Manfred Schmid: 'Die Austria hätte den Weg, den wir eingeschlagen haben, einfach weitergehen müssen'
Stöger-Assistent Manfred Schmid hat die Gegneranalyse zu seinem Steckenpferd gemacht. Ein Gespräch über einstudierte Spielzüge, einschläfernde Videoanalysen, sein Strategieduell mit Thomas Tuchel und warum die Austria die eingeschlagene Spielphilosophie e
90minuten.at: Sie sind Co-Trainer, aber kein klassischer Hütchen-Aufsteller. Was machen Sie genau?
Manfred Schmid: Ich habe ein großes Aufgabengebiet. Mit dem Peter (Stöger, Anm.) teile ich mir das gut auf. Wir kennen uns schon sehr lange und wir vertrauen uns. Er lässt mich sehr viel selbstständig machen. Ich versuche taktische Elemente einzufügen, taktische Besprechung, Videoanalyse, Passtechnik, eigentlich alles, was man im Fußball machen kann. Und je nachdem was den Gegner betrifft versuchen wir gemeinsam eine Strategie zu entwickeln.
Das heißt: die Aufbereitung der Strategieentwicklung ist an Sie delegiert?
Ich habe diesen Part schon bei der Austria übernommen. Es hat mich schon immer interessiert, was eigentlich der große Unterschied zwischen österreichischem und internationalem Fußball ist. Ich wollte das analysieren und Gründe dafür finden, warum es bei uns nicht so läuft. Ich dachte: wir haben die gleichen körperlichen Voraussetzungen in Österreich um guten Fußball zu spielen. Es muss also Unterschiede in der Taktik geben und bei der Trainingssteuerung. Ich habe mich dann der Videoanalyse verschrieben, weil ich denke, dass das ein sehr wichtiger Part ist, um erfolgreich Fußball zu spielen. Ich habe mich damit sehr viel beschäftigt, vor allem mit dem internationalen Fußball. Und irgendwann habe ich versucht, das auf unsere Mannschaft umzulegen. Der Peter hat mich dabei irrsinnig unterstützt und gemeinsam haben wir Analysen erstellt. Er vertraut mir in diesem Bereich, es ist aber alles mit ihm abgestimmt. Wir versuchen unser Spiel auch weiterzuentwickeln, nicht stur ein System durchzuziehen. Wir haben heuer mit Köln schon vier, fünf verschiedene Systeme gespielt. Entscheidend ist für uns: Wir wollen, dass jeder Spieler genau Bescheid weiß – über den Gegner und über seine Aufgaben auf seiner Position.
Wie geht das so schnell, mit einer neuen Mannschaft gleich vier oder fünf Systeme zu spielen?
Es geht natürlich Schritt für Schritt. Entscheidend ist nicht das System, sondern, dass die Spieler genau wissen, was sie auf ihrer Position zu machen haben, wie sie sich zu verhalten haben, bei Ballgewinn, bei Ballverlust, welche Laufwege wir gehen. Die Spieler haben Freiheiten, aber es gibt Situationen, wo jeder genau weiß was zu tun ist. Ob sie sich fallen lassen, ob sie attackieren müssen, ob sie Räume öffnen muss. Da sind die Laufwege abgestimmt und das System ist dabei nicht so entscheidend.
< blockquote> Wie die Mannschaft reagiert, entscheidet sie je nach Situation oder gibt es da Zeichen von draussen? < blockquote> Gibt es anfangs auch Gegenwind der Spieler gegen zu viel Videoanalyse? < blockquote> In Österreich spielten die Aufsteiger der letzten Jahre immer vorne mit. Liegt das an einer nicht ausreichenden Gegneranalyse? < blockquote> Jürgen Klopp sagte einmal, dass er den Fußball als Spieler weniger beeinflussen konnte, als jetzt als Trainer. Wie war das bei Ihnen? < blockquote> Ist es ein Problem, dass einige Vereine in Österreich mit einem Trainer oft auch die Spielphilosophie wechseln?
Von außen kannst du recht wenig eingreifen im Spiel. Du kannst ein paar kleine Dinge verändern, aber grundsätzlich muss alles was im Spiel passiert schon vorher einstudiert sein, damit die Mannschaft genau weiß, wie sie zu reagieren hat.
Wo würde Köln heuer stehen, wenn diese akribische Analyse nicht stattfinden würde?
Ich denke, dass es um einiges schwieriger wäre. Meine Erfahrung zeigt mir, dass die Spieler sehr viel damit anfangen können. Es geht dabei auch nicht um ein stundenlanges Anschauen von Spielen, sondern es wird ein zehn- bis fünfzehnminütiges Video mit Schwerpunkten gezeigt. Damit die Mannschaft weiß, wo wir Überzahl schaffen wollen, in welche Räume wir spielen, wo der Gegner Stärken und Schwächen hat. Die Spieler merken dann im Spiel auch: Eigentlich haben die zwei schon recht mit dem was sie uns erzählen. Das ist auch wichtig für einen Trainer, wenn du solche Dinge in der Analyse vermittelst, dass das eine oder andere auch funktioniert. Dann hast du das Vertrauen der Spieler. Du hast dann sofort die Fragen: Trainer, wann schauen wir Video? Die Spieler verlangen das.
Grundsätzlich schon. Das kommt aber daher, da Analysen, die sie schon mitbekommen haben, verschieden sein können. Man kann Spieler mit Informationen auch überladen. In meiner Anfangszeit habe ich den Spielern jede Kleinigkeit gesagt. Es ist wichtig, dass man das kurz hält. Und wenn die Spieler merken, dass sie damit Erfolg haben können, dann kommen sie ganz von alleine. Das größte Problem haben Spieler dann – und da kann ich mich noch an meine Videoanalysen als Spieler erinnern – wenn die Videokassette herunterläuft, kein Mensch sagt was und du sitzt da als Spieler und schläfst fast ein. Da wird es schwierig für einen Spieler, denn wenn er so etwas schon erlebt hat, kommt zuerst auch Gegenwind von ihm. Aber die neue Generation an Fußballern ist hundertprozentig so, dass sie das haben wollen und es auch fordern. Heute wird das kompakt und anschaulich zusammengeschnitten, sodass es Spass macht zuzuschauen.
Wie ist Ihre Erfahrung: Setzen alle Mannschaften schon auf akribische Gegneranalyse oder kann man sich damit noch einen entscheidenden Vorteil verschaffen?
Es sollte schon jede Mannschaft machen. Wir machen es relativ intensiv.
Man merkt es als Trainer an der Linie wahrscheinlich schon: Weiß der Gegner was wir tun oder weiß er es nicht, oder?
Das eine oder andere Mal stehen wir schon und haben das Gefühl: die wissen gar nicht, wo wir unsere Schwächen haben. Dann gibt es wieder Mannschaften, die unsere Schwächen erkannt haben. Aber ich bin hundertprozentig davon überzeugt, dass man sich mit genauer Analyse einen Vorteil herausholen kann.
Natürlich. Wir hatten das Problem mit den Aufsteigern im letzten Jahr nicht. Wir haben gegen die Kleinen fast alle Punkte gemacht. Wir haben sie sehr genau analysiert. Natürlich werden das andere Mannschaften auch genau machen. Aber es kann schon ein Grund sein, wenn man eine Mannschaft vielleicht weniger genau kennt. Aber dieses Problem hätten wir ja heuer mit Köln auch gehabt, auch wenn wir die 2. Deutsche Liga immer mitverfolgt haben. Es sind viele neue Mannschaften, viele neue Spieler. Aber es geht da gar nicht um Mannschaften und Namen. Was ich im Videomaterial sehe, haben die Mannschaften immer dieselben Probleme, dieselben Schwächen und Stärken und die gilt es zu analysieren. Was länger dauert ist, dass man die Stärken und Schwächen der einzelnen Spieler kennt. Das wussten wir in Österreich schon genau. Die Aufgabe hier war neu aber interessant: du lernst wieder neue Systeme kennen und andere Spielarten. Viele Mannschaften sind sehr defensiv in Köln gestanden. Davon hatten wir manches in Österreich noch nicht gesehen. Aber da musst du dann wieder neue Ideen einfließen lassen. Aber dadurch entwickelt man sich als Trainerteam auch weiter. Grundsätzlich geht es immer darum, wie man Räume öffnet. Du brauchst immer irgendwo einen Platz, wo du reinspielen, vielleicht Überzahl schaffen kannst. Das Wichtigste sind die Laufwege der Spieler ohne Ball, nicht wohin der Spieler mit dem Ball läuft. Für den Zuschauer oder den Fan sind diese Laufwege nicht so auffällig, aber für die Mannschaft ist das enorm wichtig.
Woher kommt ihr Faible für die Gegneranalyse?
Mich hat gestört, dass der österreichische Fußball so belächelt wird. Ich dachte mir: Warum kann die Austria Wien nicht wieder Meister werden? Ich habe viele internationale Spiele geschaut und darauf geachtet, wie bauen die ein Spiel auf, wie öffnen die Räume, welche Laufwege gibt es, wie kann ich defensive Mannschaften knacken? Ich habe mir diese Spiele alle aufgenommen und immer wenn ich Zeit hatte, habe ich mir das angeschaut. Was macht der rechte Verteidiger von Barcelona, von Dortmund. Einige haben gesagt: Das sind halt super Spieler. Da habe ich dann immer Streitgespräche gehabt. Weil der Spieler in Österreich läuft vielleicht nicht so schnell, vielleicht ist er technisch nicht so gut, aber der kann diesen Laufweg genau so machen. Und in Österreich – vielleicht auf einem anderen Niveau – bringt dir das einen Vorteil. Wir sind dann alle Positionen durchgegangen, ich habe mir Videos zusammengeschnitten und dann haben wir versucht den Spielern das mitzugeben. Ballmitnahme zum Beispiel: wie nimmt sich ein Spieler bei Dortmund den Ball mit? Da habe ich große Unterschiede gesehen.
Sie sitzen viel vor dem Fernseher, oder?
In Österreich hat es viele schlaflose Nächte gegeben, wo ich viel Zeit investiert habe und bis zwei, drei, vier Uhr in der Früh gesessen bin, weil es mich einfach interessiert hat. Ich wollte das haben, ich wollte das wissen, ich war da von Ehrgeiz getrieben. Das ist der Peter auch. Wir setzen uns Ziele, wir wollen was erreichen.
Sie haben einmal erzählt, dass Sie gleich nach Ihrer aktiven Karriere die Austria trainieren wollten. Sie sagten aber auch: „Das wäre ein Fehler gewesen." Warum?
Gott sei Dank durfte ich in der Akademie mit einer U15-Mannschaft anfangen. Ich habe dort eine solide Basis gefunden, konnte viel ausprobieren. Ich habe dort Dinge probiert, die niemandem aufgefallen sind, weil ich gute Spieler hatte. Ich habe dort 15 Spieler gehabt und ich konnte keinen wegschicken. Also musste ich versuchen die Spieler besser zu machen. So lernst du, dich mit den Spielern zu beschäftigen und sie zu entwickeln. Da habe ich irrsinnig viel gelernt und ich bin dankbar dafür.
Du kannst als Spieler schon einiges bewegen. Aber ich bin auch der Überzeugung, dass man jetzt als Trainer sicher viel mehr draus machen kann. Du kannst viel beeinflussen. Man muss auch dazu sagen: Ich war nicht der große Führungsspieler, aber schon einer, der im Zentrum viel gesteuert hat, mit viel Übersicht, da lernst du auch taktisch sehr viel. Aber als Trainer kannst du schon mehr bewegen.
Eigentlich wollten Sie nie Co-Trainer werden, sondern Eigenverantwortung haben. Bei der Austria hätten sie es nach dem Abgang von Peter Stöger gerne versucht. Warum wurde daraus nichts?
Der Peter hat mich informiert, dass er nach Köln gehen kann und mich gerne dabei haben würde. Er hat mir dann Zeit gelassen mich zu entscheiden, wofür ich ihm auch sehr dankbar bin. Ich hatte das Gefühl: die Austria hat sich weiterentwickelt, man könnte diesen Weg weiter führen. Ich habe das mit dem Peter gemeinsam gestaltet und ich wollte dort weitermachen. Ich habe der Austria vorgeschlagen: Ich mache als Cheftrainer weiter, als Co-Trainer nicht mehr. Als Assistent nur mit dem Peter Stöger, weil ich in ihm einen loyalen Partner habe, der mir voll vertraut. Es war natürlich für den Verein eine schwierige Situation nach einem erfolgreichen Jahr, einen Trainer zu installieren, der unter Anführungszeichen wenig Bundesligaerfahrung als Cheftrainer hat. Es wurde mir signalisiert, dass sie mich unbedingt halten wollen und meine Arbeit sehr schätzen, aber sie wollen mich nicht verheizen. Was immer das heißen mag. Ich war der Meinung, dass der Zeitpunkt für diesen Schritt gekommen war. Eine Enttäuschung war natürlich da, aber ich habe diese Entscheidung akzeptiert, weil es die Verantwortlichen auch nicht immer einfach haben.
Thomas Parits meinte, er wollte einen Trainer mit Erfahrung haben. Nenad Bjelica hatte ein Jahr Bundesligaerfahrung.
Ich glaube an der Erfahrung kann es nicht liegen. Ich habe fast 300 Bundesliga-Spiele für Austria Wien gemacht, habe viele Spieler als Trainer mitausgebildet, war bei den Amateuren tätig, kenne den Verein in- und auswendig. Kenne jede Person im Verein. Ich weiß nicht, ob ein Jahr Bundesligaerfahrung mehr ist als fünf Jahre in der eigenen Akademie.
Davon bin ich überzeugt. Es ist wichtig, dass man einen guten Kader zusammenstellt und dafür muss man sich grundsätzlich überlegen, welchen Fußball man spielen möchte. Bei Austria Wien wird das ein offensiver, kreativer Offensivfußball sein. Dann kann ich überlegen: Welche Spieler brauche ich dafür? Man muss da mit den Trainern ausführliche Gespräche führen: Wie wollen sie spielen, welche Philosophie haben sie, passen sie zum Verein? Es kostet dem Verein irrsinnig viel Geld jedes Mal den Kader auszuwechseln, wenn es wieder eine neue Vorstellung von einem Spielsystem gibt. Für mich ist es wichtig, dass sich der Trainer an den Verein anpasst. Dieser Fehler wird in Österreich sehr oft gemacht. Wir haben mit der Austria einen sehr positiven Weg eingeschlagen – und diesen Weg hätte man einfach weitergehen müssen.
Im nächsten Jahr trifft Köln auf Dortmund mit Klopp, Mainz mit Tuchel, Bayern mit Guardiola. Da könnte jedes Spiel zur Systemschlacht werden. Wie stellt man sich als Trainerteam darauf ein?
Mit Tuchel haben wir ja im letzten Jahr im Pokal schon Erfahrung gemacht. Da war Mainz nicht so gut in Form. Das ist eines der Extrembeispiele, weil Thomas Tuchel taktisch wirklich sehr sehr gut ist. Je näher das Pokalspiel gekommen ist, habe ich gemeinsam mit dem Peter begonnen das Mainz-Spiel zu analysieren. Das war wirklich schwierig, weil sie im Spiel oft dreimal das System gewechselt haben, immer anders gespielt haben, immer andere Spieler am Platz waren. Ich dachte: So komme ich nicht weiter. Dann bin ich hergegangen und habe zu meinen Helfern gesagt: Sucht mir jetzt alle System heraus, wie er gespielt hat und wie er gegen welche Systeme gespielt hat. Ich wollte herausfinden, mit welchem System er die meisten Probleme hat und dafür haben wir alle Daten zusammengetragen, die man nur irgendwie finden kann. Dann waren wir einen kleinen Schritt weiter. Ich habe mir live das Spiel Mainz gegen Leverkusen angeschaut. Leverkusen hat ihnen mit drei Sechsern überragend die Räume zugestellt. Man muss auch sagen: die Mainzer hatten nicht die beste Phase. Ich habe mir das mit dem Peter angeschaut und vorgeschlagen: eigentlich wäre es perfekt, wenn wir mit drei Sechsern spielen. Wir haben dann versucht, dieses System zu kopieren. Wir sind dann aufgestiegen und haben damit auch die Spieler von unserer taktischen Ausrichtung überzeugt. Was ich damit sagen will: Das nächste Jahr wird sehr sehr viel Arbeit bedeuten. Da kommen Top-Trainer, wir werden irrsinnig viel dazulernen. Aber ich denke auch, dass alle irgendwo ihre Schwächen haben, auch wenn sie qualitativ über uns stehen.
Sie stellen sich auf viel Arbeit im nächsten Jahr ein, oder?
Auf jeden Fall. Aber es macht Spass. Ich würde es gar nicht „Arbeit" nennen, sondern eine persönliche Weiterentwicklung unserer Trainerteams. Wir sind da besessen und wir werden alles probieren, damit wir Dinge finden, die wir verwenden können.
Danke für das Gespräch.
g.gossmann@90minuten.at