Helmut Schulte: ‚Ich hatte viele Anrufe, ob ich das falsche Zeug geraucht habe'
Der gebürtige Deutsche hat in kurzer Zeit bei Rapid viel richtig gemacht - das lassen zumindest die Ergebnisse zurzeit vermuten. Auch er selbst ist überrascht, wie schnell das ging. Ein Abschlussgespräch mit Helmut Schulte über Abstiegsspiele in der zweit
90minuten.at: Letztens habe ich Sie auf der Hohen Warte bei Vienna gegen Horn gesehen. Abstiegskampf zweite Liga Ende November – Arbeit oder einfach Fußball schauen?
Helmut Schulte: Beides. Ich werde von meinem Sohn nicht ganz ernst genommen. Er fragt mich, was ich in meinem Beruf mache, weil ich so oft Fußballspiele kucke. Wow, damit kann man Geld verdienen? So ungefähr. Ich mache das gerne, schaue gerne Fußballspiele. Wenn das dann auch mein Beruf ist, bin ich sehr zufrieden. Mir gefällt auch das Spiel, wenn es nicht so attraktiv ist, nicht so hin und her geht, weil ich eher auf Fußballer schaue. Klar habe ich es lieber, wenn die Qualität des Spieles hoch ist, entscheidend ist das für mich aber nicht. Ich versuche die Entwicklung der Spieler zu beurteilen und vorauszuahnen. Das macht mir Spaß. Dass der Abstiegskampf in der zweiten Liga technisch nicht so hochwertig von qualitativ guten Spielern vorgetragen wird, hat ja jeder gesehen.
Sie arbeiten also trotz Vertragsende zum Jahresende auf Hochtouren. Wir sitzen hier beim Ernst Happel Stadion, ein paar Meter weiter, in der Geschäftsstelle des ÖFB, hat sich mit Marcel Koller gerade jemand zum Bleiben entschieden. Was hat Rapid Ihnen nicht geben können?(denkt nach) Mit der Fragen nach einem Mangel will ich ich mich nicht so beschäftigen. Ich war in der komfortablen Situation – Glück ist Geschick – dass ich mich zwischen zwei sehr positiven Dingen entscheiden durfte. Das eine sieht gerade jeder, das andere ist eher versteckt. Das ist eine seltene Situation. Ich finde beides interessant. Wien hat sich sehr schön entwickelt. Jeder Mensch, der nicht hier arbeitet, kann es nur über die Ergebnisse beurteilen. Das andere ist quasi meine Heimat, ich komme aus der Nähe von Düsseldorf. Da habe ich private Anknüpfungspunkte und das hat mich herausgefordert. Irgendwo dazwischen, zwischen dem, was man hat und dem, was man sein kann, habe ich mich entschieden. Es gab keinen Mangel.
< blockquote> Ich verpacke positive Dinge in eine negative Frage. Beim Sportdirektor wird oft sehr lange gewartet, das ist langwieriger als bei einem Trainer. Die Mannschaft hat im Gegensatz zu vor einem Jahr einen Riesenschritt gemacht, es gingen eigentlich alle Transfers auf. Nah an Salzburg dran, Endspiel in Kiew – Ein Gefühl von „Mission Accomplished", viel mehr geht irgendwo realistischerweise nicht? Hätten Sie sich im Frühjahr überhaupt gedacht, dass Rapid so schnell in die Spur finden wird? Schließlich emanzipiert sich das Team von Hofmann und mit vielen Jungen – Sabitzer, Schaub und so weiter, alle können ja nicht auf einmal weggekauft werden. Es ist eine super Basis da. < blockquote> Sie haben im Mai in einem Interview mit 90minuten.at-Chefredakteur Michael Fiala gesagt, dass man im Nachwuchs- und Scoutingbereich noch etwas tun kann ... Zum Scouting ein kleiner Input. Man wird das Gefühl nicht los, dass jeder auffällige Kicker außerhalb von Wien und Salzburg, der nicht von Red Bull gekauft wird, nach Favoriten oder Hütteldorf geht, wenig „echtes" Scouting betrieben wird. „Im Scouting-Bereich müssen wir was tun", das sind ihre Worte damals gewesen. Was wurde getan? Sprechen wir übers Internationale. Red Bull ist gegenwärtig 59. in der Klub-Rangliste, Rapid 105. Um ehrlich zu sein: Jahrelange Wettmanipulation, Infrastruktur auf Kreisklassenniveau und nicht einmal Red Bull ist in den Top50 – sehen Sie da irgendeine realistische Chance, rauf zu kommen? Fulham (48.), Fiorentina (49.), Hannover (50.), Fenerbahce (51.). Wie soll sich das bitte ausgehen? < blockquote> Nun wechseln Sie vom Anspruch der europäischen Top50 in den Abstiegskampf der 2. deutschen Bundesliga. Sehenden Auges, das vermute ich jetzt, erscheint es gegenwärtig logischer, mit Rapid in die Champions League zu kommen, als in absehbarer Zeit mit der Fortuna in der Europa League... Im Frühjahr wäre es schneller gegangen, da sah man diese... In Österreich ist vieles schwarz und weiß!
Das ist kein Beweggrund. Es ist noch Entwicklungspotential da. Es wurden die richtigen Schritte gemacht. Das macht meine Entscheidung im Nachhinein noch umstrittener. Mission erfüllt kann man nicht sagen, da die für den Sportdirektor nie erfüllt ist. Klar, wenn man die Champions League gewinnt, kann man am Höhepunkt abtreten. Aber es fühlt sich auch gut an. Im Fußball werden viele Dinge als normal angenommen, die es nicht sind. Dass jemand bis zum Ende seines Vertrages arbeitet, den Nachfolger zu finden helfen darf, dann sollte das normal sein. Ist es aber nicht. Der Normalfall ist, dass man den Stuhl vor die Türe gestellt bekommt. Ich weiß gar nicht, wie ich das verdient habe. Normalerweise übernimmst du ein Büro, in dem alles bei Nacht und Nebel liegen gelassen wurde. Aber es sollte normal sein, dass der Vorgänger einen einarbeitet, wie es bei mir in Düsseldorf geplant ist.
Ich hätte zunächst einmal nicht gedacht, dass wir so schnell von der Schiene abkommen. Ich habe zu Beginn naiv geglaubt, weil aus meiner Sicht gute Ergebnisse erzielt wurden, dass es ein Problem gibt, das nach außen zu kommunizieren. Dass ich stabilisieren muss, damit es noch besser wird. Der Absturz in allen Bereichen im Frühjahr musste so passieren, damit man einen freien Blick bekommt. Es lag nichts mehr im Dunkeln, es lag alles offen da. Da kann man schon einmal leicht den Glauben verlieren. Diese Stunden gab es für mich persönlich auch. Dann muss man schauen, dass man die richtigen Dinge tut. Das ist für mich ganz klar die Führung der Kampfmannschaft und diese selbst. Für mich war klar, dass wir eine Mannschaft haben, die sich sehr gut zum Kontern eignet, was aber nicht zu dem Standing passt, dass der SK Rapid in der Bundesliga hat – acht Mannschaften stellen sich zuhause oder auswärts gegen uns hinten rein. Da brauche ich Spieler, die das beherrschen können. Etwa Louis Schaub. Der war halt damals nicht so weit. Starkl auch. Sabitzer kam erst. Das sind Spieler, die aufgrund ihrer Fähigkeiten eine massierte Abwehr aufbrechen können. Die hat es damals nicht so gegeben. Wir hatten auch einen Wechsel im Spielsystem vor. Der Umstellungsprozess von abwarten auf agieren hat nicht funktioniert. Daher haben wir die Änderungen im Trainerteam vornehmen müssen. Jetzt sind wir auf Schiene und es läuft wie die Post. Es hat mich überrascht, wie schnell gar nichts mehr ging und wie schnell wir wieder auf Schiene sind. Oft geht ja der Einbau junger Spieler auch saftig auf Kosten der Ergebnisse. Da hilft es, dass Zoran Barisic die Spieler schon jahrelang kennt. Das spricht auch für meine Idee von Fußball: Kontinuität statt Aktionismus.Man muss feststellen, dass im Nachwuchs schon gut gearbeitet wurde. Ich habe einige Gespräche geführt, meistens mit Carsten Jancker. Er ist Co-Trainer und der Sportmanager für den Nachwuchs- und Akademiebereich sowie bei den Amateuren. Da könnt man sich fragen: Was sind das für Kasperköppe? Ich finde das gut, dass jemand, der sich im Nachwuchs super auskennt, gleichzeitig neben dem Cheftrainer sitzt. Das ist für eine vernünftige Zusammenarbeit sinnvoll. Und mit Norbert Schweitzer haben wir auch einen Experten. Mehr geht nicht. Denn das ist auch von der Chemie zwischen den Menschen abhängig. Ich kann das schon verordnen und sagen, dass ich beide rausschmeiße, wenn sie nicht vernünftig zusammen arbeiten. Aber ohne Chemie wird das schwierig. Aber wir haben die Personalverantwortung. Wir hätten auch Maier, Müller oder Schulze als Trainer holen können. Wir mussten uns dafür schelten lassen, dass das die Billiglösung ist. Ich war aber immer davon überzeugt, dass das so richtig ist. Sonst hätten wir es damals nicht gemacht, auch wenn wir mit den Ergebnissen Glück hatten.
Scoutingabteilungsbashing kann jeder machen. Keiner kann aber etwas Substantielles über die Scoutingabteilung Rapids sagen. Die Arbeit mündet in der Verpflichtung von Spielern. Wenn man keinen Sportdirektor hat, ist das schwierig. Wenn man das letzte Wort bei der Auswahl dem Trainer überlässt, muss man am Ende damit leben, was dabei raus kommt. Man hats ja ohne Not so eingerichtet. Ein Fußballtrainer in einer Profiliga in Europa hat heutzutage definitiv aber keine Zeit, eine vernünftige Expertise über die Tausenden, die in Frage kommen, abzugeben. Es ist als Cheftrainer sehr, sehr schwer, einen Spieler ein paar Mal gesehen zu haben. Im Scoutingbereich muss strukturiert vorgegangen werden. Meine Leute bekommen ganz klare Vorgaben. Das bezieht sich darauf, wo wir welche Spieler beobachten. Das sind alles Dinge, die kein Mensch beurteilen kann. Das wird nur über Langfristigkeit positiv oder negativ wahrgenommen und die Arbeit findet nicht in der Öffentlichkeit statt. Es kann nur das Resultat beurteilt werden.
Für die Öffentlichkeit, den Boulevard sitzen wir drei Hanseln noch immer da. Ich möchte hinsichtlich der Spieler, die wir verpflichtet oder verlängert haben, beurteilt werden. Ich glaube, ich habe eine Strategie, die ich verfolge. Die lässt sich nicht in drei oder sechs Monaten umsetzen. Auf der Hauptversammlung habe ich meine 20, 30 Grundsätze für die Nachwuchsausbildung vorgestellt. Die kriegen meine Jungs hier mit, dann wissen alle, wo wir hinwollen. Diese Grundsätze sind für mich unumstößlich. So sehe ich es.
Die Antwort werden wir ja bald haben. Nicht erst 2019, sondern, wenn die Befragung der User bei transfermarkt.at beendet ist. Dann wissen wir ja, ob das realistisch oder unrealistisch ist (lacht. Pressesprecher Peter Klinglmüller, der zugegen ist, merkt an, dass Rapid nun unter den Top100 ist, Anm.).Im Vergleich ist dieser Verein hier größer. Vom Gefühl her ist Rapid hier die Nummer eins. Und wo ist Düsseldorf? Platz 30 herum in Deutschland. Vielleicht Hobbytiefenpsychologisch erklärt: Ich habe immer Dinge gemacht, bei denen ich keine Expertise hatte, von denen ich vermeintlich nichts verstanden habe. Ich war auf einmal Bundesligatrainer, habe aber nie in der Bundesliga gespielt. Ich habe in der zweiten Liga angefangen, Manager zu spielen, hatte aber keine Ahnung, was der machen muss. Dann habe ich im Nachwuchsbereich angefangen, parallel dazu im Scoutingbereich. Auch in diesem Bereich hatte ich vorher keine Erfahrung. Dann war ich in St. Pauli wieder Sportdirektor. Und jetzt ist vielleicht etwas Neues vonnöten, irgendwo, wo es nicht so gut läuft, mit meiner Ruhe zu versuchen, die Dinge vernünftig wieder in die Spur zu bringen. Das ist vielleicht der unbewusste Hintergrund der Entscheidung. Als für mich die Entscheidung aber relevant wurde, wusste hier keiner, wo es hingehen würde. Was passieren hätte können, wissen wir ja. Ich stehe zu meiner Entscheidung. Wäre es aber im Frühjahr gewesen, dass ich ein Angebot bekommen hätte und mich am nächsten Tag in den Flieger nach Düsseldorf hätte setzen sollen, dann hätte ich wahrscheinlich nicht so lange gezögert. Der Verein zeigt hier jetzt sein Sonntagsgesicht und nicht seine Fratze.
Da hätte ich mich nicht so gemartert. Wir haben damals versucht, Aufbruchsstimmung zu erzeugen. Und dann kommen ein paar tausend Leute ins Stadion und rufen „Vorstand raus!" und „Wo habt ihr unser Geld versteckt?" und auch „Schulte raus!" oder „Wir haben SK Rapid im Herzen, das ist bekannt, Schulte zurück an die Waterkant". Das wird natürlich in Deutschland plakatiert und das ist mir nicht so unwichtig. Ich hatte viele Anrufe von Leuten, die mich gefragt haben, ob ich das falsche Zeug geraucht habe und was ich da machen würde, dass nach drei, vier Monaten alle „Schulte raus" rufen. Da hatte ich mir schon gedacht, dass das nicht handlebar ist. Klar, wir haben vielleicht mit der Trainervertragsverlängerung einen Fehler gemacht. Aber wenn das schon reicht, dass die gesamte Arbeit und Persönlichkeit in Frage gestellt wird, dann puh!
Für mich gibt es schwarz, weiß – und bunt!
Wir danken für das Gespräch!