Zoran Barisic: ‚Ein Flipchart spielt nicht Fußball'
Zoran Barisic im Interview mit 90minuten.at über Meistergedanken, warum er eine defensive Variante gegen Red Bull Salzburg wählte, es erst seit zwei Jahren eine echte Philosophie bei Rapid gibt und wie er mit Steffen Hofmann umgeht, der „nicht mehr im bes
Ein Interview am Heurigenbankl neben dem Würstlstand beim Happel-Stadion – ungefähr das ist der SK Rapid Wien gerade. Nicht, dass es zu einem Gespräch mit Zoran Barisic, dem ehemaligen Wiener Edelkicker, nicht passen würde. Aber es ist schon ein bisschen sinnbildlich für den Traditionsklub aus Wien-Hütteldorf. Er ist unfertig. Vermutlich, weil das alte Betriebssystem erst vor zwei Jahren durch ein neues Operating System ersetzt wurde. Aber so was dauert eben, meint Barisic. Das Gespräch beginnt.
90minuten.at: Mit dem Unentschieden gegen die Admira ist es jetzt wohl klar, dass es mit dem Titel auch mit viel Glück nichts mehr wird. Grollen Sie dem Schiedsrichterteam wegen des Abseitstors?
Zoran Barisic: Das Abseitstor ist bedauerlich, aber wir hatten genügend Chancen, um das Spiel für uns zu entscheiden.
Haben Sie sich eigentlich damals im Vorfeld des Spiels gegen Red Bull Salzburg Chancen auf den Titel ausgerechnet?
(überlegt) Nein, das haben wir nicht. Wir müssen uns einmal auf unsere Leistung konzentrieren und unsere Spiele gewinnen. Wäre es gegen Ende hin knapper geworden, hätte man sich damit auseinander setzen können.
Aber eben nicht in der 27. Runde?
Es ist schön, dass es die Möglichkeit überhaupt gab, den Rückstand zu verkürzen. Das hatte sich nach dem Saisonbeginn niemand erwartet. Wir wollen in einen europäischen Bewerb und wollen Zweiter werden.
Ist das auch mit ein Grund, dass Sie diese sehr defensive Variante vom 2:1 in Salzburg mit den drei zentral-defensiven Spielern auch beim Spiel gegen Salzburg im Happel-Stadion gewählt haben?
Die Stärken von Red Bull Salzburg – Balleroberung, innerhalb von zehn Sekunden zum Abschluss, 90 Minuten lang – sind bekannt. Sie sind sehr zentrumslastig, das wollten wir so auffangen. Das ist uns aber nicht gelungen, weil wir im Aufbauspiel Fehler gemacht haben, die vermeidbar waren. Beim zweiten und dritten Tor konnten wir das Kombinationsspiel – Pass in die Tiefe, Abpraller zum Dritten – nicht unterbinden. Nach dem 0:1 war es dann schon so, dass du nachdenkst, schockiert bist und wir haben lange gebraucht, um uns zu fangen.
Die Qualität einer Mannschaft misst sich auch an Spielen, die man ranzig gewinnt oder wie in dem Fall gegen Salzburg noch einen Punkt holt. Gegen die Admira war es nicht mehr der Fall. Bei wie viel Prozent von Ihrem Ideal sehen Sie Ihre Mannschaft?
Das ist vor allem prozentuell schwer einzuschätzen. Ich weiß aber, dass in dieser Mannschaft noch sehr viel drinnen steckt, wenn das Team ungefähr so zusammen bleibt. Mit der Entwicklung bis jetzt bin ich durchaus zufrieden, vor allem, was unsere Spielanlage betrifft. Es ist klar zu erkennen, was wir wollen. Wegen der „dreckigen" Siege: In Ried haben wir 1:0 gewonnen, den einen oder anderen Konter zwar nicht fertig gespielt, aber eben hinten nichts zugelassen. Wie in der ersten Halbzeit gegen Red Bull oder auswärts beim WAC konnten wir uns auf die Umstände aber nicht gut genug einstellen. Es gibt also noch Dinge, an denen wir arbeiten müssen.
Im Vergleich zur vergangenen Saison sind fünf Stammspieler gegangen. Mit wie vielen Abgängen rechnen Sie dieses Jahr?
Das ist möglich, wenn das passiert, sind wir aber gerüstet, weil wir unsere Hausaufgaben gemacht haben. Darum bin ich zuversichtlich, dass wir uns nicht mehr wie zu Beginn dieser Saison in so einer Disbalance befinden. Das war einfach sehr schwer, weil wir das Team erst nach dem Saisonbeginn beisammen gehabt haben. Bis die Integration abgeschlossen ist, bis sich die Spieler ans Training angepasst haben, dauert es halt. Zudem haben sich alle viel erwartet; aber es sind eben fünf Stammkräfte gegangen, das ist nicht leicht. Nun müssen wir einfach so da stehen, dass wir mögliche Abgänge sofort ersetzen können.
Ballbesitzfokus, Flügelspiel, eher tiefer gestaffelte Abwehr – zieht sich das mittlerweile bis zum Nachwuchs runter? Haben Sie das jetzt vorgegeben?
Seit zwei Jahren haben wir eine klare, an den Verein angepasste Spielphilosophie. Das zieht sich von oben bis zur U13 durch und jeder muss sich daran halten, was der Verein will. Mit Willi Schuldes haben wir einen neuen Nachwuchsdirektor bekommen, der darauf achtet, dass das alles so passiert. So gibt es eine klare Struktur. Die gibt es aber erst seit zwei Jahren, davor hat es eigentlich keine Philosophie gegeben. Bis das funktioniert, wie wir wollen, dauert es aber Jahre.
Haben Sie das gemeinsam mit Carsten Jancker und Helmut Schulte ausgearbeitet?
Von meinem Trainerteam und mir, Schulte war mit dabei.
Wie vermitteln Sie die taktischen Vorstellungen? Taktiktafel, Videos oder ausschließlich Spielformen?
Das Wichtigste ist, was auf dem Platz passiert. Ein Flipchart spielt nicht Fußball, auch die Videoanalyse nicht. Man kann viele Dinge besprechen und verbessern, aber im Endeffekt ist die Praxis wichtig. Die Trainingsarbeit muss so konzipiert werden, dass du es im Spiel auch umsetzen kannst. Videoanalyse und Taktiktafel gehören aber auch dazu.
Gibt es da auch eine pädagogische Linie? Darf dann auch nicht jeder Peitschenknaller im Nachwuchs Trainer werden?
Wir im Trainerteam müssen eine Gemeinschaft sein, jeder Coach muss sich dem Ziel unterordnen, dass die Nachwuchsspieler für die Kampfmannschaft des SK Rapid Wien in Frage kommen. Da muss man zusammenarbeiten und kommunizieren, wenn man Spieler hochzieht oder, wenn die Form sie verlässt, wieder zurückholt. Da geht es ums Fußballerische und ums Persönliche.
Wenn sich beispielsweise der U17-Trainer einfallen lässt, antiquierte Trainingsmethoden und sehr streng vorzugehen, würde man sich trennen?
Das ist klar und darüber brauchen wir nicht diskutieren. Darum ist die Auswahl der Nachwuchstrainer auch sehr wichtig, dass er sich dem SK Rapid unterordnet. Nur Ergebnisse und nur Tabellen sind da nicht das Wichtigste.
Da ist im Nachwuchs eines Klubs einer großen Stadt, wo viele Kinder mit Migrationshintergrund Kicker werden wollen, auch soziale Kompetenz gefragt...
Auf jeden Fall. Aber Kindern und Jugendlichen kann man irrsinnig viel beibringen, sie lernen schnell; es ist eine der schönsten Aufgaben im Fußball.
Wenn heutzutage in Österreich Trainer bestellt werden, wird immer in „jung, modern" und „alt, autoritär" eingeteilt. Teilen Sie diese Zweiteilung? Auch hinsichtlich der Kicker, Stichwort „Generation Smartphone", die ganz anders sein soll als früher.
Es war immer schon so, auch als ich Spieler war, dass es diese beiden Trainertypen gab. Das ist heute auch noch so. Aber ich glaube, dass die Anforderungen an die Trainer heute schon viel höher sind als damals. Der Fußball hat sich irrsinnig weiter entwickelt. Nicht nur technisch-taktisch, sondern auch allgemein im physischen Bereich und letztlich schon auch in der Psychologie. Menschenführung ist ganz wichtig. Und so wie die Zeiten heute sind, so ist auch der Fußball. Alles ist extrem. Größer, kleiner, schneller, langsamer. Da musst du dich als Trainer an diese Zeit anpassen.
Entscheidend, gerade in Österreich, ist der Übergang vom Talente- in den Stammspielerstatus. Ein Louis Schaub oder ein Dominik Starkl wirken so, als ob sie schon einmal weiter waren.
Das bereitet mir immer wieder Magen- und Kopfschmerzen. Ich habe immer wieder Spieler, die unzufrieden sind, weil Sie nicht im Kader sind, zu wenig Spielzeit bekommen oder ausgetauscht werden. Das ist für mich ein schwieriges Thema. Wenn aber Spieler wie Prosenik, Kuen, Starkl oder Schimpelsberger bei der zweiten Mannschaft spielen, haben sie das Gefühl, dass ihnen auf die Beine geschaut wird. Sie sollen wissen, dass sie bei einer guten Leistung in der Woche drauf in der Startelf der Kampfmannschaft stehen. Das wissen meine Spieler. Sie wissen aber auch, dass mir diese Entscheidungen nicht leicht fallen.
Steffen Hofmann – eine schwierige Personalie, auch im Zusammenhang mit dem Einbau junger Spieler? Er bewegt ja doch viel, kommuniziert viel mit dem Schiedsrichter, holt, wohl aufgrund seiner Körpergröße, auch immer wieder Freistöße raus ...
Das ist eigentlich alles sehr positiv. Steff ist eine Rapid-Legende und sehr g'scheit und charakterlich top – genau deshalb ist er wichtig für unsere Mannschaft. Wir kommunizieren viel, besprechen uns oft. Natürlich wissen wir, dass er nicht im besten Fußballeralter ist. Aber er ist ehrgeizig, kann nie verlieren, nicht einmal im Trainingsmatch.
Diese Einstellung verlangt aber auch Reife. Trotzdem, wie auch gegen die Admira, spielt die Mannschaft mit ihm nach wie vor besser. Sehen Sie das auch so?
Das kommt auch immer auf das Spiel, den Gegner und seine Fitness drauf an. Es gibt Spiele, da kommt er in der 60. Minute rein und gibt dem Team einen sehr positiven Input. Es gibt aber auch Spiele, wo er beginnt und das ist wichtig für die Mentalität der Mannschaft. Es gibt aber auch so „Kampfspiele", die sind dann nicht so grad seine Spiele, da geht er unter, wird „g'haut". Man muss immer schauen, wo er seine Fähigkeiten komplett ausschöpfen kann und wo weniger. Verstellt er aber den Weg? Nein, wir wollen einen natürlichen Prozess.
Haben Sie gemeinsam mit ihm einen Plan über den Herbst seiner Karriere gemacht?
Der Verein wird schon schauen, dass wir ihn auch weiter hin langfristig binden, aber im sportlichen Bereich gibt es keinen konkreten Plan. Wir wollen, dass er hundert Prozent fit ist, sodass wir ihn einsetzen können.
Zurück zum Sportlichen: Rapid ist stark aus der Winterpause gekommen. Haben Sie etwas verändert?
Nein, weil wir in der zweiten Vorbereitungsphase unverändert zusammen waren und ich wusste, dass wir im Frühjahr besser sein werden als im Herbst. Ich weiß, was in solchen Phasen drinnen ist und ich war überzeugt, dass wir da stark raus kommen.
Wenn Sie taktisch umstellen, wie weit im Voraus beginnen Sie an so etwas zu arbeiten?
Mit dem 4-5-1 haben wir in den Länderspielpausen im Herbst begonnen zu arbeiten und im Winter fortgesetzt. In Freundschaftsspielen haben wir – auch gegen stärkere Gegner – probiert. Da komme ich wieder zur Flipchart zurück. Denn es geht um Automatismen und ums Verstehen des Verlangten sowie darum, die mentalen Fähigkeiten der Spieler auszureizen.
Zuerst Plan A und dann Varianten – das ist Ihr Konzept?
Wir haben unsere Philosophie und es ist wichtig, dass die Neuen das verstehen und wissen, worum es auf welcher Position geht. Das ist die Grundstruktur. In weiterer Folge ist es wichtig, neue Reize zu setzen, ein neues System auszuprobieren, um flexibler zu werden. Im Endeffekt ist es ja schon so, dass die Gegner unser Spiel kennen. Darum wird gegen uns auf Konter gespielt, mit hohen Bällen und mit Standards sowie einer gewissen Härte. Das müssen neue Spieler erst inhalieren.
Wie arbeitet ihr Videoanalyst? Ist der heute schon beim übernächsten Gegner?
Mit dem Stefan Oesen haben wir einen Videoanalysten, der sehr eng mit dem Stab zusammen arbeitet. Er bereitet das Spiel nach und in den nächsten Tagen geht es schon um die Spielvorbereitung. Es ist aber so, dass wir (denkt lange nach) nicht immer auf den Gegner vorbereiten. In erster Linie ist es wichtig zu wissen, dass man bei Rapid spielt und das eigene Spiel das Wichtigste ist. Es ist schon sehr wichtig, den Gegner zu analysieren, aber trotzdem liegt der Fokus immer auf unserer Stärke.
Rapid bereitet sich nicht gezielt auf den Gegner vor?
Es ist nicht Gegner-abhängig. Wir brechen den Rhythmus. Wenn es immer gleich läuft, dann wird es irgendwann fad. Wir wollen uns durch unser Spiel von den anderen abheben und unser Spiel unbedingt verbessern.
Red Bull, Ried oder Wiener Neustadt – also drei sehr unterschiedliche Defensivkonzepte – sind egal?
Natürlich wollen wir uns nach dem Trend richten und wir kennen die Eigenarten der Gegner. Aber die Spieler wissen das, man spielt letztlich vier Mal gegeneinander. Vier Mal die gleiche Analyse wird fad.
Noch einmal: Konkrete Vorbereitung auf Red Bull, dann auf Ried und Admira nicht explizit und auf Sturm, weil es ein wichtiges Spiel ist, noch einmal konkret? Kann man sich das so vorstellen?
Wir konzipieren unsere Trainingseinheiten so, dass wir trainieren, was wir beim nächsten Spiel brauchen. Es gibt Phasen in der Meisterschaft, in denen unsere Mannschaft sehr gut funktioniert, da achten wir drauf, wie wir unser Spiel noch einmal verbessern können.
Weil, wie Sie vorher sagten, die Gegner Rapid kennen?
Sagen wir es so: Die Gegner wissen, wie wir spielen wollen. Aber ausrechenbar sind wir nicht, weil in unserem Kader viele qualitativ hochwertige Spieler sind, deren Qualitäten aber anders aussehen. So kann man den Gegner mit der Aufstellung überraschen.
Danke für das Gespräch!