Ein Tabu und falsche Ideale
Homophobie im Fußball ist weder eine österreichische Einzelerscheinung, noch eine Seltenheit. 90minuten.at auf den Spuren eines vieldiskutierten Phänomens.
Von Michael Graswald
„Der SK Rapid ist offen. Menschliche Vielfalt war und ist der Motor unseres Erfolgs. Deshalb, und aufgrund unserer sozialen Verantwortung für eine offene Gesellschaft, kann jeder Mensch, der das Wohl Rapids in den Vordergrund seines Denkens und Handelns stellt, Rapidler sein. Egal welchen Geschlechts, egal welcher Herkunft oder Schicht, und unabhängig von seiner Lebensweise.“ (Auszug aus dem Leitbild des SK Rapid)
Mit diesen Worten werden Neuzugänge mit der Tradition Rapids und den Eigenschaften, welche ein echter Rapidler mitbringen muss, vertraut gemacht. In 20 Sprachen wurde das „Leitbild“ mittlerweile übersetzt – jeder neue Legionär erhält ein Exemplar in seiner Muttersprache. Bei einem Teil des eigenen Anhangs scheinen diese Worte jedoch nur Phrasen zu sein. Wiederholt waren zuletzt bei Spielen der Hütteldorfer homophobe Gesänge und Sprechchöre zu hören – vornehmlich der „Grün-Weiße-Klassiker“ „Schwuler FAK“. Homophobe Äußerungen sind in Österreichs Stadien jedoch keine Seltenheit und ganz klar nicht nur auf Fans eines Vereins zu beschränken. Die Palette ist dabei groß. Sie reicht von dahingesagten Äußerungen (z.B. „schwuler Pass“), über Schmähgesänge bis hin zu Transparenten.
Es geht dabei in erster Linie gar nicht um die Sexualität. Viel mehr wird eine Hierarchie gebildet, die man dann dazu benutzt, um jemanden seine Männlichkeit abzusprechen.
Kein Phänomen der aktiven Fanszene
Der Wiener Sozialwissenschaftler Roman Horak verweist im 90minuten.at-Interview darauf, dass es sich dabei nicht nur um ein Problem der aktiven Fanszene handelt. „Das wäre mir zu einfach. Ich besuche häufig Stadien und auch auf den „besseren Plätzen“ hört man homophobe Äußerungen.“ Bis vor kurzem wurden homophobe Gesänge weitgehend toleriert und nicht in der öffentlichen Diskussion thematisiert. Traurig genug, dass Homophobie im Österreich des Jahres 2018 immer noch ein Thema ist, mit dem es sich auseinanderzusetzen gilt. Während in Deutschland im vergangenen Jahr die „Ehe für alle“ von der Politik beschlossen wurde, wird in Österreich über die Bedeutung des Wortes „Woamer“ diskutiert.
Doch wie homophob sind österreichische Kurven wirklich? Um diese Frage beantworten zu können, bedarf es einer differenzierten Herangehensweise an die sensible Thematik. Dieser Meinung ist auch Sebastian von den „Freunden und Freundinnen der Friedhofstribüne“, den aktiven Fans des Wiener Sportclubs. „Es gibt da ganz klare Unterschiede zwischen den großen Vereinen und Klubs wie dem WSC oder der Vienna“, erklärt er gegenüber 90minuten.at. Bereits im Jahr 2002 setzten die Sportclub-Fans unter dem Motto „Zeig Homophobie die rote Karte“ die erste Aktion im österreichischen Fußball um, um auf die Missstände aufmerksam zu machen. Bis das Thema von der breiten Öffentlichkeit diskutiert werden sollte, musste jedoch noch viel Zeit vergehen. „Bei der Vienna und dem Sportclub haben die Leute einfach schon seit den 90er Jahren einen anderen Zugang zum Fußball“, sagt Ines. Sie ist Mitglied in der Fanszene der Vienna und, ebenso wie Sebastian, aktiv im Verein „Fußballfans gegen Homophobie Österreich“. Dabei handelt es sich um einen Zweigverein des ursprünglichen „Fußballfans gegen Homophobie“ aus Deutschland, der von Fans von Tennis-Borussia Berlin gegründet wurde. „2012 hing bei uns auf der Friedhofstribüne erstmals in Österreich das Wandertransparent des deutschen Vereins“, erzählt Sebastian stolz. Seit drei Jahren gibt es nun den Ableger in Österreich.
„Wir verstehen uns einfach als Verein, der die Chance bietet sich untereinander auszutauschen“, erklärt Ines. Sie sehe die Hauptaufgabe von „Fußballfans gegen Homophobie Österreich“ vor allem darin, Fans eine Anlaufstelle zu bieten, an die sie sich wenden könnten. Doch so richtig geholfen, Homophobie aus den Stadien zu bekommen hat die Gründung des Vereins noch nicht, das bestätigen auch Ines und Sebastian. „Österreich hinkt hier gewaltig hinterher“, sagt Ines. „In Deutschland ist Homophobie in den Stadien ein sehr großes Thema, in Österreich leider nicht“, pflichtet ihr Sebastian bei.
Falsche Ideale
Sucht man nach den Gründen für Homophobie im Fußball, wird häufig das Männlichkeitsideal als Grund genannt. Ganz so leicht macht es sich Paul Scheibelhofer, Geschlechts- und Männlichkeitsforscher am Institut für Erziehungswissenschaft der Uni Innsbruck, im Gespräch mit 90minuten.at. aber nicht. „Es geht dabei in erster Linie gar nicht um die Sexualität. Viel mehr wird eine Hierarchie gebildet, die man dann dazu benutzt, um jemanden seine Männlichkeit abzusprechen. Das erkennt man besonders daran, dass auch Frauen im Stadion homophobe Gesänge mitsingen. Sie haben erkannt, dass man die ‚Ressource Homophobie‘ dazu benutzen kann, um Männer herabzusetzen“, erklärt der Wissenschaftler. Für seinen Wiener Kollegen Horak stellt der Fußball eine ganz besondere Beziehung her: „Man kann hier von einem Ort-Zeit-Verhältnis sprechen. Im Stadion kann ich für zwei Stunden den gesellschaftlichen Regeln ein Stück weit entfliehen. Hier versuchen Männer das überholte Männlichkeitsbild von früher noch einmal aufleben zu lassen.“
Tabuthema homosexuelle Spieler
Wenn man über Homophobie im Fußball schreibt, muss man natürlich auch über homosexuelle Spieler sprechen. Was im „Männerfußball“ als unmöglich gilt, ist bei den Frauen längst kein Thema mehr. Dort sind homosexuelle Spielerinnen voll akzeptiert, müssen nicht Angst haben vor Ausgrenzung und Beleidigungen. Die ehemalige deutsche Nationaltorhüterin und Weltfußballerin des Jahres 2013, Nadine Angerer, kam sogar zur Weltfußballer-Gala mit ihrer Lebensgefährtin. Bei ihren männlichen Kollegen wäre das undenkbar. Mit Thomas Hitzelsperger outete sich ein ehemaliger deutscher Teamspieler nach dem Ende seiner aktiven Karriere. Seitdem wurde er zur Gallionsfigur im Kampf gegen Homophobie im Fußball.
Auch in Österreich bekannte sich zuletzt ein Spieler öffentlich zu seiner Homosexualität. Die Geschichte von Oliver Egger vom FC Gratkorn wurde vom ORF in der Dokumentation „Der Tag wird kommen…“ thematisiert. Egger machte, wie er in der Doku sagt, nach seinem Outing keine negativen Erfahrungen. Nur ist Gratkorn eben weit weg von der großen Bundesliga-Bühne. „Besonders auffällig für mich ist diese Abgrenzung, mit der man im Fußball dem Thema Homosexualität begegnet“, sagt Ines. Viele würden zwar sagen, sie hätten Verständnis wenn ein Mitspieler homosexuell wäre, aber nie ohne den Zusatz „ich bin es aber nicht“.
Auch für Männlichkeitsforscher Scheibelhofer ein typisches Verhalten: „Wir nennen so etwas in der Forschung ‚Männerbünde‘. Sie sind geprägt von großer Solidarität und Kameradschaft. Diese Männer, die gemeinsam etwas Großes vollbringen, werden aber immer mit der Angst konfrontiert, dass es zu emotionaler Nähe oder gar Erotik kommen könnte.“ In der Welt des Fußballs gilt „schwul“ als das ultimative Schimpfwort. Trotzdem dürfe man, so Ines, auch die Gruppendynamik nicht unterschätzen. Für Roman Horak ist noch ein Aspekt entscheidend: „Wenn man ehrlich ist muss man sagen, dass wir Männer dumm sind. Männer wählen beispielsweise häufiger rechte Parteien als Frauen. Weil eben diese Parteien vom alten Männlichkeitsbild predigen. Leider sind viele so stupide und glauben das.“
Hilflose Vereins- und Bundesligavertreter
Und genau solche Sprechchöre waren jetzt seit dem Frühjahrsstart der österreichischen Bundesliga wieder zu hören, die medialen Reaktionen darauf sind aber neu. Auslöser der Homophobie-Diskussion war das Match Rapid gegen Austria am 04. Februar. Abgesehen von den wechselseitigen (homophoben) Beleidigungen, folgen wiederholt Gegenstände aus dem „Block West“ in Richtung der Austrianer. Auserkorenes Ziel: Austria-Kapitän Raphael Holzhauser. Als dieser von einem Wurfgeschoss getroffen wurde, zeigte er eine Wunde an der linken Schulter. Holzhauser alleine war es zu verdanken, dass nach dieser Aktion das Spiel nicht abgebrochen und mit einem Sieg für die Austria gewertet wurde.
Das wiederum nahmen Rapid-Anhänger zum Anlass, um beim nächsten Bundesligamatch in der Südstadt ein Transparent zu zeigen mit der Aufschrift: „Dem Woamen platzt a Wimmerl auf und ihr machts an Skandal daraus!“. Bei den obligatorischen Interviews nach Spielende waren die Verantwortlichen der „Grün-Weißen“ mit den Fragen bezüglich des Spruchbands überfordert. Geschäftsführer Sport Fredy Bickel war zudem neu, dass mit dem Wort „Woamer“ auf Homosexuelle angespielt wird. Eine Distanzierung des Vereins erfolgte später über Twitter.
„Ich bilde mir ein, dass solche Vorfälle nicht sehr häufig vorkommen. Ich denke auch, dass es vor zehn, fünfzehn Jahren noch deutlich schlimmer war“, sagt Sky-Journalist Thomas Trukesitz. Er gibt aber auch zu, dass in der Berichterstattung häufig untergehen würde, was auf den Rängen gesungen oder hochgehalten werde. Und trotzdem war es Trukesitz in der Sendung „Talk und Tore“ vom 18. Februar, der dafür gesorgt hat, dass sich in einer Diskussionsrunde, bei der auch Bundesliga-Vorstand Christian Ebenbauer und sein Vorgänger Georg Pangl zu Gast waren, mit Homophobie im Stadion auseinander gesetzt wurde. „Mir liegt dieses Thema einfach am Herzen aber ich denke, dass es nicht sensibel genug behandelt wird“, sagt Trukesitz, „das ist auch die Aufgabe von uns Journalisten hier den Finger in die Wunde zu legen.“
Besonders als die Gäste schnell wieder vom Thema „Homophobie“ abkamen und sich dem, bei vielen Funktionären beliebteren Thema „Pyrotechnik“ zuwandten, schritt Moderator Trukesitz ein und stellte die Frage in den Raum: „Ist Homophobie im Stadion nicht viel schlimmer als Pyrotechnik?“ Eine wirkliche Antwort auf seine Frage bekam er nicht. „Mir ging es mit dieser Frage keineswegs darum irgendjemanden an den Pranger zu stellen aber im Jahr 2018 sollte schon der Mut da sein um solch eine Frage zu stellen“, erklärt der Sky-Journalist. Und Trukesitz scheint Recht zu haben, denn jetzt passiert etwas, das in den Jahren zuvor nicht passiert ist. Die großen Medien des Landes steigen in die Diskussion mit ein. Egal ob „Krone“, „Standard“ oder „Kurier“, überall ist ein Artikel über das unangebrachte Transparent der Rapid-Fans oder die homophoben Gesänge der Austria-Fans (ebenfalls in der Südstadt) erschienen.
Anders als die Journalisten scheinen Funktionäre, sowohl von Vereins- als auch Bundesligaseite, mit der Situation noch zum Teil überfordert zu sein. „Es hat halt keine besonders gute Wirkung, wenn man dann zum Beispiel von Rapid-Verantwortlichen hört, dass die Austria-Fans auch homophobe Sachen singen würden“, sagt Trukesitz. Der Verein „Fußballfans gegen Homophobie Österreich“ hatte seinerseits gleich nach den Vorkommnissen beim Wiener Derby ein Statement verfasst. Auch dieses wurde von vielen Medien aufgegriffen. „Ich glaube, es war das erste Mal, dass ein Statement von uns so viel Gehör fand“, sagt Ines. Für Thomas Trukesitz zeugt dieses Verhalten der Medien davon, dass sich der Sportjournalismus in den vergangenen Jahren „irrsinnig gut entwickelt hat“. Vor allem Online-Medien hätten hier einen großen Anteil aber auch „die neue, junge Journalisten-Generation“. Diese wäre, laut Trukesitz, bereits mit einem ganz anderen Gesellschaftsbild aufgewachsen.
Strafen wären kontraproduktiv
Trotz des veränderten Gesellschaftsbildes sind homophobe Äußerungen in Fußballstadien allgegenwärtig. „Bisher wurden solche Dinge überhört, endlich wird reagiert“, freut sich WSC-Fan Sebastian. Doch viel tun kann die Bundesliga laut Vorstand Ebenbauer nicht. Eine Strafe werde es für das Transparent der Rapid-Fans nicht geben. Die Frage sei auch, wie das überhaupt ins Stadion gelangen konnte, erklärte Ebenbauer in „Talk und Tore“ auf Sky. Die Vertreter aus den aktiven Fanszenen, Ines und Sebastian, sprechen sich ebenfalls klar gegen Kollektivstrafen aus. „Die Kurve kann solche Probleme nur von innen heraus lösen“, sagt Sebastian. Ines ergänzt: „Große Ultras-Gruppierungen lassen sich nicht gerne bevormunden. Es muss einfach die Sensibilisierung und das Bewusstsein gesteigert werden um solche Äußerungen künftig zu vermeiden.“
Anderswo ist man hingegen nicht so zimperlich wenn es darum geht Strafen zu verhängen. Als Fans von Bayern München beim Champions-League-Achtelfinale 2014 gegen Arsenal London ein Plakat mit der Aufschrift „Gay Gunners“ präsentierten, wurde der Verein nachträglich von der UEFA mit einer Blocksperre belegt. Eine solche bekam auch Rapid für die Derby-Ausschreitungen auferlegt. Nicht jedoch wegen homophober Äußerungen, sondern wegen der Wurfgeschosse. „Das ist sicher ein heikles Thema. Ich würde mich freuen, wenn sich die Fan-Kultur in Österreich dahingehend ändern würde, dass wir nicht mehr die gegnerischen Spieler oder die Schiedsrichter beleidigen, sondern die eigene Mannschaft unterstützen“, sagt Thomas Trukesitz.
Genau das ist es, was laut Ines und Sebastian der größte Unterschied zwischen ihren Klubs und den großen Bundesliga-Vereinen ist. „Bei uns wird niemand beleidigt oder diskriminiert“, sagt Ines. Für Roman Horak hingegen ist eine Änderung der Fan-Kultur nicht wünschenswert. „Ich möchte um Gottes Willen nicht, dass Fußball zu einem reinen Familien-Event verkommt, so wie es mit Basketball oder Football in den USA passiert. Ich möchte eigentlich schon das Stadion als besonderen Ort, an dem die Korrektheit auch einmal ausgesetzt wird, erhalten. Aber, und das sage ich auch ganz klar, alles was homophob, rassistisch oder frauenfeindlich ist, hat in unserer Gesellschaft nichts verloren.“
Der langwierige Prozess, der nötig sein wird um Homophobie aus den Stadien zu verbannen, hat gerade erst begonnen. Auch bei rassistischen Sprechchören hat es einige Zeit gedauert. Heute gehören diese in Österreich der Vergangenheit an. Damit der Kampf gegen Homophobie erfolgreich ist, benötigt es einen Dialog auf Augenhöhe. Zudem wird es, laut Paul Scheibelhofer wichtig sein, bereits im Jugendbereich den falschen Männlichkeitsbildern entgegenzuwirken. „Bei Workshops mit Buben fällt mir oft auf, dass diese zwar nicht wissen was ‚Homosexuell‘ bedeutet, aber sie wissen, dass ‚schwul sein‘ schlecht ist. Das müssen wir aus den Köpfen bekommen.“ Die Austria ereilte bei ihrem Admira-Auswärtsmatch eine ganz andere Form der Bestrafung. Während die mitgereisten Fans „Schwuler SCR“ skandierten, fingen sich die Veilchen ein Gegentor. Und das ist, zumindest für echte Fans, immer noch die schlimmste Strafe.