Österreich auf einem Abstiegsplatz

Außer einem Klub, der sich explizit und aktiv gegen Diskriminierung hervortat, herrschen in Österreich hier ansonsten bis dato nur Absichtserklärungen vor. Man setzt auf Zeit und jeder auf die anderen. International hinkt man damit weit hinterher.

Von Jürgen Pucher und Michael Pelitz

 

In Österreich wird Mitte April zum "Aktionswochenende gegen Homophobie im Fußball” aufgerufen. Angesichts der Zaghaftigkeit bei derartigen Kundgebungen in der Vergangenheit, wollen diesmal schon im Vorfeld Plattformen wie "Fußballfans gegen Homophobie Österreich" zum Mitmachen aufrufen. Seitens der Vereine blieben Statements diesbezüglich bisher Mangelware. Aus Angst vor der Reaktion organisierter Fangruppierungen, aus Desinteresse oder vielleicht schlicht und ergreifend deshalb, weil vereinsinterne Interessenskonflikte vorherrschen? Besonders Fanfraktionen der Wiener Großklubs zeichneten sich in der jüngsten Vergangenheit durch verbale und auch verschriftlichte Verfehlungen aus, von anderswo gab es keine klare Positionierung nach außen und der Strafsenat der Bundesliga verzichtet bislang auf Sanktionen.

Das Thema Homophobie in den Stadien wurde aber rund um die letzten Vorfälle auch medial breit diskutiert und es scheint sich ein Konsens zu etablieren, dass etwas getan werden sollte. Jetzt aber wirklich. Die Bemühungen dazu stecken hierzulande allerdings maximal noch in den Kinderschuhen, vor allem im internationalen Vergleich. Was sagen die Verantwortlichen der beiden Klubs mit dem größten Fanzuspruch in Österreich und die Bundesliga zur Thematik? Was ist an Aktionen jenseits brav vorgetragener Antidiskriminierungssprüche vor Anpfiff in nächster Zukunft geplant? Und wie sieht die Situation anderswo in Europa aus?

Der SK Rapid lehnt selbstverständlich homophobe Äußerungen oder auch Anspielungen ab. Dies tun wir nicht nur im Sinne unseres Leitbilds und aufgrund unserer gesellschaftlichen Verpflichtung, sondern auch für unsere Anhänger und Mitglieder, die selbst homosexuell sind und sich durch solche Sprüche diskriminiert fühlen oder auch nur fühlen könnten.“

Peter Klinglmüller

Hass erzeugt in England starke Gegenbewegung

Kaum ein Land der Welt kann über größere Tragödien, aber auch heroischere Erfolge im Fußball berichten, als England. So ist es nicht verwunderlich, dass auch die Geschichte des grenzenlos begabten Justin Fashanu in England zur Erzählung kam. Eine Geschichte die die übelsten Seiten des Fußballgeschäfts zum Vorschein brachte. Im Jahr 1990 outete sich Fashanu öffentlich als homosexuell. Es folgte eine jahrelange Hetzjagd der Fans, Manager, (Mit)Spieler und der Presse. Er flüchtete in die Vereinigten Staaten, arbeitete dort als Jugendtrainer und wurde schließlich im März 1998 von einem 17-jährigen der Vergewaltigung beschuldigt. Immer wieder beteuerte er seine Unschuld. Wenige Wochen darauf erhängte sich Fashanu in einer Garage in London. Im September 1998 veröffentlichte die BBC seinen Abschiedsbrief: „Wenn irgendjemand diese Notiz findet, bin ich hoffentlich nicht mehr da. Schwul und eine Person des öffentlichen Lebens zu sein, ist hart. Ich will sagen, dass ich den Jungen nicht vergewaltigt habe. Er hatte bereitwillig Sex mit mir, doch am nächsten Tag verlangte er Geld. Als ich nein sagte, sagte er: ‚Warte nur ab!‘ Wenn das so ist, höre ich euch sagen, warum bin ich dann weggerannt? Nun, nicht immer ist die Justiz gerecht. Ich fühlte, dass ich wegen meiner Homosexualität kein faires Verfahren bekommen würde. Ihr wisst, wie das ist, wenn man in Panik gerät. Bevor ich meinen Freunden und meiner Familie weiteres Unglück zufüge, will ich lieber sterben.“

Besonders in England, in dem Land in dem über viele Jahre hinweg die Hooligan-Szene mehr Aufsehen erregte als die Erfolge der englischen Teams und raue Sitten auf den Fußballplätzen keine Seltenheit sind, stößt die Akzeptanz von Homosexualität auf gesellschaftliche Grenzen. Gerade deswegen zeigen sich diverse Organisationen wie Stonewall – die größte LGBT-Organisation Großbritanniens – bemüht, in Zusammenarbeit mit der Football Association und den Vereinen wichtige Aufklärungsarbeit zu leisten. Aktionen wie die “Rainbow Laces”, also Regenbogenschuhbänder, soll nicht nur der LGBT-Gemeinschaft zu mehr Akzeptanz verhelfen, sondern lesbische, schwule, bisexuelle oder transgender Sportlerinnen und Sportler unterstützen. Die Aktion wird nicht nur von zahlreichen Premier-League Stars, sondern auch vom ersten geouteten Profischiedsrichter der englischen Liga, Ryan Atkin, tatkräftig unterstützt.

 

Abseits dessen, erstreckt sich die Rainbow Laces-Kampagne weit über die Grenzen des Fußballs hinaus und wird mittlerweile vom britischen Olympiateam, den Radrennsportlern, sowie diversen britischen Rugbyverbänden unterstützt. West Ham United hat im Zuge dieser Kampagne, aber auch zur aktiven Unterstützung des LGBT-Fanclubs “Pride of Irons” ihre Heimstätte, das London Stadium, in den Regenbogenfarben erleuchten lassen. Manchester United hat im Mai vergangenen Jahres einen Rainbow Laces Summit beheimatet und zahlreiche Klubs lassen ihre Spieler mit Football vs. Homophobia-Shirts aufwärmen und zeigen so schon vor Spielbeginn dem Thema Homophobie die Rote Karte. Und Stonewall vermeldete, dass die Kampagne ihren Beitrag leistet: Im Jahr 2017 verringerte sich zum Beispiel die Toleranz für Homophobie unter 18-35-Jährigen Sportfans um acht Prozent.

Aber auch im sozio-medialen Raum und verbreitet über viele mittel- und westeuropäische Ligen werden vereinsseitig immer wieder Zeichen gesetzt die deren Positionierung deutlich machen. Und dass sich lediglich urbane Klubs hinsichtlich dieser Thematik in der Pflicht sehen, kann am baskischen Kleinverein SD Eibar, der sich seit drei Jahren in der spanischen La Liga beachtlich schlägt, gesehen werden. Neben klaren textlichen Botschaften hinsichtlich der Positionierung des Vereins das LGBT-Thema betreffend, wurde während der Kampagne auch das Vereinslogo in Regenbogenfarben getaucht.

 

Von Paderborn nach Bern

Ende 2016 hat der deutsche Verein SC Paderborn den Workshop "Gemeinsam für sexuelle und geschlechtliche Vielfalt - gegen Sexismus und Homophobie im Fußball" angeboten. Arminia Bielefeld lancierte unter anderem eine Plakataktion gegen Homophobie und schickte ihre Spieler mit Regenbogendressen ins Auswärtsspiel in Köln. Die 18. Konferenz der “Queer Football Fanclubs” in den Räumlichkeiten der Arena auf Schalke wurde seitens Schalke 04 nicht nur situativ unterstützt, auch Ex-Schalke Star Gerald Asamoah war zugegen und der Gelsenkirchener Bürgermeister hielt die Eröffnungsrede.

Während es in Österreich noch immer keinen einzigen LGBT-Fanklub gibt, wird die Liste in unserem Nachbarland Deutschland lang und länger. Auch die Schweiz hat seit rund 10 Jahren drei offizielle LGBT-Fanklubs, die im Umfeld der Vereine Young Boys Bern, dem FC Zürich und dem FC Basel entstanden sind. Aber auch abseits des 31 Mitglieder zählenden Netzwerks “Queer Football Fanclubs”, gibt es vor allem in Großbritannien eine breite Allianz von Fußballfans, die sich gegen homophobe Beleidigungen zur Wehr setzen. 2013 stiegen die Fans des Fußballklubs Brighton & Hove Albion auf die Barrikaden. Die südenglische Küstenstadt ist bekannt für seine breitgefächerte LGBT-Gemeinschaft und der ansässige Fußballverein wird deswegen immer wieder Ziel homophober Chants seitens der Auswärtsfans. Die Fans übergaben dem englischen Fußballverband FA eine detaillierte Liste an diffamierenden Chants wie "You're from a town full of gays and we hope you all die of Aids" und forderte den Verband auf aktiv zu werden.

Seit Gründung des ersten offiziellen LGBT-Fanklubs in England, den “Gay Gooners” (Arsenal) vor etwa fünf Jahren, gibt es derzeit ca. etwa 30 LGBT-Fanklubs, die teilweise sogar von den Vereinen selber ins Leben gerufen wurden. Aber die Fanbase ist zweigeteilt über die Installierung dieser Interessensgruppen seitens der Vereine. Aber nicht, weil sie dem Thema negativ gegenüberstehen, der allgemeine Tenor lautet: “Wir sind alle Fans dieses Vereins und jeder ist willkommen”. Die homophoben Kommentare und Bemerkungen zum Thema sind jedenfalls verschwindend gering.

International gibt es also einiges zu berichten, über Maßnahmen und Initiativen gegen Homophobie im Fußball. Vor allem festzuhalten ist, dass einige Vereine in Deutschland, England oder Spanien sowohl Fanklubs als auch Aktionen nicht nur mittragen, sondern aktiv forcieren und begleiten. Bei uns sieht das ein wenig anders aus. Schon 2014 hielt die Glanzparade auf Sturm12.at fest: “Während viele englische und deutsche Vereine und Fanclubs auf gezielte Aufklärungsinitiativen und Anti-Homophobie-Kampagnen setzen, steckt Österreich dahingehend noch in den Babyschuhen.” In England haben sich außerdem seit damals etwa 30 neue Fanklubs, die sich auf irgendeine Art zum Thema bekennen, konstituiert. Ein 90Minuten.at-Rundruf beim SK Rapid, in Graz bei Sturm und der Bundesliga zeigt aktuell in Österreich weiterhin ein großteils abwartendes Bild, begleitet von vielen Plänen und Absichtserklärungen.

Lobend erwähnt sei aber zunächst Admira Wacker. Die Südstädter haben als Reaktion auf homophobe Auswüchse in der Frühjahrsmeisterschaft, die von Rapidanhängern ausgingen, ein Antidiskriminierungsvideo verbreitet. „Kick homophobia out of football“, ließen die Spieler der Admira wissen. „Wir wollten uns nach den jüngsten Vorfällen ganz eindeutig gegen diese Entwicklung aussprechen. Es war uns sehr wichtig, mit diesem Video ein klares Statement gegen Homophobie und jede Form von Diskriminierung in Fußballstadien zu setzen“, heißt es von Seiten des Klubs gegenüber 90Minuten.at. Eine Einzelerscheinung in der Alpenrepublik. Von Bemühungen wie in einigen anderen europäischen Ländern, die direkt von einzelnen Vereinen ausgehen, ist sonst weit und breit kaum etwas zu sehen. 

In Österreich nur gemeinsam, nicht einsam

In Wien-Hütteldorf nachgefragt, distanziert man sich von Vereinsseite natürlich auch dort von diskriminierenden Aktionen auf den Tribünen. Pressechef Peter Klinglmüller erklärt: „Der SK Rapid lehnt selbstverständlich homophobe Äußerungen oder auch Anspielungen ab. Dies tun wir nicht nur im Sinne unseres Leitbilds und aufgrund unserer gesellschaftlichen Verpflichtung, sondern auch für unsere Anhänger und Mitglieder, die selbst homosexuell sind und sich durch solche Sprüche diskriminiert fühlen oder auch nur fühlen könnten.“ Man würde zudem seit jeher Initiativen gegen Rassismus, Diskriminierung und Homophobie unterstützen.

Beim SK Sturm, wo es seit geraumer Zeit keine homophoben Gesänge mehr zu hören gibt, lobt der Presseverantwortliche Alexander Fasching die eigenen Fans. Ein Selbstreinigungsprozess hätte stattgefunden und „unsere Fanklubs sind sehr erpicht darauf jeden Menschen als gleichwertig anzusehen, egal welchen Geschlechts, welcher Herkunft oder welcher sexuellen Orientierung. Wir sind froh, dass in der Nordkurve verantwortungsvolle Personen die Richtung vorgeben“, so Fasching. Man wäre mit den Fanklubs dazu auch laufend im Austausch.

 

Eigene Initiativen wie jene der Admira oder gar Entwicklungen wie auf internationale Ebene vorhanden, sind aber weder in Graz noch in Wien vorgesehen. Vielmehr setzt man auf die Liga und Organisationen wie FARE/fairplay, wo man dann gerne teilnimmt. Homophobe oder diskriminierende Aktionen unter Strafe zu stellen, lehnt man dies- und jenseits des Semmerings sowieso ab. Es bräuchte vielmehr eine breitere Sensibilisierung. „Es muss für die Menschen selbstverständlich werden, nicht so aufzutreten. Nicht nur als einzelner Verein, sondern auch vereinsübergreifend im gesamten Ligaverbund müssen wir Aktionen setzen, um Homophobie und Diskriminierungen aller Art aus dem Stadion zu verbannen“, erklärt Alexander Fasching.

In die gleiche Kerbe schlägt Peter Klinglmüller. Auch er nennt ein gemeinsames Vorgehen im Rahmen der Bundesliga als zielführend. Es brauche gemeinsame Aktionen oder Projekte der Verbände und Klubs, um die Bemühungen zu intensivieren. Zudem sei man ja bei Rapid nicht allein mit dem Problem. Es sei vielmehr ein „gesamtgesellschaftliches“, so der Rapid-Kommunikationsdirektor. „Viele denken vielleicht auch gar nicht daran, was sie von sich geben oder es ist ihnen nicht bewusst, dass gewisse Gesänge als homophob bewertet werden könnten. Und das ist kein Spezifikum bei uns, sondern wohl eine generelle Sache!“ Mit täglicher Fanarbeit könne man im Verein versuchen, das Bewusstsein zu schärfen. Nach außen solle man aber eben gemeinsam mit allen Klubs auftreten. So weit, so schön die Sätze aus den Pressestellen der beiden Vereine. Abseits von Lippenbekenntnissen ist von proaktivem Handeln wenig zu sehen. Im Alleingang schon gar nicht. Und bitte weiterhin keine Strafen. Das wäre kontraproduktiv. Für Wurfgegenstände und andere Formen physischer Attacken im Stadion akzeptiert man Sanktionen, für ein paar Flitzer auf der Wiese auch, für übelste verbale Gewalt sei das Zücken des Strafenkatalogs allerdings nicht zielführend. Verstehe das wer will.

Liga plant Maßnahmenkatalog

Bei der Liga haben die jüngsten homophoben Ungeheuerlichkeiten in der Frühjahrsmeisterschaft jedenfalls Aktivität ausgelöst. Von konkreten Aktionen ist man aber noch weit entfernt. Man arbeite gemeinsam mit dem ÖFB an einem Maßnahmenkatalog auf unterschiedlichsten Ebenen, einen konkreten zeitlichen Fahrplan gäbe es aber noch nicht, sagt Mathias Slezak von der Medienstelle der Österreichischen Bundesliga. Grob könne man mit sichtbaren Ergebnissen zu Beginn der kommenden Spielzeit rechnen, heißt es weiter, auch die Abstimmung mit der Politik und Initiativen werde gesucht. „Wir haben mit Fußballfans gegen Homophobie und Fairplay bereits gesprochen und wir orientieren uns auch an Best Practice-Beispielen auf internationaler Ebene“, so Slezak. Insbesondere im englischen Fußball gäbe es da einiges an Nachahmenswertem.

Auch in der Bundesliga unterstreicht man die Notwendigkeit für ein gemeinsames Vorgehen mit allen Klubs, um das wesentliche Ziel zu erreichen: eine Verhaltensänderung in den heimischen Stadien. Nichtsdestotrotz wird eine Vorreiterrolle durchaus nicht abgelehnt: „Die Aktion von der Admira mit ihrem Video ist natürlich zu begrüßen“, zeigt sich Mathias Slezak angetan von der Aktion der Südstädter. Dass sich alle anderen hinter der Überschrift „gemeinsam“ wegducken, ist also nichts Anderes als Passivität. Ein kooperatives Vorgehen unter dem Dach einer Ligainitiative und als einzelner Klub Flagge zu zeigen, würden sich keineswegs ausschließen.

Es gibt die Kurven, es gibt aber auch die anderen

Was Peter Klinglmüller und Alexander Fasching von Rapid und Sturm außerdem unerwähnt lassen: Es gibt die organisierte Fanszene, die man über aktive Fanarbeit – manche besser, manche schlechter – erreichen kann. Da ist aber außerdem eine große Zahl an Fans auf den anderen Tribünen der Stadien, die Homophobie und Diskriminierung unwidersprochen zur Kenntnis nehmen beziehungsweise vielleicht still oder leise, gegenüber dem Sitznachbarn oder beim Würstl essen im VIP-Klub, sogar gutheißen. Hier könnten gezielte Aktionen der jeweiligen Vereine vielleicht durchaus einen Paradigmenwechsel herbeiführen und ein anderes Bewusstsein im eigenen Stadion schaffen. Es würde vielleicht eine wirksame Ergänzung zu den breit angelegten Aktionen, wie zuletzt der Herbst-Kampagne von FARE/fairplay und dem geplanten Maßnahmenkatalog der Liga in der kommenden Saison, darstellen.

 

Themenschwerpunkt Homophobie im Fußball