateng in die Innenverteidigung. Rechtsfuß Manuel Kerhe, der zuletzt unter Miron Muslic keine sportliche Rolle mehr spielte, begann auf der Position des Linksverteidigers. Julian Wießmeier, eigentlich Spielmacher bzw. in der Offensive universal einsetzbar, begann als Rechtsverteidiger. Dort wurde er bereits von Interimstrainer Gerhard Schweitzer beim 3-1 Sieg bei der WSG Tirol im Dezember eingesetzt.

Die vielen Umstellungen in der Verteidigung sorgten zu Spielbeginn nicht unbedingt für die defensive Stabilität. Nach übermütigen Offensivpressing fast ohne jegliche Defensivabsicherung stellte Stefan Rakowitz mit einem Alleingang aus der eigenen Spielhälfte nach nur 52 Sekunden auf 1:0 für die Oststeirer. Nach 17 Minuten hätte Dario Tadic bereits für die frühe Vorentscheidung sorgen können. Nach einem Handspiel von Kennedy Boateng außerhalb des Strafraums entschieden Schiedsrichter Heiss und sein Assistent zu Unrecht auf Elfmeter für Hartberg. Geschäftsführer Rainer Wöllinger kommentierte die Situation, nachdem er die sky-Zeitlupe auf einem Fernseher gesehen hatte, mit den ungläubigen Worten: “Was haben wir alles verbrochen?”

In dieser Aussage war die gesamte Verzweiflung und Ratlosigkeit des sieglosen Frühjahrs herauszuhören. Wöllinger hätte bei seinem Amtsantritt Anfang Jänner 2021 wohl kaum damit gerechnet, dass er für seinen ersten Sieg bis zum 3. April würde warten müssen. Doch der Liebe von Dario Tadic zum Aluminium in der josko ARENA - für den Stürmer war es der dritte Alu-Treffer beim zweiten Gastspiel in Ried - war es zu verdanken, dass der Fehlpfiff ohne Konsequenzen blieb.

Marco Grüll sorgte unmittelbar nach dem 0-2 für den Anschlusstreffer für die SV Ried. Der Salzburger, der kommende Saison für den SK Rapid auflaufen wird, hatte zuletzt mit grober Ladehemmung zu kämpfen. Beim 0-4 gegen den WAC versagten ihm bei einem Eins-gegen-Eins gegen Alexander Kofler die Nerven, beim OÖ-Derby gegen den LASK vergab er beim Stand von 0-0 einen Elfmeter. Viele Fans hatten auch schon vehement gefordert, den Pongauer in dieser Saison nicht mehr einzusetzen, da er mit dem Kopf schon in Hütteldorf sei. Seine beiden Tore gegen Hartberg waren daher auch ein persönliches Statement, wie er in der Pressekonferenz nach dem Spiel auch selber attestierte.

Das Glück aufseiten der SV Ried war in dieser Partie de facto zurückgekehrt. Denn Stefan Nutz hätte nach einem übermotivierten Einsteigen nach knapp 20 Minuten eigentlich die Gelb-Rote Karte sehen müssen. SR Heiss ließ Gnade vor Recht ergehen, wobei der falsche Elfmeterpfiff nur wenige Minuten vorher durchaus eine Rolle bei seiner Entscheidung gespielt haben könnte. Dieser Nicht-Ausschluss sorgte auch für hitzige Schreiduelle zwischen beiden Trainerbänken, welche Markus Schopp in der Pressekonferenz allerdings als “ganz normal” einstufte. Ergänzt wurden die Differenzen zwischen beiden Teams auch nach Spielende durch eine Meinungsverschiedenheit zwischen Heraf und Swete, nachdem der Hartberger Tormann dem Ried-Coach den Handschlag verweigert hatte.

Übertönt wurde dieser Zwist nach dem Schlusspfiff jedoch durch den tosenden Applaus und lauten Jubel auf der Rieder VIP-Tribüne, man hörte sprichwörtlich die Steine von den Herzen der Funktionäre fallen. Nach dem ersten Sieg im Frühjahr 2021 ist man im Innviertel hoffnungsvoll, dass nach bewegten Wochen und Monaten nun endlich die notwendige Ruhe einkehrt, welche man im Abstiegskampf benötigt um die Klasse halten zu können.

 

Kehrt nun endlich Ruhe ein?

Diese Ruhe im Verein war jahrzehntelang die große Stärke der Rieder, ging jedoch Mitte des letzten Jahrzehnts immer mehr verloren. Mit Kolvidsson, Gludovatz II, Benbennek, Chabbi, Weissenböck, Baumgartner, Muslic und jetzt Heraf waren seit dem Abgang von Oliver Glasner im Sommer 2015 zum LASK insgesamt acht verschiedene Cheftrainer im Amt, zusammen mit den Interimstrainern Sageder, Schiemer und Schweitzer eigentlich sogar elf. Man kann bei durchschnittlich zwei Cheftrainern pro Saison nicht wirklich von Kontinuität sprechen. Dieser Trend begann schon vor der Entlassung von Stefan Reiter im Frühjahr 2017, dessen Abgang allerdings ein zusätzliches Machtvakuum erzeugt hatte.

Ein selbst “verschuldetes” Problem in Ried ist nach den großen Erfolgen der Vergangenheit die große Diskrepanz zwischen Erwartungshaltung und Realität. Durch die Ligareform wurde nicht nur das Gefälle zwischen der Bundesliga und der 2. Liga immer größer, sondern auch zwischen den Teams in der Meistergruppe und den Teams in der Qualifikationsgruppe. Hier sind geographisch und strukturell vergleichbare Vereine wie Wolfsberg oder Hartberg während der dreijährigen Rieder Zweitklassigkeit finanziell und kadertechnisch massiv davongezogen.

Als Außenstehender bekommt durch den Konsum der oberösterreichischen Sportmedien und durch Gespräche mit Insidern auch den Eindruck, dass (zu) viele Personen die sportliche Richtung vorgeben wollen und bei sportlichen Entscheidungen mitbestimmen. Hier war beispielsweise vor dem OÖ-Derby gegen den LASK von einem SMS-Verkehr zwischen Vorstandsmitgliedern und dem Sportchef der 'OÖ Kronen Zeitung' zu lesen. Unmittelbar vor dem OÖ-Derby war es zumindest in der Außendarstellung auffällig, dass Finanzvorstand Roland Daxl sich im 'Sky'-Interview zur sportlichen Lage des Vereins äußerte und nicht etwa Geschäftsführer Rainer Wöllinger oder Sportkoordinator Wolfgang Fiala.

Wöllinger und Fiala haben in den kommenden Wochen und Monaten auch die schwierige Aufgabe, in der Außendarstellung zu beweisen, dass die sportlichen Entscheidungen von ihnen getroffen werden und nicht vom Vorstand aufoktroyiert werden. Sie haben zudem die viel schwierigere Aufgabe, dem Rieder Fußball eine neue Identität zu vermitteln. Diese Identität kann nur auf den Grundpfeilern der Rieder Fußballakademie gebaut werden, welche im letzten Jahrzehnt kaum Spieler für die Profimannschaft herausgebracht hat.

Streng genommen war Patrick Möschl vor knapp acht Jahren der letzte Rieder Akademiespieler, der den sportlichen Durchbruch in Ried geschafft hat. Die Einwechslung von Matthias Gragger (19) in der Schlussphase des Hartberg-Spiels war zumindest sowas wie ein Lebenszeichen bzw. Zeichen des Vertrauens in die Rieder Nachwuchsarbeit.

Nachdem im aufgeblähten 29-Mann-Kader der Rieder viele Verträge auslaufen und man laut eigener Aussage in der kommenden Saison mit zwei Dritteln des aktuellen Kaders nicht mehr plant, könnten demnächst neue Unruheherde rund um unzufriedene Spieler und Spielerberater entstehen. Die nächsten neun Spieltage (und eventuell sogar eine Relegation) werden daher zeigen, wie viel Ruhe nach dem ersten Sieg im Frühjahr wirklich eingekehrt ist. Langweilig wird es im Herzen des Innviertels mit Sicherheit nicht werden.

 

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