Cluster-Gefahr: Kein organisiertes Training für Elite-Schiedsrichter [Exklusiv]
Wegen der Corona-Pandemie müssen die Elite-Schiedsrichter derzeit auf das gemeinsame Stützpunkttraining verzichten. Der ÖFB argumentiert damit, einen Cluster mit allen Mitteln verhindern zu wollen.
Die körperliche Verfassung der Schiedsrichter und Assistenten befindet sich auf einem sehr guten Niveau und dies war auch bei den vergangenen Lockdowns der Fall, im Rahmen derer dieselben bzw. ähnliche Maßnahmen getroffen wurden.
Zu den bisher genannten kommt Punkten kommt noch die absolute Priorität, einen „Schiedsrichter-Cluster“ mit allen Mitteln zu vermeiden und damit den Spielbetrieb der Bundesliga bis zur Winterpause zu gewährleisten.
++ 90minuten.at Exklusiv von Michael Fiala ++
Die Herbstsaison in der Bundesliga nähert sich dem Ende: Zwei Runden stehen noch auf dem Programm, bevor die Klubs, Trainer, Spieler, Funktionäre aber auch die Schiedsrichter in die Winterpause gehen. Durch die Corona-Pandemie haben ja bekanntlich die Geisterspiele ein Comeback gefeiert – ein Rückschlag für all die Bemühungen, die Fans bei Laune zu halten.
Aber auch für die Schiedsrichter bringt dieser Lockdown erhebliche Änderungen mit sich. Denn wie 90minuten.at in Erfahrung bringen konnte, hat das Eliteschiedsrichter-Komitee am 22. November allen Elite-Schiedsrichtern mitgeteilt, dass das gemeinsame Stützpunkttraining bis zum Ende des Jahres ausgesetzt wird. Begründet wird dies in der Mitteilung, die 90minuten.at vorliegt, damit, um „Gesundheit größtmöglich zu gewährleisten“.
Training rechtlich gesehen möglich
Das gemeinsame Stützpunkttraining findet normalerweise zwei Mal pro Woche statt und soll den Schiedsrichtern professionelle Trainingsbedingungen ermöglichen – schließlich stehen diese auch Woche für Woche im Rampenlicht und soll bestmöglich vorbereitet sein. Während die breite Masse derzeit aufgrund des Lockdowns komplett auf organisierten Sport verzichten muss, ist es dem Profibereich weiterhin möglich, auch das Training – eine Möglichkeit, die auch von Wien bis Bregenz überall wahrgenommen wird. Rein rechtlich wäre auch ein Training für die Elite-Schiedsrichter jedenfalls zu argumentieren.
Doch warum hat sich das Schiedsrichter-Komitee dennoch dafür ausgesprochen, das Training vorläufig abzusagen? Gegenüber 90minuten.at heißt es dazu von Seiten des ÖFB: „Das Eliteschiedsrichter-Komitee hat nach eingehender Abwägung aller Argumente die Entscheidung getroffen, aufgrund des Lockdowns das gemeinsame Stützpunkttraining um knapp drei Wochen zu verkürzen und stattdessen auf Individualtrainings (min. 3x/Woche) unter der Trainingsanleitung der regionalen Stützpunkttrainer umzustellen.“ Davor habe es bereits es entsprechende Anfragen von Schiedsrichtern nach einer Aussetzung des Trainings gegeben – wiewohl einige Kollegen das Stützpunkttraining gerne fortgeführt hätten.
Eingeschränkte Nutzung möglich
Der ÖFB verweist zudem darauf, dass die Benützung der Trainingsstätten teilweise nicht oder nur stark eingeschränkt möglich sei, was die Entscheidung auch beeinflusst habe. Außerdem: „Einige Kollegen haben Anfahrten von bis zu einer Stunde bzw. müssen sogar Landesgrenzen überschreiten - und haben gleichzeitig regional die Möglichkeit, ihr Individualtraining professionell abzuwickeln. Nachdem sehr viele Schiedsrichter in ihrem Beruf auf Homeoffice umstellen mussten, wäre es auch den Dienstgebern gegenüber schwer zu argumentieren, dass sie zum Trainingsstützpunkt anreisen und so ein größeres Infektionsrisiko in Kauf nehmen, als in dieser Ausnahmesituation notwendig wäre.“
Die Nutzung von Sanitärräumen würde ebenfalls ein zusätzliches Risiko mit sich bringen und gleichzeitig wäre es kaum zumutbar, „Athleten bei winterlichen Bedingungen ungeduscht und verschwitzt bis zu einer Stunde mit dem Auto zu ihrer Wohnstätte zurücklegen zu lassen.“
Individuelles Training
Der ÖFB setzt also im Lockdown auf individuelles Training. „Das Individualtraining wird von den Stützpunkttrainern professionell abgewickelt und vom National Fitness Instruktor anhand der POLAR Pulsuhraufzeichnungen überprüft und dementsprechend individuell gesteuert. Das ist sportwissenschaftlich sehr wertvoll, und in einem Gruppentraining nicht immer möglich“, argumentiert der ÖFB.
Die körperliche Verfassung der Schiedsrichter und Assistenten befinde sich laut der ÖFB-Antwort „auf einem sehr guten Niveau und dies war auch bei den vergangenen Lockdowns der Fall, im Rahmen derer dieselben bzw. ähnliche Maßnahmen getroffen wurden.“ Dies habe die körperliche Verfassung nicht verschlechtert, was die mehrmals im Jahr durchgeführten Fitnesstests klar gezeigt haben.
Fast alle sind geimpft
Dabei hätte die Gruppe der Elite-Schiedsrichter allerbeste Voraussetzungen, was die potenzielle Immunität betrifft. Wie 90minuten.at recherchiert hat, ist die Impfquote in dieser Gruppe extrem hoch. „Es ist korrekt, dass im Eliteschiedsrichter-Bereich eine 2G-Quote von nahezu 100% und eine Impfquote von weit über 90% vorliegt, das zeigt auch den professionellen Umgang mit diesem sensiblen Thema“, bestätigt auch der ÖFB.
Ob alle Schiedsrichter im Rahmen des individuellen Trainings auch gleich motiviert sind, bezweifeln einige Schiedsrichter unter vorgehaltener Hand gegenüber 90minuten.at. „Die Annahme, dass die angebotenen regionalen Trainingsmöglichkeiten nicht auf professionellem Niveau stattfinden, ist nicht nachvollziehbar und schlicht unrichtig“, kontert der ÖFB und ergänzt: „Wir befinden uns in einer Situation, in der in vielen Bereichen keine klaren Schwarz-Weiß-Entscheidung getroffen werden können. Es wurde auf Basis vielfältiger Faktoren einstimmig eine verantwortungsvolle Regelung festgelegt. Diesen Entscheidungsprozess hat man sich nicht leicht gemacht.“
Keine Wahlmöglichkeit – Cluster vermeiden
Für Verwunderung hat aber auch gesorgt, dass es keine Wahlmöglichkeit gebe. Nicht jeder Schiedsrichter findet zu Hause optimale Voraussetzung für ein individuelles Training vor. „Diese Möglichkeit ist natürlich ebenfalls diskutiert, aber aufgrund der teilweise nicht bzw. nur eingeschränkt zugänglichen Trainingsstätten nicht umgesetzt worden“, heißt es vom ÖFB. Zu den bisher genannten Punkten komme aus Sicht des ÖFB noch die absolute Priorität, „einen ‚Schiedsrichter-Cluster‘ mit allen Mitteln zu vermeiden und damit den Spielbetrieb der Bundesliga bis zur Winterpause zu gewährleisten.“
Die Verantwortlichen räumen gegenüber 90minuten.at aber auch ein, dass die Dichte an Teilnehmern bei den Stützpunkten höchst unterschiedlich sei. „Im Osten ist der mit Abstand größte Stützpunkt - im Vergleich zu Vorarlberg oder Kärnten, wo natürlich die Gefahr einer Clusterbildung nicht so groß gewesen wäre. Es wurde aber eine einheitliche Regelung für ganz Österreich angestrebt.“
Quo vadis Stützpunkt-Training
Der ÖFB hat sich also nach Abwägung aller Faktoren für eine komplette Einstellung des Stützpunkttrainings entschieden. Eine Lösung, die für einen überschaubaren Zeitraum vermutlich auch gut vertretbar ist, weil ein Corona-Schiedsrichter-Cluster hätte wohl zu massiver Kritik geführt.
Apropos Stützpunkttraining: Österreich ist eines der ganz wenigen Länder in Europa, wo es diese Form des gemeinsamen Trainings überhaupt noch gibt. Bei den meisten europäischen Verbänden trainieren die Schiedsrichter individuell, natürlich professionell begleitet durch den Verband. Dies ermöglicht größtmögliche Flexibilität. Nicht wenige rot-weiß-rote Schiedsrichter würden diese Form auch für Österreich begrüßen – lange Anfahrzeiten von zum Teil 1,5 Stunden pro Fahrt und fixe Trainingszeiten würden dann wegfallen. Doch das ist eine andere Geschichte …
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