Der Start und das „Gamble“ mit den Standardsituationen
Ein Telefonanruf im Urlaub brachte 90minuten.at-Taktik-Experte Momo Akhondi zum FCM Traiskirchen. Sein Steckenpferd: Die Gegneranalyse. Das ist in der Ostliga gar nicht so leicht, wie er im ersten Teil der Serie "Mein Jahr in der Regionalliga Ost" erzählt.
Mein Jahr in der Regionalliga Ost - Teil 1, Teil 2, Teil 3
Von Momo Akhondi
Am 13. August 2018 läutet während des Urlaubes in Griechenland mein Handy. Am Telefon: Oliver Lederer. Nach lediglich zwei gespielten Runden hat der FCM Profibox Traiskirchen beschlossen, sich vom bisherigen Trainer Robert Haas zu trennen. Zuvor haben Haas und der FCM nicht weniger als fünf Jahre zusammengearbeitet. Diese Zusammenarbeit endete jedoch nach Auftaktniederlagen im ÖFB-Samsung Cup gegen den SV Austria Klagenfurt und in der Regionalliga Ost gegen den FC Mauerwerk sowie einem Unentschieden gegen den FC Stadlau. Oliver Lederer ist der designierte Nachfolger, am Telefon fragt er mich ob ich ihn bei seiner Tätigkeit als Co-Trainer unterstützen möchte.
In der Vergangenheit durfte ich bereits einmal mit Lederer zusammenarbeiten. In den letzten Monaten seiner Tätigkeit beim FC Flyeralarm Admira habe ich ihn in der Gegneranalyse unterstützt und in Maria Enzersdorf durften wir, bei der großen Trainerfortbildung des ÖFB, gemeinsam zum Thema Positionsspiel vortragen. Wir haben seitdem auch mehrmals über eine mögliche Zusammenarbeit gesprochen und nun war es endlich soweit. Ich hatte meine Pflichtpraktika für meine Ausbildung zum Zahnarzt an der Universitätszahnklinik abgeschlossen und wollte endlich meinen Traum erfüllen und Assistenztrainer von Lederer werden.
Am Telefon sagte ich sofort zu, am 15. August kam ich am späten Abend wieder in Wien an. Am darauffolgenden Tag stand ich bereits erstmals gemeinsam mit Lederer am Platz. Mein erster Arbeitstag war gleichzeitig das Abschlusstraining vor der dritten Runde der Regionalliga Ost, in der wir auf den Wiener Sportclub treffen sollten.
Nachdem unsere Vorbereitungszeit extrem begrenzt war, mussten wir die Trainingsinhalte mit Bedacht wählen. Dementsprechend haben wir uns mit mehreren Aspekten unseres Spieles, sowie mit Stärken und Schwächen des Gegners auseinandergesetzt. Es sollte das längste Abschlusstraining der gesamten Saison werden und obwohl es sich um eine Ausnahmesituation handelte, mussten wir naturgemäß bei gewissen Aspekten der Spielvorbereitung Abstriche machen. Vor allem für die Standardsituationen schenkten wir den Spielern das Vertrauen und setzten auf die, in der Vorbereitung erarbeiteten, Inhalte und Varianten. Auch wenn dies im Nachhinein einen bitteren Nachgeschmack hat, dürfte es sich um Schicksal handeln, dass wir just im Spiel gegen den Sportclub durch einen gegnerischen Eckstoß in Rückstand gerieten. Das Spiel ging mit 1:2 verloren und in den darauffolgenden Wochen hatten wir umso mehr Zeit, um uns mit den Standardsituationen zu beschäftigen. Und das mit Erfolg, bis zur Rückrunde kassierten wir kein weiteres Tor nach einer Standardsituation mehr. Nach eigenen Standards gelangen uns im Laufe der Saison in 28 Spielen, 13 Tore.
Das Umfeld im Verein
Hat man sich die Interviews mit den Spielern des FCM Profibox Traiskirchen angeschaut, so wird der Verein stets mit einem bestimmten Wort beschrieben: „familiär“. Und es handelte sich hierbei nicht nur um eine leere Worthülse. Der gesamte Klub rund um Obmann Werner Trost strahlte ein hilfsbereites Gesicht aus. In den ersten Monaten meiner Tätigkeit war ich mit der Vorbereitung meiner – früher „Staatsprüfung“ genannten – SIP-6 (Summativ Integrative Prüfung) beschäftigt, welche am 26. September stattfand. Bis dahin musste ich neben der täglichen Arbeit im Verein auch jeden Tag in der Bibliothek schuften. Als ich die Prüfungen dann schlussendlich erfolgreich absolvieren konnte, freute sich der gesamte Verein mit mir. Dieses Gefühl der Wärme sollte mich die ganze Saison über begleiten.
Spieler, welche uns im Winter verließen, erzählten mir von den teilweise eklatanten Unterschieden zu anderen Vereinen. Vielen fiel erst im Nachhinein auf was sie am FCM Traiskirchen hatten. Von pünktlicher Auszahlung der Gehälter und Aufwandsentschädigungen, über die sportmedizinische Betreuung, bis hin zu den Trainingsbedingungen. Für einen Regionalligisten ist der FCM Traiskirchen sehr gut aufgestellt. Natürlich gab es dabei auch immer wieder Widrigkeiten, welche selten in den Händen der Verantwortlichen waren. So mussten wir in der Rückrunde öfter am Kunstrasen trainieren als uns lieb war, es bestand oft nicht die Möglichkeit am Hauptfeld zu trainieren. Vor dem letzten Spiel im Winter, dem vorgezogenen Rückspiel in Schwechat gegen den FC Mauerwerk, durften wir sogar die gesamte Woche das Hauptfeld nicht betreten. Aber Obmann Werner Trost war stets darum bemüht den Wünschen von Oliver Lederer und mir nachzukommen.
Auch nach empfindlichen Niederlagen blieb das Umfeld ruhig. Das Vertrauen in uns war im gesamten Verein spürbar.
Analysen in der Regionalliga
Als langjähriger Spielanalyst bei 90minuten.at (und spielverlagerung.de) ist die Taktikanalyse natürlich mein größtes Steckenpferd und sicher mit ein Grund dafür, dass Oliver Lederer mit mir zusammenarbeiten wollte. Umso schwieriger gestaltete sich die analytische Arbeit in der Regionalliga Ost. Es werden zwar alle Spiele von Schau TV (Kurier) gefilmt, es war für uns jedoch unmöglich an dieses Videomaterial zu gelangen. Lediglich am Dienstag waren die Höhepunkte der Freitagsspiele auf Schau TV abrufbar.
Rasch haben wir beschlossen unsere Heimspiele selber zu filmen, für die Aufnahme war ich alleinverantwortlich. Das größte Problem war es jedoch Videomaterial zum nächsten und übernächsten Gegner zu erhalten. Eine Zeit lang versuchten wir eine externe Firma damit zu beauftragen den kommenden Gegner zu filmen, doch die Qualität der Videoaufnahmen war stark schwankend. Das lag weniger an den beteiligten Personen, sondern an den Aufnahme-Möglichkeiten an manchen Sportplätzen. Es war oft der Fall, dass im Bildausschnitt nur zwei oder drei Spieler zu sehen waren. Im Vergleich zu den Aufnahmen, welche wir aus der Bundesliga gewohnt waren, war das Videomaterial in der Regionalliga Ost oftmals schlichtweg nicht verwendbar. Das erschwerte logischerweise die Gegneranalyse.
Dies war umso ärgerlicher, da wir mit der detaillierten Gegneranalyse einige Erfolge feiern konnten. Im Vorfeld des Spieles gegen den SV Leobendorf, war es uns möglich den Gegner vor Ort zu beobachten und eine Videoaufnahme zu erhalten, auf der alle 20 Feldspielern zu sehen sind. Basierend auf diesen Aufnahmen haben wir den Rechtsverteidiger des Gegner als Schwachstelle im Spielaufbau ausgemacht. Durch gezielte Manndeckung des linken Innenverteidigers haben wir es dabei geschafft, den Pass auf die rechte Seite zu erzwingen. Tatsächlich gelang uns durch dieses, im Vorfeld penibel geplante, Pressing der Führungstreffer zum 1:0. Am Ende sprang ein 2:1 Sieg gegen den, zu diesem Zeitpunkt, Tabellendritten heraus.
Animierte Grafik zu unserem Pressing gegen SV Leobendorf. Beim Abstoß sollte Fucik den kurzen Pass auf Tokgöz schließen und dadurch den Spielaufbau auf die rechte Seite und über Ekinci und Koppensteiner lenken. Kommt der Ball zu Ekinci wird er von unserem ballseitigen Achter angelaufen und Richtung Außenlinie gezwungen. Dort schnappt schließlich unsere Pressingfalle zu.
Für den Verein entstanden durch die externe Firma jedoch Kosten, welche schlussendlich wenig sinnvoll waren. Dementsprechend waren wir recht schnell gezwungen auf die Gegneranalyse zu verzichten.
In-Game Coaching als Lösung
Nachdem wir uns also oft nicht auf den kommenden Gegner vorbereiten konnten, war es umso wichtiger, die ersten Minuten des Spieles genau zu analysieren und im Laufe der ersten Halbzeit Adaptierungen vorzunehmen. Hierfür verbrachte ich oft die ersten Minuten des Spieles auf der Tribüne und beobachtete vor allem den Gegner und seine defensiven Abläufe. Die Fragen, die wir uns stellten, waren: Wo steht der Gegner besonders gut und kompakt? Wo gibt er Räume auf? Welche Räume können wir mit unserem Verhalten beim Gegner eröffnen?
Sehr oft spielte der Gegner gegen uns gänzlich anders als in der Vorwoche, viele Gegner überlegten sich ausgerechnet gegen Oliver Lederer neue Systeme und Pressingvarianten, weshalb wir oft gezwungen waren, unsere Formation und unser Aufbauverhalten in der ersten Halbzeit entsprechend anzupassen. Dabei wurden laute Zurufe ebenso oft verwendet, wie die allseits beliebten Zettelchen welche am Platz rumgereicht werden. Im Endeffekt ging es immer nur darum, die Information möglichst schnell und effizient an den Mann zu bringen.