SVM-Präsident Martin Pucher: ‚Nach dem Abstiegskampf 2011 ist es wichtig, einen 'Mini-kühbauer' selber aufzubauen'
SV Mattersburg-Präsident Martin Pucher weiß nicht mehr, wann er das letzte Interview gegeben hat. Am 26. Juni hat 90minuten.at die erste Interview-Anfrage verschickt, nun hat es geklappt. In einem sehr offenen Gespräch redet er über die „erdigen Mattersbu
SV Mattersburg-Präsident Martin Pucher weiß nicht mehr, wann er das letzte Interview gegeben hat. Am 26. Juni hat 90minuten.at die erste Interview-Anfrage verschickt, nun hat es geklappt. In einem sehr offenen Gespräch redet er über die „erdigen Mattersburger", die Philosophie des SVM und die Suche nach dem „Mini-Kühbauer". Über seinen Trainer Franz Lederer sagt er: „Er hat noch nie über Verletzungen geraunzt. Punkt. Er jammert nicht."
Das Gespräch führte Georg Sander
90minuten.at: Wie haben Sie den Saisonverlauf bisher erlebt? Anfangs lief es sehr gut, in den letzten paar Runden ist der Wurm drinnen ...
Martin Pucher: Es sind erst zehn Runden gespielt worden. Die ersten sechs oder sieben Runden war ich sehr zufrieden, zuletzt nicht. Man kann auch gar nicht zufrieden sein, wenn man gesehen hat, dass die Mannschaft zunächst gute Leistungen bringt und dann in ein Loch fällt. Ich würde sagen, es ist „so lala".
Grundsätzlich kann man als Bundesligaverein, der entweder nicht über die wirtschaftliche Stärke wie Salzburg oder die Tradition wie Rapid oder Austria verfügt, nicht wirklich langfristig planen.
Wie wichtig ist Ihnen wirtschaftliche Weitsicht, beziehungsweise kann es die heutzutage besonders im Fußball geben?
Grundsätzlich kann man als Bundesligaverein, der entweder nicht über die wirtschaftliche Stärke wie Salzburg oder die Tradition wie Rapid oder Austria verfügt, nicht wirklich langfristig planen. Das ergibt sich aus der Schnelllebigkeit des Geschäfts. Sportlich heißt das, dass, wenn man absteigt, diese Langfristigkeit nicht mehr gegeben ist. Genau diese Überzeugung bringt es mit sich, dass ein kleiner Verein immer daran denken muss, mit seinen Möglichkeiten hauszuhalten. Die gesunde Basis muss erhalten werden. Wir haben das schon in den Boomjahren, als Euphorie herrschte, gewusst. Die sich daraus ergebenden Spielräume wurden nicht verpulvert. Diesen Weg haben wir auch nicht verlassen, als sich die sportlichen Ziele relativiert haben.
Also wird es in Mattersburg auch weiterhin keine Panikkäufe geben, auch wenn es wieder eng werden sollte?
Das ist nicht unsere Philosophie. Wir haben immer auf eine gesunde wirtschaftliche Basis geachtet, auch als es sportlich nicht gut gelaufen ist. Als wir 2008/09 gegen Altach und 2010/11 gegen den LASK um den Abstieg gekämpft haben, haben wir nie Hire and Fire-Politik betrieben. Wir haben den Spielern in der Mannschaft immer Vertrauen geschenkt und das wurde jedes Mal belohnt. Die Gegner haben immer sieben, acht Spieler geholt. Wir haben in der vorletzten Transferzeit im Winter 2012 niemanden gekauft, ja sogar Markus Schmid und Anton Pauschenwein zu den Amateuren runter gegeben, jahrelange Bundesligastammspieler. Wir haben die Meinung vertreten, dass unsere Jungen so weit sind, auch diese Situationen zu bewältigen. Und wir haben auch im Frühjahr gegen alle Großen sehr gute Ergebnisse erzielt. Langfristig planen geht nur in Bezug auf die wirtschaftliche Basis und die Mannschaft - wir versuchen immer diese auf drei bis vier Jahre im Wesentlichen zusammen zu halten. Von den 20 bis 23 Spielern im Kader muss mit drei Vierteln so lange geplant werden können. Der Kern muss stehen, auf den muss man sich verlassen können. Länger als vier Jahre geht es nicht.
Wie sieht die Philosophie des SVM aus? Immerhin leiten Sie die Geschicke der Burgenländer seit 1988 ...
In diese Zeit muss man zurückgehen. Ende der 80er-Jahre hat der SV Mattersburg auch in der Landesliga schon eine Linie bei Transfers gehabt und eine Philosophie gelebt. Das Erste ist die angesprochene wirtschaftliche Basis. Zweitens ist es wichtig, die Verwurzelung in der Bevölkerung nicht zu verlieren. Das Burgenland ist ein klein-strukturiertes Bundesland, Mattersburg selbst hat 7.000 Einwohner. Da ist man viel näher an allem dran, als wenn man in der anonymen Großstadt ist. Die Spieler leben bei uns nicht in dieser Anonymität und wir haben immer darauf geachtet, dass die Spieler zumindest aus der Nähe kommen. Wir versuchen das zu forcieren, auch wenn es in der Bundesliga nicht so leicht ist. Das Burgenland hat 300.000 Einwohner, es gibt zehn Vereine in der Bundesliga. Das macht eine potenzielle Basis von 800.000 Personen im Einzugsgebiet - das ist ein Zehntel der Gesamtbevölkerung Österreichs. Das geht sich, wenn man nur auf Burgenländer zurückgreifen will, theoretisch nicht aus. Aber das Burgenland ist im Fokus, unser Refugium und unser angestrebtes Territorium. Dazu kommt zum Beispiel noch das angrenzende Niederösterreich, die bucklige Welt. Manuel Seild, Alois Höller, Thorsten Röcher sind aus der Gegend. Martin Rodler kommt aus Hartberg. Wir haben immer vernünftigen Burschen, auch aus der vierten und fünften Leistungsstufe, zu uns bringen können. Wir haben immer den Fokus auf die Region, nicht nur auf das Burgenland. Das leben wir seit fast 25 Jahren.
Vor drei, vier Jahren haben wir mit drei waschechten Mattersburgen in der Bundesliga gespielt – wo gibt es das heute noch?
Das ist nicht immer einfach, oder?
Es wird abgeschwächt, denn je weiter der Lift nach oben geht, desto relativer wird das. Im aktuellen Kader haben wir vier, beziehungsweise mit Doppelstaatsbürger Adnan Mravac fünf Legionäre, der Rest ist aus unserer Region, dem Burgenland und den angrenzenden Bereichen Niederösterreichs und der Steiermark. 1999/2000 sind wir mit lauter jungen Burschen aus der Region, dem eigenen Nachwuchs, obwohl es damals noch keine allgemeine Tendenz zur Forcierung von jungen Spielern gab, überlegen Regionalligameister geworden. Vor drei, vier Jahren haben wir noch mit drei waschechten Mattersburgen und bis zu sechs Spielern aus dem Bezirk in der Bundesliga gespielt – wo gibt es das heute noch? Auf diese Spieler kann man sich auch in schwierigen Zeiten verlassen. Wir wollten nie Spieler, die absahnen wollen. Wir wollen Spieler, die sich zum Verein und der Region bekennen. Die leben hier und wollen sich nicht schief anschauen lassen, wenn wir absteigen. Das ist das Erdige an uns. Wir ziehen die Spieler rauf. Als wir Ried neulich 2:1 geschlagen haben, waren neun Spieler in der Stammformation, die aus und über den Amateurbereich dort hin gekommen sind. Nur zwei spielten ihr erstes Bundesligaspiel nicht in Mattersburg.
Inwieweit ist das nun durch die Akademie noch leichter?
Die gibt es erst seit drei Jahren, wir haben aber schon davor Ähnliches geschafft. Das ist eben unsere Transferphilosophie. Durch die Akademie haben wir die Chance, diesen Weg auch in Zukunft besser zu beschreiten.
Also ein „burgenländisches Nationalteam", zumindest mehr oder weniger. Wie soll das Ihrer Meinung nach am Platz ausschauen?
Wir wollen mit jungen Spielern spielen. Patrick Farkas hat schon über 80 Bundesligaspiele gemacht, wurde am 9. September 20 Jahre alt. Oder Nedeljko Malic, der kam mit 17 Jahren, war schwer verletzt und konnte sein Studium abschließen, er hat fast 130 Spiele mit 24 Jahren, Manuel Seidl ist knapp 24 Jahre alt, hat über 130 Spiele gemacht. Das sind Hinweise, dass wir das mit den Jungen verstärkt haben. Und durch die Akademie haben wir ein Sammelbecken, in dem wir die Spieler schon mit 15 Jahren vor der Haustüre haben. Uns ist die Durchlässigkeit vom Nachwuchs in die Akademie und über die Amateure zu den Profis wichtig. Das funktioniert bei uns perfekt.
Allerdings ist die Teilnahme der Zweitteams in der dritten Spielklasse umstritten. Ist das aus Ihrer Sicht unumgänglich?
Absolut. Das ist eine Treppenfunktion zwischen Akademie und Profimannschaft. In der Regionalliga Ost funktioniert das perfekt, auch bei Rapid und Austria. Die jungen Männer werden frühzeitig mit dem Männerfußball konfrontiert, bleiben keine ewigen Talente. Da kommen Notwendigkeiten zum Vorschein, etwa, dass man lernen muss, im Zweikampfverhalten den eigenen Körper zwischen Ball und Gegenspieler zu bringen. So wird das Tempo nicht nur im Nachwuchs erlebt, sondern das des Männerfußballs. Wenn einer den Anspruch hat, Bundesligafußballer werden zu wollen, gehört er mit 17 ins Training mit der Kampfmannschaft. Das funktioniert in der RLO sehr gut, Sturm Graz hat das auch in der RLM bewiesen.
Sie haben gemeint, der SVM sei „erdig". Einige Medien wollen Ihrem Verein ein negatives Image geben, Stichwort „Holzhackertruppe". Zwar heißt Mattersburg nicht Scheiberlfußball, aber wie sehr stört Sie dieses Image? Gibt es Zusammenhänge mit dem Zuschauerschnitt, wenn negativ berichtet wird?
Das kann ich nicht ändern. Es kommt zum Tragen, dass es im Burgenland kein Massenmedium gibt. Die Wiener Medien sind dominant, das ist auch logisch. Im Süden gibt es die Kleine Zeitung, die Oberösterreichischen Nachrichten eben dort und so weiter. Es ist eben limitiert. Es hat sich bewiesen, als wir mit 12.000 Zusehern eine Euphorie hatten, dass über uns anders berichtet wurde. Dass wir das nicht halten können, war auch klar. Aber legen wir das auf Wien um – jeder Vergleich hinkt. Zuletzt waren durchschnittlich 5.300 Fans da, das sind 75 Prozent der Bevölkerung von Mattersburg! Diese Klubs haben neben der Tradition auch ein viel größeres Einzugsgebiet. Was sind da eigentlich genau genommen durchschnittlich 15.000 Fans? Fakt ist: Wir versuchen mit unseren Möglichkeiten so gut es geht zu arbeiten. Was mich aber stört ist, dass wir immer angeblich gegen den Abstieg spielen. Das haben wir drei Mal, waren aber auch Dritter in der Meisterschaft, zwei Mal im Europacup, zwei Mal im Cupfinale.
Wenn die Mannschaft zusammen bleibt und sich weiterentwickelt, haben wir die Berechtigung, um den vierten Platz mitzuspielen.
Für die Zukunft ist das Mittelfeld ein Ziel?
Wir haben zwei Mal am Europacup teilgenommen. Im ersten Jahr haben wir Wisla Krakau erwischt, die davor in zehn Jahren sieben Mal Meister waren, im zweiten Jahr sind wir gegen die Kasachen von FK Aktobe aufgestiegen. Dann haben wir gegen Basel verloren – die haben daheim Manchester United und den FC Bayern geschlagen. 2008 mussten wir einen Umbau einleiten, Didi Kühbauers Karriere war vorbei, Christian Fuchs ging, 2009 gingen hörte Carsten Jancker auf, Mravac wechselte nach Belgien. Wir mussten die Mannschaft umbauen. Ein Christian Fuchs, der mit 22 Jahren 140 Bundesligaspiele machte, viel zu gut für die Liga war – das ist ein Highlight! Aber einen Kühbauer kann in Österreich niemand eins zu eins ersetzen. Wenn es ihn gegeben hätte, wäre er auch nicht nach Mattersburg gegangen. Er kam ja auch nur, weil er von hier abstammt. Nach dem Abstiegskampf 2011 ist es wichtig, einen „Minikühbauer" selber aufzubauen. Wir haben aber auch auf die Karte gesetzt, eine neue Mannschaft aufzubauen. Und diese jetzige Mannschaft hat schon aufgezeigt, ist in einem guten Entwicklungsstadium. Aber es gibt noch Leistungsschwankungen. Man muss das Team stabilisieren und konstanter werden.
Und dafür ist Franz Lederer der Richtige?
Er ist übrigens auch ein Mattersburger. Er wuchs 200 Meter vom Sportplatz entfernt auf, verdient auch das Vertrauen in einem Wellental. Kontinuität ist das wichtigste Wort. Und er hat noch nie über Verletzungen geraunzt. In Wiener Neustadt hatten wir nur einen gelernten Innenverteidiger, Adnan Mavrac. Es gab keine und er hat Lukas Rath in die Mitte gezogen. Punkt. Er jammert nicht und wir hatten Spiele, in denen fünf oder sechs Spieler gefehlt haben.
Und was ist ihr Traum für die nächsten Jahre?
Wir wollen, und das ist legitim, wir wollen uns um zwei, drei Ränge nach oben orientieren. Wenn die Mannschaft zusammen bleibt und sich weiterentwickelt, haben wir die Berechtigung, um den vierten Platz mitzuspielen. Derzeit sind die Schwankungen leider zu stark, aber in zwei oder drei Jahren geht das.
Wir danken für das Gespräch!
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