Amateurfußball: Rechtsunsicherheit als Totschlagargument

Die Corona-Pandemie hat den Fußball weiterhin fest im Griff. Wie es mit der Amateurfußball-Saison 2020/21 weiter geht, ist noch offen. Die Rechtsunsicherheit wird derzeit als Hauptargument für wenig mutige Entscheidungen genannt.

Wenn zumindet die Hinrunde absolviert wird, ist nunmehr vorgesehen, dass ein Aufstieg stattfindet, nicht aber ein Abstieg.

Martin Karollus, Professor für Unternehmensrecht an der Universität Linz

Die Option, die der KFV gemacht hat mit Prozenten, das ist eine Sache, die juristisch nicht so in den Bestimmungen steht.

Robert Sedlacek, WFV-Präsident

Dann kann man gleich eine Tombola machen. Es soll endlich wieder etwas sportlich entschieden werden.

Johann Gartner, NÖFV-Präsident

Wir müssen innovativ sein. Eine weitere abgebrochene Saison will keiner haben.

Thomas Hollerer, ÖFB-Generalsekretär

+ + 90minunten.at Exklusiv – Von Georg Sander + +

 

Grundsätzlich gibt es mittlerweile – Corona sei Dank - ein neues Regelwerk: Hat jeder gegen jeden zumindest einmal gespielt, kann der Landesverband einen Aufsteiger festlegen – einen Absteiger gibt es nicht. Den Rest dürfen sich – Föderalismus lässt grüßen – die Landesverbände selbst ausschnapsen. Zum Beispiel aktuelle Regelungen wie in Kärnten. Der Fußballverband KFV preschte jüngst vor, mit einer kreativen Lösung: Eine Wertung ist laut dem südlichsten Bundesland sogar möglich, wenn nicht einmal die Hinrunde fertig gespielt wird. Bei 'Krone.TV' sagt KFV-Präsident Klaus Mitterdorfer, im Brotberuf Jurist: „Die Meisterschaftsregeln des ÖFB geben folgende Szenarien her: Es obliegt den Länderverbänden, neue Regeln zu kreieren. Landesverbände sind selbstständig. Es gibt diese Empfehlung des ÖFB, dass jeder Verein einmal gegen jeden gespielt haben soll, dann gibt es einen Aufsteiger und keinen Absteiger. Es obliegt den Landesverbänden aber, abweichende Regeln zu beschließen. In Kärnten ist es so, dass, wenn mehr als 90 Prozent aller Herbstspiele von der Kärtner-Liga bis zu 2. Klasse absolviert wurden, dann im Frühjahr nicht mehr gespielt werden kann, es eine Wertung mit Auf- und Abstieg gibt. Das haben wir geändert: Es gibt Aufsteiger, weil es Aufsteiger gibt, aber keine Absteiger. Nach unserer Rechtslage ist eine Wertung vorzunehmen.“

In den anderen Verbänden wartet man noch zu. Entscheidend ist hierbei immer das Argument Rechtssicherheit. Gerade im Osten hatte man schlechte Erfahrungen gemacht. WFV-Präsident Robert Sedlacek erzählt gegenüber 90minuten.at, dass man verklagt wurde und nach mehreren Instanzen Recht bekam. Größere Änderungen hinsichtlich einer Wertung wären rechtlich nur dann eindeutig, wenn der ÖFB bzw. das Präsidium das in eindeutige Rechtsformen gießt. Diese Sicherheit, so auch Jurist Mitterdorfer, gebe es nicht.

Ganz eindeutig ist die Sachlage auch nicht für Martin Karollus, Professor für Unternehmensrecht an der Universität Linz. Er verfasste schon letztes Jahr ein Gutachten zur Fortführung bzw. Wertung der Meisterschaft. Damals gab es noch keine entsprechende Regelung, wie damit umgegangen werden soll, wie er gegenüber 90minuten.at erklärt: „Das Gutachten wurde auf der Basis der damals gelten Statuten verfasst und sieht für den von Ihnen beschriebenen Fall nichts Spezielles vor. Die Grundaussage war, dass nicht komplett fertig gespielte Bewerbe nicht gewertet werden und es daher auch keinen Auf- oder Abstieg gibt.“ Das ist nun anders.

 

Sicherheit nur bei halber Meisterschaft

Denn inzwischen gibt es eine Regelung „für den Fall, dass zumindest die Hinrunde absolviert wird (konkret jeder Verein zumindest einmal gegen jeden anderen gespielt hat), geändert (§ 13a Abs 2 ÖFB-MR gültig ab 30.07,2020). Diesfalls ist nunmehr vorgesehen, dass ein Aufstieg stattfindet, nicht aber ein Abstieg. Dies stellt eine Muss-Bestimmung dar. bei Erfüllung der genannten Voraussetzung hat der Aufstieg stattzufinden.“

Die Prozentregelung im Süden Österreichs ist derzeit keine Alternative für den Osten, wie 90minuten.at in Erfahrung gebracht hat. Das Kärntner Vorgehen wird von den Landesverbandspräsidenten in Wien und Niederösterreich nämlich kritisch gesehen. „Der Abbruch in Kärnten ist rechtlich bedenklich, das kann beeinsprucht werden“, sagt etwa NÖFV-Präsident Johann Gartner gegenüber 90minuten.at. „Wenn man im April noch kontaktlos trainieren kann, könnte man die fünf Wochen Vorbereitungszeit aber verkürzen.“ WFV-Boss Robert Sedlacek stößt in dasselbe Horn: „Kärnten hat die Lösung vor Beginn der Saison vom Vorstand beschließen lassen. Wir haben das nicht gemacht. Wir haben gesagt: Wenn die Meisterschaft abgebrochen wurde, beschließen wir aufgrund des § 13a, wie es weiter geht. Die Option, die der KFV gemacht hat mit Prozenten, das ist eine Sache, die juristisch nicht so in den Bestimmungen steht.“

 

Und die Ostliga?

In der Region Mitte gab es noch einen weiteren bemerkenswerten Fall. Nach der abgebrochenen ersten Corona-Saison zog sich der ATSV Wolfsberg zurück. Der zuständige Kärntner Verband tingelte die Klubs in der Landesliga ab, wurde beim Mittelfeldklub Spittal an der Drau fündig.

Um die mit 13 Klubs zu dünn besetzte Regionalliga Ost aufzufüllen, wäre das ein gangbarer Weg. Rechtsexperte Martin Karollus sieht hier die Landesverbände am Zug: „Da das Format mit 13 Vereinen ungewöhnlich ist und kein Dauerzustand sein sollte, wird sich wohl ohnedies kein Mitgliedsverein der RLO einem Aufstieg der drei Erstplatzierten aus den Landesverbänden widersetzen?“

Diese haben aber Angst vor Klagen. „Die paritätische Kommission will 16 Klubs. Aber man muss vorsichtig sein. Es gibt ein unterschriebenes Blatt, dass man auch bei Abbruch die Stadtliga werten will“, spielt Sedlacek auf die Stadtliga an, die mit der Vienna einen Klub entsenden könnte. Hintergrund: Die Döblinger sind finanziell so weit über dem Rest der Liga, dass wohl niemand einen Aufstieg realisieren wird können, so lange die Blau-Gelben in der Stadtliga mehr oder weniger festhängen: „ Der Vorstand nimmt das zur Kenntnis, muss aber feststellen, dass das gegen die Bestimmungen des ÖFB ist. Da steht klipp und klar: Nach einem Durchgang kann die Meisterschaft gewertet werden. Wir wollen nichts machen, was nicht erlaubt ist, sonst werden wir wieder geklagt.“

Kollege Gartner aus Niederösterreich, wo die Sachlage in der Landesliga ähnlich wie im Burgenland viel weniger klar ist hinsichtlich aufstiegswilliger Klubs meint, man könne dann „ gleich eine Tombola machen“, wer aufsteige oder nicht. Weiters meint er: „Wir wissen auch nicht einmal, ob es Absteiger aus der 2. Liga gibt. Einmal gibt es keine, dann wieder doch.“

 

Kein Absteiger? Das entscheidet das Präsidium

Kommt jetzt also auch noch die Bundesliga zum Zug, wenn es zur Frage eines möglichen Auffüllens der Ostliga bzw. einer Wertung der Landesligen gibt? Theoretisch gebe es zwei Absteiger aus der 2. Liga, da sich mit Stripfing (Niederösterreich) und Hertha Wels (Oberösterreich) nur zwei Klubs aus der dritten Leistungsstufe um eine Zulassung für die zweithöchste Spielklasse bemühen, die Sturm-Amateure könnten auch rauf – spielen aber wie die Welser in der RLM. Die Sachlage in der gegenwärtig auf 13 Klubs minimierten RLO wird dadurch nicht leichter. Mitten im Abstiegskampf sind derzeit mit Horn, Rapid II, Austria Wien II und dem FAC gleich vier Teams aus dem Osten. Steigen zwei ab, gebe es 15 Klubs.

Gartner hat mit seiner Aussage nur halb recht. Landen Wels/Sturm II bzw. Stripfing bei einer abgebrochenen Meisterschaft, aber mit 2. Liga-Zulassung, auf einem Aufstiegsplatz, denn entscheidet das ÖFB-Präsidium gemäß § 13a (4) über den Auf- bzw. Abstieg zwischen 2. und 3. Leistungsstufe, unabhängig von der Frage, wie die Regionalligen mit der abgebrochenen Saison umgehen. Im Präsidium sitzen wiederum die Landesverbandspräsidenten und Bundesliga-Vertreter.

 

Out of the box?

Just ÖFB-Generalsekretär Thomas Hollerer wagte sich mit einem für den Fußballbund ungewöhnlich mutigen Schritt an die Öffentlichkeit. Gegenüber der 'APA' gab er an, dass er sich eine Saisonverlängerung durchaus vorstellen könnte. „Wir müssen innovativ sein. Eine weitere abgebrochene Saison will keiner haben“, zeigt er sich offen gegenüber einem „Out-of-the-box“-Denken. Bedenken gegenüber Spielerverträgen, die ansich Ende Juni/Anfang Juli auslaufen, hegt er, aber: „Auch das wird sich machen lassen, um die Saison noch über die Bühne zu bringen.“

Diese Herangehensweise wird begrüßt. Schließlich meint auch NÖFV-Präsident Johann Gartner, dass eine „endlich wieder etwas sportlich entschieden werden soll.“ Kollege Sedlacek meint: „Wir können uns erst den Kopf zerbrechen, wenn der ÖFB das beschließt. Wenn der ÖFB das ermöglicht, muss jeder Landesverband die Folgen entscheiden.“

Ausgangspunkt aber, das ist komplett klar, sind ganz andere Rechtsinstrumente. Nämlich das, was die Politik in den nächsten Wochen angesichts der Pandemielage beschließen wird. Ob es dann eine gewünschte sportliche Wertung zumindest von einer Halbsaison und somit überhaupt Antworten auf Aufstiegsfragen gibt, ist vor allem im Osten wegen des Lockdowns bekanntlich mehr als fraglich.

 

Mutige Entscheidungen sind Mangelware

Was bleibt? Mutige Entscheidungen wie etwa in Kärnten von den Verantwortlichen aus der Ostregion waren 2020 schon Mangelware und sind es offensichtlich auch 2021. Zwar gab es vor einigen Monaten ein klares Bekenntnis, die eigentlicvh untragbare 13er-Situation in der Regionalliga Ost so schnell wie möglich zu beheben. Dennoch - und das zeigt das Beispiel der unterschriebenen Erklärungen aus der Wiener Stadtliga, um zunindest der Vienna den Aufstieg zu ermöglichen - wird diese Möglichkeit nicht wahrgenommen. Man hat den Eindruck, doch lieber noch eine Saison mit einer 13er-Liga zu spielen, als sich aus der Komfortzone zu bewegen und eine andere Lösung zu finden. So bleibt derzeit einzig die Hoffnung, dass die Liga doch noch irgendwie mit der Hinrunde "fertig" gespielt werden kann.

 

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